Seide tragen, Maulbeerbäume pflanzen

von Gunter Pauli & Haiko Pieplow

8000 Jahre lang galt fast überall auf der Welt die Fruchtbarkeit der Böden als Gabe der Götter. In China aber war es die Pflicht der Bauern, Fürsten und Beamten, die Bodenfruchtbarkeit zu schützen und zu fördern. Nur so gelang es, im am dichtesten besiedelten Land über tausende Generationen für Lebensmittelsicherheit zu sorgen. Eine zentrale Rolle spielte damals die Kultivierung von Maulbeerbäumen und die Zucht von Seidenraupen. Neben eleganter Seide entstand proteinreiche Nahrung, Tierfutter und nicht zuletzt humusaufbauender Kompost. Auch heute könnten Maulbeerbäume, Raupenkompost und Naturseide kaputte Böden wieder fruchtbar und Bauern zu wohlhabenden Klimafarmern machen.

Mit dem raschen Wachstum der Bevölkerung vor 5000 Jahren in China wurden immer mehr fruchtbare Böden zur Bereitstellung von Lebensmittel, Tierfutter, Kleidung, Baumaterialien und Feuerholz benötigt. Durch die Beobachtung, wie sich natürliche Systeme entwickeln und wie aus unfruchtbarem Land fruchtbare Böden entstehen, wurde bereits damals der Wert von Bäumen für das Mikroklima sowie als Nährstoff- und Wasserpumpen erkannt. Auf Geheiß von Kaiser und Naturphilosophen begann man damals mit dem massiven Anbau von Maulbeerbäumen (Morus alba). Diese Bäume gedeihen auch noch auf den ärmsten Böden. Das Holz hat den Heizwert von Eiche. Es lassen sich daraus sowohl schöne Möbel als auch Papier herstellen. Die Blätter dienen zum Aufbrühen von Tee, werden in der Medizin angewendet und sind ein nahrhaftes Futtermittel für Rinder, Ziegen und Schafe. Sie werden aber besonders gerne von den Raupen des Seidenspinners (Bombyx mori) gefressen, aus dessen Kokon die Fäden für die begehrte Naturseide gewonnen werden.

Maulbeerbäume für die Seidenherstellung werden eher kurz gehalten, um besser die Blätter pflücken zu können.
Maulbeerbäume für die Seidenherstellung werden eher kurz gehalten, um besser die Blätter pflücken zu können.

Nach der chinesischen Legende wurde das Geheimnis der Seide von der chinesischen Kaiserin Si Ling-Chi entdeckt, als ihr, unter einem Maulbeerbaum sitzend, ein Seidenraupen-Kokon in den Tee fiel. Sie bemerkte, dass sich durch die Behandlung im heißen Teewasser ein fester Faden von dem Kokon abwickeln ließ. Daraus entwickelte sich dann die Idee, die Fäden zu verweben und es gelang, weiche glänzende Seidenstoffe mit erstaunlichen Eigenschaften herzustellen.

Seide in China und Europa

Das Wissen um die Seidenraupenzucht, die Vermehrung von Maulbeerbäumen und die Herstellung der Seide wurde in China mehr als 3000 Jahre lang streng gehütet. Für Verrat wurde die Todesstrafe angedroht. Die Seide war zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor geworden, zur Handelsware und zu einer Quelle des Reichtums, denn schon im alten Ägypten und später im Römischen Reich war diese Seide ein begehrtes Luxusgut.

Die Seide der Seidenraupe ist die einzige in der Natur vorkommende textile Endlos-Faser. Sie besteht hauptsächlich aus Proteinen. Ihre Herstellung und Verarbeitung erfordert viel Erfahrung und Sorgfalt. Sie lässt sich um rund 15 Prozent dehnen, ohne zu reißen. Sie kühlt bei Hitze und wärmt bei Kälte. Sie kann bis zu 30 Prozent ihres Eigengewichts an Feuchtigkeit aufnehmen, ohne sich nass anzufühlen. Die Oberfläche ist schmutzabweisend und neutralisiert schlechte Gerüche. Die Seide ist knitterarm und trocknet schnell. Ein Faden aus Seide kann mehr tragen, als ein Draht aus Stahl mit gleicher Dicke. Es ist geradezu phantastisch: Die Energie der Sonne ist die Basis für das Wachstum der Blätter der Maulbeerbäume, die von den Seidenraupen gefressen und zu den Kokons für die Seidenfäden umgewandelt werden. Diese Seidenfäden sind hochkomplexe, natürliche Polymere, die im Gegensatz zu synthetischer Seide keine nicht regenerierbarer Rohstoffe wie Erdöl oder Erdgas verbrauchen.

