Das Zeitalter der Dummheit
von Tim Caspar Boehme
Müssen wir uns nachträglich vorwerfen lassen, einfach weitergemacht zu haben wie bisher, obwohl wir längst wussten, was da auf uns zukommt?
Um ihre Zeitgenossen aus der Klimalethargie zu reißen, entschied sich die britische Dokumentarfilmerin Fanny Armstrong für einen Rückblick aus dem Jahr 2055. In ihrem Film „The Age of Stupid" (Das Zeitalter der Dummheit) sitzt ein Überlebender der Klimakatastrophe in einem Bunker und klickt sich durch ein globales Nachrichtenarchiv. Anhand von Nachrichten und Dokumentaraufnahmen aus unserer Zeit versucht er zu rekonstruieren, was damals - also heute - eigentlich schief gelaufen ist. Bei seinem Blick zurück in die Zeit vor dem Unglück muss er sich die bittere Frage stellen: „Warum haben wir uns nicht gerettet, als wir noch die Gelegenheit dazu hatten? Sollten wir etwa unsicher gewesen sein, ob wir unsere Rettung auch wert sind?"
Ist Ithaka bei allem Eklektizismus nun auch noch unter die Filmkritiker gegangen? Was hat Ökologieforschung mit Kinofilmen zu tun?
Ökologie beschäftigt sich mit den 2 Milliarden Mikroorganismen, die in einem Gramm Muttererde leben, mit der aromatischen Vielfalt von Nektarblüten, mit der Schädlingsregulierung durch Wespen im Maisbau, mit CO2-Senken durch Biokohle und ebenso mit dem Menschen, der aus lauter Gewohnheit jeden Tag 12mal mehr Abfall produziert, als er an Nahrung, Kleidung und Kultur effektiv benötigt. Ökologie beschäftigt sich nicht nur damit, wie die Natur funktioniert, wenn der Mensch abwesend wäre, sondern betrachtet den Menschen als Teil des Ökosystems, dessen gefährlichster und destabilisierendster Faktor er ist. Ökologie ohne Soziologie und ohne Kunst, mag biologisch, agronomisch, landschaftsgestalterisch wertvoll sein, das Ökosystem, in dem wir leben, wird es nicht retten.
Der Film von Fanny Armstrong ist daher in vielerlei Hinsicht für uns interessant. Zum einen trägt er durch künstlerische Mittel dazu bei, dass wir uns unserer Lage zunächst selbst bewusst werden. Und zum anderen zeigt er allein schon durch seine Entstehungsgeschichte, wie die Gemeinschaft trotz all ihrer festgefahrenen Gewohnheiten eben doch wandlungsfähig ist und ein Engagement zu entwickeln vermag, das weit über jede bloße politische Berechung des Künftigen hinaus reicht.
Wie die ökologische Nutzung der Ressourcen aussehen müsste und wirtschaftlich zugleich tragbar wäre, ist – trotz allen verbleibenden Forschungsbedarfs – längst klar, es müsste nur umgesetzt werden, doch gerade daran scheitert die Gesellschaft. Damit es wider allen begründeten Skeptizismus dennoch gelingt, braucht es den Funken, dank dessen die Gemeinschaft ihre natürliche Angst und Trägheit überwindet und den Elan entwickelt, der den eigenen Schatten lächelnd überspringt. Diesen Funken jedoch kann kein Wissenschaftler und kein Politiker zünden, sondern höchstens ein Künstler, der kein Propagandaziel vor Augen, sondern die Unberechenbarkeit des Schicksals und Daseins erkundet. So wie die Kunst und Literatur vor vier Jahrtausenden in Babylon die Ausgeliefertheit an die verantwortungslosen Götter überwand, so braucht es heute die Kunst zur Rettung des Planeten vor uns selbst. (hps)
Gegen diese Unsicherheit, die man keinesfalls als poetische Rhetorik abtun, sondern in ihrer selbstzerstörerischen Skepsis durchaus ernst nehmen sollte, möchte Armstrong mit ihrem Film nicht nur ein Zeichen setzen, sondern zum Handeln aufrütteln. Anders als etwa Al Gore mit seinem Klimapamphlet „Eine unbequeme Wahrheit" hat sie einen fiktionalen Rahmen gewählt, in den sie ihre eigenen Dokumentaraufnahmen einarbeitet und diese mit kommentierenden Zeichentricksequenzen zu Themen wie Konsumverhalten, Ölindustrie oder globaler Ungleichheit ergänzt.
„Was kann die Welt ändern, wenn nicht ein Film?", sagt Armstrong und zeigt mit ihrem Werk, welche Bedeutung der Kunst selbst im „Zeitalter der Dummheit" noch zukommen kann. Armstrongs Hoffnung, dass ihr Film etwas bewirken wird, könnte tatsächlich aufgehen: Zuschauer der ersten Vorabvorführungen in London äußerten sich überaus bewegt: „Der Film soll nicht glücklich machen, sondern bringt einen dazu, sich zu fragen: Was ist meine Aufgabe?", so ein ergriffener Zuschauer.
