Biologische Heißzonen – Teil 1: Biodiversität der Städte rettet Natur vor der Landwirtschaft
von Hans-Peter Schmidt
Auch wenn die Städte von Lärm, Beton, Asphalt und Autoabgasen erfüllt sind, so ist doch der Verbrauch an Pestiziden, Herbiziden und Mineraldüngern um mehr als das Tausendfache geringer. Zwar zirkuliert in den Häuserschluchten wenig frische Luft und enorme Mengen an Feinstaub, aber dafür wird jeder freie Platz für einen Baum, ein Blumenbeet, eine Hecke, einen Balkonkasten genutzt. Zwar wird der Rasen in den Vorgärten meist zu kurz geschnitten, aber dafür wird er von Blumenrabatten exotischer Vielfalt gesäumt. Man muss nichts verherrlichen, auch in den Städten herrscht trotz Blumenkästen noch längst keine ökologisch heile Welt, aber die Entfremdung der Städter von einer naturnahen Lebensweise fördert deren romantische Nostalgie, die vielerorts für biologische Heißzonen sorgt.
Es scheint momentan, als würden diese städtischen Naturoasen zu einer Art Arche Noah heranwachsen, in der sich ein großer Teil der Biodiversität erhält, die in den ländlichen Gebieten durch die chemisch-industrielle Pflanzen- und Tierproduktion immer schneller ausgelöscht wird. In den Städten überlebt in einer ästhetisierten Idee von Natur, was auf dem Land durch die industrialisierte Idee von Landwirtschaft zerstört wird. Die Ästhetik der Städte wird zur Triebfeder der Bewahrung naturnaher Zonen.
Dass die Biodiversität in den Städten höher als auf dem Land ist, ist freilich kein Loblied auf die Städte wert, sondern ein Armutszeugnis an unsere Gesellschaft. Wer sich die ökologische Katastrophe der Landwirtschaft vor Augen führen lässt, schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Jeder, der keinen direkten Bezug zur Landwirtschaft oder Agrochemie hat, gibt sich bestürzt. Die Medien hätten leichtes Spiel, um Aufruhr zu säen.
Doch die Wirklichkeit ist komplexer, als dass sie sich mit zwei, drei griffigen Slogans und Halbwahrheiten über den einen Kamm der Vorverurteilung scheren ließe. Dass die Landwirtschaft sich industrialisiert hat und aufgrund der Industrialisierung die bekannten Monokulturen angelegt hat und aufgrund der Monokulturen synthetische Düngemittel und Pestizide einsetzen muss, hat ja gesamtgesellschaftliche Gründe, für die man nicht allein dem Bauern die Schuld aufbürden kann. Die Landwirtschaft ist ein Abbild der gesamtgesellschaftlichen Situation. Der Bauer hat daran kaum mehr Schuld als der städtische Steuerberater, Krankenpfleger, Banker, Manager oder Politiker. Die Landwirtschaft ist ebenso wie viele andere Bereiche der Gesellschaft in eine Systemfalle geraten. Wer die Landwirte, die ohnehin meist am Existenzminimum leben, jetzt kriminalisiert, weil sie mit ihren Methoden die Natur und die menschliche Gesundheit schädigen, würde wieder einmal das berühmte Pferd von hinten aufzäumen.
Tatsache aber bleibt, dass es so wie derzeit in der Landwirtschaft nicht weitergehen kann. Ansonsten berauben wir uns in weniger als zwei Generationen unserer Böden, unserer Luft, unser Nahrungsmittelsicherheit, unserer Gesundheit, ja unserer Selbst.