Das Wissen um die Herstellung von Naturseide hat sich nur langsam ausgebreitet, zunächst nach Korea, Indien und Japan. Erst um 550 u.Z. gelang es christlichen Mönchen, einen Teil des Geheimnisses der Seidenproduktion zu stehlen und nach Konstantinopel zu bringen. Von dort gelangte das Wissen über Italien nach ganz Europa. Weniger bekannt ist, dass Friedrich der Große im 18ten Jahrhundert Millionen von Maulbeerbäumen in Preußen pflanzen ließ. Im Jahre 1785 erzeugte Preußen 14 000 Pfund Seide, die 30.000 Webstühlen und 12.000 Personen Beschäftigung gaben. Vor Ausbruch des ersten Weltkrieges produzierte Frankreich 500 Tonnen, Italien 4100 Tonnen und selbst in der Schweiz wurden jährlich 2,5 Tonnen Rohseide produziert. In den 1920iger und 1930iger Jahren gab es in Deutschland zahlreiche Initiativen, die Seidenherstellung zu fördern, um unabhängiger von Rohstoffimporten zu werden und später, um Fallschirmseide zu produzieren. Als nach dem Krieg die Herstellung billiger Kunstseide aus Erdöl möglich wurde, erschien den Europäern die Produktion von Naturseide als zu aufwändig, und das praktische Wissen um die Seidenraupenzucht und die Rohseidenherstellung ging in Deutschland und schließlich auch in den anderen europäischen Ländern wieder verloren.

In der Regel werden die Blätter gepflückt und in einem etwas feuchten, warmen Raum zu 15 - 20 cm dicken Lagen geschichtet und den Raupen zum Fraß präsentiert.

Während der Zusammenhang zwischen Seide und dem Maulbeerbaum im westlichen Kulturkreis gut beschrieben ist, blieb der Hauptzweck, warum in China Maulbeerbäume gepflanzt wurden, weitgehend unbemerkt. Der Glanz der Seide blendete bis heute den Blick für den wahren Wert des nachhaltigen Anbausystems, das mit der traditionellen Kultivierung der Maulbeerbäume einhergeht. Maulbeerbäume gedeihen auch auf trockenen und kargen Böden, wirken dort aber als Pionierpflanzen zur Fruchtbarmachung der Böden. Sie durchwurzeln und lockern das Erdreich, sorgen für zunehmende biologische Aktivität und beständigen Eintrag von Kohlenstoff durch die hohen Blatterträge. Je nach Standortbedingungen, Sorte und Produktionssystem produzieren die Bäume 5 bis 30 Tonnen Blätter pro Hektar und Jahr. Das ist mehr Biomasse als auf einem zur Biogasherstellung angepflanzten Maisfeld der gleichen Fläche wächst.

Ein Kilogramm Raupen (2 Millionen Larven) fressen im Laufe ihres Lebens bis zu 24 Tonnen Maulbeerblätter. Nach vier Häutungen hat die Raupe schließlich das 10.000-fache ihres ursprünglichen Gewichts gefuttert. Jetzt ist sie ungefähr fingerdick und die Verwandlung kann beginnen. In 4 bis 8 Wochen spinnt sie einen flauschigen Seidenkokon. Aus einem solchen Kokon lassen sich dann bis zu 1000 m lange Seidenfäden ziehen. Am Ende des Zyklus verwandeln sich die weißen Seidenraupen schließlich in braune Puppen.

Um die braunen Puppen von ihrem Kokon zu trennen, werden sie durch kurzzeitige Hitze abgetötet, was wenigstens für Veganer ein etwas erschreckender Anblick ist. Sowohl die Raupen als auch die Puppen sind allerdings in China als wertvolle Ergänzung der Eiweißernährung von Mensch und Tier geschätzt. Man findet sie noch heute oft auf asiatischen Märkten, wo sie gern gekauft, zubereitet und gegessen werden.