Wenn der Film am 15. März seine britische Premiere erlebt, wird er mit Satellitentechnik in 65 Kinos gleichzeitig gezeigt werden. Diese Rekordpremiere soll hervorheben, dass „The Age of Stupid" ein Film ist, der alle angeht. Seine optimistische Botschaft lautet im Kern, dass eine alternative Lebensweise möglich ist und eine Lösung der gegenwärtigen Probleme nur eine gemeinsame sein kann.
Ebenso beeindruckend wie der Film ist auch die Geschichte seiner Entstehung, die nicht nur auf dem starken persönlichen Engagement der Autorin, sondern auch auf der uneigennützigen Unterstützung tausender Briten beruht, die den Film durch Spenden finanzierten. Armstrong, die sich selbst als Amateurin betrachtet und zuvor lediglich drei andere Dokumentarfilme gedreht hat - darunter „McLibel" über den siebenjährigen Prozess von McDonald's gegen zwei mittellose Aktivisten - beschreibt die Entstehung von „The Age of Stupid" daher selbst als Work-in-Progress. Nicht nur der Film an sich, sondern bereits die Geschichte seiner Entstehung könnte sich im Nachhinein als ein erster kleiner Schritt zu einem gemeinschaftlichen Engagement für die Bewehrung der Zukunft erweisen.
Ganz zu Anfang stand jedoch die Idee eines Films über verschiedene Menschen in verschiedenen Weltregionen, deren Leben in irgendeinem mehr oder weniger direkten Zusammenhang mit der gegenwärtigen Klimaentwickung stehen. Da ist die junge Frau aus Nigeria, die für ihr Medizinstudium sparen will und feststellt, dass sie mit Ölschmuggel viel mehr Geld als mit ehrlicher Arbeit zusammen bekommt. Oder der indische Großunternehmer, der die erste Billigfluglinie seines Landes gegründet hat. Ein britischer Windfarmer ist im Kampf gegen lokale Behörden zu sehen. Auch ein amerikanischer Paläontologe wird vorgestellt, der früher für Shell arbeitete und im Wirbelsturm Katrina seine gesamte Habe verlor. Eine der charismatischsten Figuren ist ein steinalter Bergführer in den französischen Alpen, der seine Touren über die schmelzenden Gletscher trotz der schwindenden Schönheit der Gebirgslandschaft unbeirrt fortsetzt.
The Age of Stupid: final trailer Feb 2009 from Age of Stupid on Vimeo.
Die einzelnen Figuren sind auf verschiedene Kontinente verstreut und stehen in keiner direkten Verbindung zueinander, doch teilen sie dasselbe Schicksal - ein Schicksal, das sie hätten abwenden können, so die indirekte Botschaft, wenn sie gemeinsam gehandelt hätten. Im Film stellen sie keine Gemeinschaft her, doch kann man sie in ihrer Abhängigkeit von der Klimaentwicklung als potentielle Klimagemeinschaft sehen, die ihre Chance nicht ergriffen hat. Genau diese Gemeinschaft möchte Armstrong mit ihrem Film herstellen helfen.
Dass ihr Begriff von Gemeinschaft dabei keinesfalls abstrakt ist, zeigt das bereits erwähnte Finanzierungsmodell des Films. Statt sich bei Banken um Kredite zu bemühen, wählten Armstrong und ihre Mitarbeiter die Strategie des „Crowd-Fundings". So wurden die ersten 50.000 britischen Pfund an einem Abend in einem Londoner Pub gesammelt. Von einigen wohlhabenden Einzelpersonen abgesehen, besteht die Mehrheit der Investoren aus Gruppen wie einem Hockey-Team oder einer Muttergruppe. Wenn der Film mehr als eine Million Pfund einspielen sollte, erhalten die Investoren ihr Geld zurück.
Auch für den Verleih wählten Armstrong und ihre Mitarbeiter eine neue Lösung. Statt die Rechte an den Verleih abzugeben und ihm damit die Entscheidung zu überlassen, welche Veranstalter Kopien erhalten können oder nicht, blieben alle Rechte bei den Filmmachern, so dass sie den Film an Gruppen ihrer Wahl verleihen können. Auch kleine Veranstalter wie Kirchen oder Schulen bekommen so die Möglichkeit, den Film zu günstigen Konditionen vorzuführen.
Als wäre all das noch nicht genug, war Armstrong auch beim Bilanzieren der Klimafolgen ihrer Arbeit mehr als gewissenhaft: Sie führte Buch über jede Reise, die für den Film unternommen wurde, und wertete alle Rechnungen für die Produktion nach ihrem CO2-Aufkommen aus. Die Klimabilanz ist im Nachspann zu sehen. Auf die Premiere in deutschsprachigen Kinos darf man gespannt sein.
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