Vom Teufelskreis der Monokultur in Geist und Landwirtschaft
Schaut man sich das Problem rein von Seiten der kalten Fakten an, lassen sich die Ursachen für den Niedergang der Biodiversität und die Zerstörung natürlicher Lebensräume schnell ausmachen. Um in der Landwirtschaft ebenso wie in der sonstigen Volkswirtschaft ein jährliches Wirtschaftswachstum von 1 – 3 % zu erreichen, müssen entweder die Erträge gesteigert oder die Arbeitskosten gesenkt werden. Am besten natürlich beides, wie es gerade im neusten (ansonsten erfreulich progressiven)
Strategiepapier des Schweizerischen Landwirtschaftsamtes gefordert wird.
1. Ertragssteigerung
Erträge aber lassen sich in der konventionellen Landwirtschaft nur noch durch neues (genmodifiziertes) Saatgut und genauere Dosierung hochpotenter Dünger erreichen, was wiederum zu fortgesetzter Auslaugung der Böden, also zu ungesünderen Pflanzen und damit zu gesteigerten Pestizidverbrauch führt.
2. Lohnkostensenkung
Da die Löhne in der Landwirtschaft ohnehin schon zu den niedrigsten gehören und die Arbeitsleistung zu einem erheblichen Teil nur durch ausländische Arbeitskräfte erbracht werden kann (in Südspanien sind es Afrikaner, in Nordspanien Andalusier, in der Schweiz Portugiesen, in Deutschland Polen etc), ist das Einsparungspotential in diesem Bereich längst ausgeschöpft. Bleibt zur Kostensenkung also nur der immer effizientere Einsatz von Maschinen.
3. Produktionskostensenkung
Da in der Landwirtschaft nicht wie in einer normalen Fabrik an jedem Tag die gleiche Arbeit verrichtet wird, sondern die durchzuführenden Tätigkeiten saisonal sehr stark variieren, benötigt man viele verschiedene Maschinen, die jeweils nur relativ selten zum Einsatz kommen. Um eine profitable Auslastung der Maschinen zu gewährleisten und die Investitionskosten zu rechtfertigen, müssen die Flächen möglichst groß und möglichst einheitlich bestellt sein. Und mit eben dieser wirtschaftlichen Zwangssituation beginnt der ganze Teufelskreis.
Flächen werden zusammengelegt, Hindernisse ausgeräumt. Nur eine gerade Linie ist eine gute Linie, also wird jeder Baum und Strauch, der dies behindert, herausgerissen. Je größer die Flächen werden, desto größer und schwerer werden die Traktoren. Je schwerer die Traktoren, desto höher ist die Bodenverdichtung, die zu Sauerstoffmangel und vermindertem Bodenleben führt. Um den Boden trotzdem zu lüften, wird er gepflügt, wobei ein Großteil seiner Humusauflage verloren geht. Mit sinkendem Humusgehalt sinken auch die Wasserspeicherung und Infiltrationsleistung des Bodens. Er trocknet also schneller aus und bei starken Niederschlägen ertränkt er und schwemmt stark aus. Folglich muss mehr gedüngt werden, was nicht nur die Kosten erhöht, sondern auch das Grundwasser belastet und die essentiellen Mikroorganismen des Bodens geradezu pökelt. Die Folge ist, dass die Pflanzen anfälliger gegenüber Schädlingen werden und folglich stärker mit Pestiziden behandelt werden müssen, was die Pflanzen letztlich noch anfälliger macht und die Parasiten immer widerstandsfähiger werden lässt.
Bei Wein und Tomaten schmecken die Kenner die immer schlechter werdenden Böden und Ökosysteme schnell heraus, aber im täglichen Brot vertuscht das Salz im Teig jeden Eindruck von Getreidequalität. Ganz vertuschen freilich lässt es sich auch da nicht: Nachdem sich die Menschheit seit 10.000 Jahren von Weizen ernährt hat, leidet plötzlich ein immer größer werdender Teil der Bevölkerung an Gluten-Allergien…
Aber sind wir der Systemfalle denn wirklich hilflos ausgeliefert?