Seidenraupen-Humus

Für die Gewinnung von einem Kilogramm Rohseide werden bis zu 10 Kilogramm Kokon benötigt, wofür es die Blätter von etwa 8 Maulbeerbäumen braucht. Von einer Maulbeerbaum-Plantage von einem Hektar lassen sich jedes Jahr etwa 2 Tonnen Seide herstellen, wobei bis zu 18 Tonnen Seidenraupen-Exkremente entstehen. Diese Seidenraupen-Exkremente wurden lange Zeit als das eigentliche Hauptprodukt angesehen, denn aus diesen entstand durch gezielte Behandlung jene Humuserde, die für die sicheren, hohen Lebensmittelerträge der traditionellen chinesischen Landwirtschaft sorgte. Die Seide war im Grunde nur ein wertvolles Nebenprodukt.

Seidenraupen, Maulbeerblätter und Kokons

Die Blätter der Maulbeerbäume, die man zur Seidenherstellung oder als Viehfutter nutzt, werden nicht einzeln von den Bäumen gepflückt. Stattdessen werden mit der traditionellen Sichel blatttragende Zweige vom Baum geschnitten und dann erst in den für die Seidenherstellung eingerichteten Räumen entblättert. Für Ziegen und Kühe erspart man sich das Entblättern ganz und hängt ihnen die Zweige in den Stall. Die abgezupften oder abgefressenen Zweige schließlich eignen sich hervorragend, um daraus in traditionellen Erdmeilern Pflanzenkohle herzustellen. Wird die Pflanzenkohle mit dem Urin der Bauern und ihrer Zugtiere getränkt und danach mit den Seidenraupen-Exkrementen gemischt, entsteht einer der wertvollsten organischen Dünger und Bodenverbesserer.

Bodenfruchtbarkeit im Alten China

Die Chinesen hatten die Kunst erlernt, mit steigender Bevölkerungszahl die Bodenfruchtbarkeit zu erhöhen und dadurch immer mehr Lebensmittel zu produzieren. Sie konnten unfruchtbares Land in absehbarer Zeit fruchtbar machen und zudem hochwertige Kleidung produzieren. In der westlichen industriellen Landwirtschaft hingegen werden hohe Erträge mit einem hohen Verbrauch an nicht erneuerbaren Ressourcen wie Treibstoff und Phosphordünger erkauft und die Schädigung der Ökosysteme durch Pestizide, Stickstoffdünger und schwere Traktoren gebilligt. Durch den damit einhergehenden Humusabbau sinkt die Qualität der Böden, deren Widerstandsfähigkeit gegen klimatische Extremereignisse und somit auch die Versorgungssicherheit der Bevölkerung. Zudem gehen nicht nur zahlreiche Arbeitsplätze und Einkommensquellen verloren, sondern auch wertvolles traditionelles Wissen.

Über die Seidenstraße nach Europa und zurück

Als um 550 u.Z. in Europa die Herstellung von Seide langsam Fuß fasste, waren die Europäer kulturell offenbar noch nicht weit genug entwickelt, um den Wert von Humus und die bäuerliche Verantwortung für dessen Erhalt und Aufbau zu erkennen. Die Chinesen jedoch hatten bereits drei Jahrtausende zuvor eines der größten Bodenverbesserungsprogramme der Menschheitsgeschichte gestartet. Es übertrifft die Ergebnisse der westlichen “Grünen Revolution” bei weitem. Vom alten China können wir (ebenso wie die heutigen Chinesen) lernen, dass durch menschliche Intelligenz und den respektvollen Umgang mit der Natur ein besseres Leben ohne Zerstörung der regional verfügbaren Ressourcen möglich ist.

Die Brücke zwischen China und Europa war einst geprägt durch den Handel mit Seide. Doch die Seidenstraße, ein Symbol des Warenaustauschs zwischen Osten und Westen, ließ selten Wissen zwischen den Kulturen wandern. Patente gab es noch nicht und hätten ohne internationale Rechtsprechung und schnelle Kommunikation auch nicht durchgesetzt werden können. Wissen und Kenntnisse wurden als Teil der nationalen Souveränität verteidigt. Wissen wurde geheim gehalten und bäuerliches Wissen erst recht. Doch heute sollte die Zeit reif dafür sein, die Erfahrungen und das Wissen zu teilen, wie sich unfruchtbares Land in fruchtbaren Boden umwandeln lässt. Es ist viel sinnvoller, dieses Wissen mit den Bauern der Welt zu teilen und weiterzuentwickeln, als Waffen zu exportieren und Kriege um Ressourcen zu führen. Die Bodenfruchtbarkeit ist der Schlüssel für die Entwicklung von Zivilisationen. Für alle Hochkulturen war sie das Fundament ihres Überlebens. Alle Zivilisationen der Geschichte, denen es nicht gelang, Humus aus organischen Abfällen gezielt zu erzeugen und im Boden anzureichern und lebensfeindliche Regionen in blühende Landschaften umzuwandeln, sind schließlich untergegangen. So großartig das Beispiel des alten China ist, wenn das moderne China nicht von seinen alten Weisheiten lernt, laufen 1,3 Milliarden Menschen Gefahr, bald nicht mehr ausreichend ernährt werden zu können.

Beispiele für Einsatzmöglichkeiten von Seide

Fäden aus Naturseide werden seit vielen Jahren weltweit für komplizierte chirurgische und augenärztliche Operationen verwendet. Sie sind für diesen Zweck besonders wegen der feinen, weichen und trotzdem reißfesten Fäden geeignet, die leicht zu binden und schwer zu lösen sind. Ihre Proteinzusammensetzung ist für den menschlichen Körper gut verträglich.

Seide wird auch in anderen Bereichen der Medizin, wie für Anti-Heuschnupfen-Masken, Gaze-Pads und Bandagen für Hautkrankheiten bereits erfolgreich eingesetzt. Die Entwicklung der Technologie, Seidenfasern aufzulösen und Filme aus Seidenprotein herzustellen, hat den Weg für die Forschung und Entwicklung ihrer Verwendung für künstliche Haut, Blutgefäße und Sehnen geöffnet.

Mit Gewebesieben aus Seidengaze lassen sich besonders gut die feinen Bestandteile des Vollkornmehls für Feingebäck abtrennen. Die flexiblen feinen Maschen des Seidengewebes verkleben nicht wie bei den Sieben aus Metall.

Umweltfreundliche Angelschnüre lassen sich auch aus Seide herstellen. Seide ist als ein natürliches Material sehr gut biologisch abbaubar und verschmutzt nicht die Flüsse, Seen und Meere.

Eine Technik zur Verwendung von Seidenpulver zur Beschichtung von hochwertigen Oberflächen (Seiden-Leder) wurde entwickelt. Es wird für die Lenkräder von Luxusautos, Unterhaltungselektronik, Uhren und Federhaltern verwendet.

Eine alte asiatische Weisheit besagt, dass Obst und Gemüse länger haltbar ist, wenn es in Seide eingewickelt wird. Wissenschaftliche Tests haben gezeigt, dass Seide das beim Reifen ausgeschiedene Ethylen aufnimmt. Basierend auf dieser Erkenntnis wurde ein Industrietextil entwickelt, eine Kombination aus Seide und Polyester, mit dem sich Obst und Gemüse besser frisch halten lassen.

Seide kann sehr gut Haare durchtrennen, ohne dass dabei die Haut verletzt wird. Mit rotierenden Seidenfäden in innovativen Rasierapparaten lassen sich tausende Tonnen hochwertigen Titanstahls für Rasierklingen einsparen, welche nicht recycelt werden können und weltweit zu schätzungsweise 100 000 Tonnen Müll pro Jahr führen.

Quelle: The Japan Silk Association, Inc. und Kinkame Shigyo Co., Ltd.

Wir haben heute die Chance, das östliche und westliche Wissen mit den indigenen Praktiken Afrikas und Südamerikas zur Bodenverbesserung zu verbinden, um ausreichend gesunde Lebensmittel für alle Menschen zu produzieren. Jeder könnte überall die Erkenntnisse aus der Terra-Preta-Forschung nutzen und selbst das schwarze Gold, den Humus, produzieren. Es ist Zeit, wieder Bäume in Terra Preta zu pflanzen, zum Beispiel Maulbeerbäume, und die Nährstoff-, Kohlenstoff- und Wasserkreisläufe zu schließen.