Natürlich nicht. Doch auch der Mensch ist wie der berühmte Frosch, der ins heiße Wasser geworfen, sofort wieder herausspringen würde. Doch wenn man ihn ins lauwarme Wasser legt und ganz langsam zum Kochen bringt, reagiert er erst, wenn es zu spät ist.
Egal, was wir tun, jeder Tag vergeht, und solang keine Katastrophe eintritt, ist die Gewohnheit stark genug, um die Blindheit zu fördern, dass es auch in Zukunft immer so weiter geht. Der Mensch hasst es, an seiner eigenen Unfähigkeit zu scheitern, weshalb er sich lieber genügend Ausreden zurecht legt, um aufrechten Hauptes in den Untergang zu stolpern.
Die Landwirtschaft ist neben der Arbeitslosen- und Invalidenversicherung der größte Wirtschaftszweig, der nur durch Subventionen überlebt. Wenn das keine Diagnose ist, die der Politik zu denken geben sollte.
Betrachtet man sich die Betriebswirtschaftsrechnungen etwas genauer, so wird schnell klar, dass die größten Kostenanteile eines Landbetriebes auf Saatgut, Düngemittel, Pestizide, Antibiotika und Konservierungsstoffe entfallen. Also alles Stoffe, die in einem ökologisch nachhaltig wirtschaftenden Betrieb nicht erkauft werden müssen, sondern von der Natur und dem Landwirt selbst produziert werden können. All die Subventionen für die Landwirtschaft sind im Grunde verdeckte Subventionen für die Agrochemie, denn ohne Subventionen müssten die Bauern wieder selbst überlegen, wie sie ihre Böden und Pflanzen mit den Mitteln der Natur schützen können.
Landwirtschaft mit Methoden der Biodiversifizierung
Mit den Mitteln der Natur die Böden, Pflanzen und Tiere zu schützen, würde aber heißen, mit den Methoden der Biodiversifizierung zu arbeiten.
Biodiversifizierung aber bedeutet zu allererst den Abschied von industriell standardisierter Monokultur. Pflanzen und Tiere können sich nur dort wirkungsvoll gegen Schädlinge und klimatische Extreme verteidigen, wo sie einen Lebensraum bewohnen, in dem sie Partnerschaft mit möglichst vielen anderen Lebewesen eingehen können, um gegen jeden Angriff eine wirksame Strategie der Verteidigung zu entwickeln.
Um eine nicht-monokulturelle Landwirtschaft zu betreiben und auf konsequent durchdachte Mischkulturen zu setzen, braucht es neben dem Verständnis für ökologische Systeme vor allem auch technisch genial durchdachte Lösungen. Also kleine, flexible Maschinen, die sich an verschiedenste Verhältnisse anpassen lassen.
Landwirtschaft, die anstatt mit chemischen Zwangshandlungen mit den Methoden der Biodiversifizierung arbeitet, ist nicht etwa rückwärtsgewandte Spatenkultur, sondern ist höchst wirtschaftlich und effizient. Sie steht auf technisch, wissenschaftlich und sozial höchstem Niveau. Anstatt Großgrundbesitzern und Kolchosen bräuchte es wieder selbstverantwortliche Klein- und Mittelbauern, die aber in Beratungsnetzwerken und Maschinenringen vereint wären, um Wissen und Erfahrung ebenso wie kleine effiziente Maschinen und Instrumente zu teilen und somit ebenso ökonomisch wie Großbauern, aber mit deutlich engerem Kontakt zur Scholle, also zur Natur zu arbeiten.
Erst in diesem Moment beginnt eine neue Epoche der Landwirtschaft, die sich von der Vormundschaft der Agrochemie und Subventionspolitik befreit, die Natur bewahrt und gesunde Lebensmittel produziert.
Ein wichtiges, ja entscheidendes Element dieser Art der Landwirtschaft sind biologische Heißzonen, deren hocheffiziente Funktionalität wir derzeit vor allem in den Städten sehen und erleben können. Wie diese auch im Weinberg und der Feldwirtschaft zu installieren und zu aktivieren sind, lesen Sie im zweiten Teil dieses Artikels, der in drei Wochen im Ithaka-Journal erscheint.
Einige Quellen:
Über Bienen in der Großstadt: Beton-Honig
Lebenserwartung in Stadt und Land
Europäische Hauptstädte der BiodiversitätDruckversion des Artikels
Klaus Wende
29.08.2010 20:40
Finde Ihre obigen Artikel wieder ganz hervorragend. So präzise war mir das alles nicht klar.Horizont und Wissen erweitern sich mit jedem Lesen. Mehr kann man kaum haben wollen...
Gruß aus Köln
U.Bodwasch
30.08.2010 16:50
Vielleicht sollten wir alle weniger essen und mehr auf Qualität achten. Dieses würde der Mehrheit bekommen.
Lieber gutes und gesundes Brot , als diese Pappbrötchen,
die nur wieder schnell hungrig machen. Also bewußter essen und trinken.(leben !)
Tschüß
Heinz Rieger
03.09.2010 07:24
Wieder mal ein ganz hervorragender Artikel. Eigentlich dachte ich, alles über dieses Thema zu wissen. Aber dieser Vergleich von Land und Stadt ist mir doch neu und zeigt überdeutlich die Perversität unseres Verhaltens.
Im Grunde müsste dieser Artikel durch alle Medien gehen und eine `Revolution` auslösen.
Wir werden ernten was wir säen !
Christian Hildmann
03.09.2010 12:47
Die Biodiversität der Städte beinhaltet eine deutlich andere Artenzusammensetzung als die, die zuvor in der landwirtschaftlich geprägten Landschaft zu finden war. Deshalb rettet die Biodiversität der Städte keineswegs die Natur vor der Landwirtschaft; da bedarf es einer differenzierteren Sichtweise (die aber schnell die Länge eines Artikels hier erreichte). Zweifellos richtig ist, dass die heutige Landwirtschaft oftmals nicht wirklich nachhaltig ist (enorme Stoffausträge, negativer Einfluss auf das Kleinklima etc.) und dass die Bewirtschaftungsweise eng mit gesellschaftlichen Mechanismen verknüpft ist. Eine nachhaltigere Landnutzung wäre physisch zweifelsohne möglich (dazu gibt es zahlreiche gute Ansätze und Ideen, wenngleich en detail noch einige Fragen zu klären bleiben). Die Nachfrage nach nachhaltiger Landnutzung auf der gesellschaftlichen Ebene erheblich zu verstärken, ist derzeit wohl noch ein kritischer Punkt.
Frhr v. Verschuer
06.09.2010 15:37
Der Verallgemeindende Vergleich diese Artikles zwischen Biodiversivität Stadt, Land entbehrt in dieser Form jeglicher wissenschaftlicher Grundlage und leistet damit einen weiteren Beitrag zur Volksverdummung via Internet. Schade eigentlich denn das interessante Thema sauber recherchiert hätte vielleicht einen Artikel ergeben der etwas bewirken könnte.
Hans Meier
04.11.2010 10:35
Freiherr, Volksverdummung durch das Internet kommt nur zu stande, wenn Leute zu selektiv (oder nicht selektiv genug) Informationen suchen und diese dann ohne weitere Prüfung glauben und weiterverbreiten. Dies kann mit jedem Medium geschehen, auch in einer Bibliothek (ja, längst nicht alles was geschrieben steht entspricht der Wahrheit). Die primäre Ursache dabei bleibt die bereits vorhandene Dummheit und nicht das Medium. Es sträubt mir die Haare an dieser Stelle solch (ja beinahe böswillige) Unterstellungen zu lesen. Verdummem tun die Fernseh-Massen. Verdummen tun die "Unwissenheit ist ein Segen"-Massen. Verdummen tun all die, die sich nicht aktiv bemühen es zu verhindern. Super Artikel.