Der gesamtwirtschaftliche Nutzen von fruchtbaren Böden geht weit über die Lebensmittelproduktion hinaus. Fruchtbare, humusreiche Böden mit kräftigem Biomassewachstum sind vermutlich der entscheidende Weg, um der Atmosphäre hinreichend Kohlendioxid zu entziehen, Kohlenstoff im Boden zu speichern, den regionalen Wasserhaushalt positiv zu beeinflussen und ohne Zerstörung der Natur hochwertige Industrierohstoffe nachhaltig herzustellen.

Naturseide versus Kunstseide

Auch wenn uns Seide dem Namen nach fast überall, in Steppjacken, Bettdecken, Fallschirmen, Unterwäsche oder Zahnseide, begegnet, ist doch die Weltproduktion von Naturseide in den letzten 100 Jahren um 85% gesunken und durch aus Erdöl hergestellte Kunstseide ersetzt worden.

Maulbeerbäume (im Rücken der Frau) eigenen sich hervorragend für Mischkulturen, hier mit Mais.

Betrug die Weltjahresproduktion von Naturseide im Jahr 1900 noch eine Million Tonnen, werden heute nur noch 135.000 Tonnen hergestellt. Dadurch gingen rund 25 Millionen Arbeitsplätze verloren. Heute wird Naturseide fast nur noch in Indien, China, Japan, Brasilien und Thailand hergestellt.. Dabei könnte der Bedarf an Maulbeerbäumen rasch wieder steigen, wenn die Nachfrage nach Naturseide durch innovative Produkte für die Medizin, für Kosmetikerzeugnisse oder für den Ersatz von Edelstahl- und Titan-Legierungen wachsen würde.

Dank der Pionierarbeit von Prof. Fritz Vollrath von der Universität Oxford ist es beispielsweise bereits heute schon möglich, aus Seidenprotein durch unterschiedliche Prozessbedingungen (Druck, Temperatur, Feuchtigkeit, Enzyme) Seidenfadenarten mit ganz unterschiedlichen Eigenschaften herzustellen. Als Vorbild dienen Spinnenfäden. Es entsteht eine völlig neue Art von biobasierten Produkten ohne hohen Energiebedarf sowie ohne umwelt- und gesundheitsgefährdende Stoffe wie Chlor, ätzende Laugen, Säuren oder andere giftige Hilfsstoffe. Erdölbasierte Polymere könnten immer mehr durch biobasierte Polymere aus Seide substituiert werden. Wird dies gefördert und die Nachfrage erzeugt, könnten bald auch unfruchtbar gewordene Regionen wieder aufgeforstet und Bodenfruchtbarkeitsprogramme zum Wohle der regionalen Bevölkerung durchgeführt werden.

Es wird geschätzt, dass für eine durchaus realistische Zunahme des Bedarfs an Seide für nicht-textile Zwecke um eine Million Tonnen, etwa 500.000 Hektar Maulbeerbäume angepflanzt werden müssten. Bei Kosten von rund 2.000 Euro pro Hektar könnten schätzungsweise 2 Millionen Arbeitsplätze generiert werden.

Kohlenstoffspeicher

Allein in der Biomasse der auf 500.000 Hektar gepflanzten Maulbeerbäume könnten jährlich 20 Millionen Tonnen Kohlenstoff gespeichert werden, was ca. 10% der Treibhausgasemisionen Deutschlands entsprechen würde. Dazu kämen jährlich noch 9 Millionen Tonnen Seidenraupenkompost und von den Zweigen zudem 1 Million Tonnen Pflanzenkohle, womit der Humusgehalt auf den 500.000 Hektar jährlich um 0,2% erhöht werden könnte. Dieser Humusaufbau würde das Äquivalent von weiteren 5 Millionen Tonnen Treibhausgasen im Boden aufnehmen. Da sich Maulbeerbäume ganz besonders für Ackerforst-Systeme eignen und zwischen den Bäumen Kartoffeln, Ingwer, Bohnen, Mais, Kohl, Kürbis und viele andere Kulturen hervorragend gedeihen, ist der Gesamteffekt sowohl hinsichtlich der Kohlenstoffspeicherung, als auch für die Wirtschaftlichkeit und die Ökosystemdienstleistungen noch viel höher.

Maulbeerbaum-Pflanzung und Reisfeld in Nepal.

Mögen die Maulbeerbäume also nicht zu Monokulturen werden, sondern Teil von biodiversen Agro-Forstsystemen, die Kohlenstoff und Wasser speichern, Böden fruchtbar machen, Nahrungsmittel und wertvolle biobasierte Rohstoffe produzieren lassen. In der Schweiz gibt es bereits wieder eine Vereinigung der Hersteller von Naturseide und neue Maulbeerbäume auf ehemaligen Weiden (Swiss Silk). Und in Nepal wurde in den Monaten nach dem großen Erdbeben ein weiterer Anfang gemacht. In einem Dorf zwischen Kathmandu und Pokhara haben sich die Bewohner versammelt und gemeinsam beschlossen, 10.000 Bäume auf den verlassenen Terrassen der Umgebung zu pflanzen. So wird der Boden vor Erosion geschützt, Trinkwasser gefiltert und gespeichert, Lebensraum für Bienen und zahllose tropische Insekten geschaffen, Humus aufgebaut und Kohlenstoff gespeichert. Neben Holz zum Bauen, zum Kochen und für Pflanzenkohle-Dünger werden die Bäume ab nächstem Jahr Tierfutter, essentielle Öle, Medikamente, Früchte, und eben Seide liefern. Denn ein Drittel der gepflanzten Bäume sind Maulbeerbäume: Agro-Aufforstung mit Pflanzenkohle in Nepal.

Prof. Gunter Pauli ist ein belgischer Wirtschaftswissenschaftler und Unternehmer, der das einflussreiche Konzept der The Blue Economy entwickelt hat und nach wie vor prägt.  1994 wurde er an die United Nations University in Tokyo berufen, um das Kyoto-Protokoll vorzubereiten. Dort co-initiierte er mit der Unterstützung der Japanischen Regierung die "Zero Emissions Research Initiative (ZERI)", die er bis heute leitet.

Der promovierte Bodenwissenschaftler, Haiko Pieplow, arbeitet im Bundesministerium für Umwelt und gehört zu den kreativsten Vordenkern für die Umsetzung geschlossener Stoffkreisläufe in urbanen und semiurbanen Räumen. Neben seiner Arbeit im deutschen Umweltministerium hat er auf zahlreichen Workshops und Vorträgen viele Menschen und ganze Regionen von den Möglichkeiten der Terra Preta Kultur überzeugt. Er hat entscheidenden Anteil daran, dass in Deutschland der Einsatz von Pflanzenkohle inzwischen mehrheitlich als Teil eines umfassenden biologischen Abfallmanagment gesehen und angewendet wird.

  • Hans Söhl
    25.11.2015 07:03

    Hallo,

    Im Frühling 2016 werde ich einen Agroforststreifen anlegen und auch Maulbeerbäume mit einpflanzen.
    Es gibt ja schwarze und weiße Sorten der Maulbeere, und da ist meine Frage, ob die Wertigkeit für den Humusaufbau bei allen Maulbeerbäumen gleich ist und ob diese Bäume durch das Aufasten zu geraden Stämmen gezogen werden?
    Für einen Tipp in diese Richtung währe ich Ihnen dankbar.

    Viele Grüße

    Hans Söhl

    • hps
      25.11.2015 07:58

      Als Faustregel gilt, dass Maulbeerbäume überall da gut gedeihen, wo auch Weinbau betrieben wird. Für die Seidenproduktion wird die weisse Maulbeere verwendet. Bezüglich der Stammform ist es wie bei Apfelbäumen, sie lassen sich als Hochstamm, Niederstamm oder auch als Büsche aufziehen. Es gibt weisse Maulbeerbäume, die über 15 Meter hoch sind und sie können hunderte Jahre alt werden. Die schwarze Maulbeere hat den Vorteil der leckeren Früchte, die sich auch gut trocknen lassen. Für den Humusaufbau sollten beide gut geeignet sein, allerdings lässt sich vom schwarzen Maulbeerbaum eben kein Seidenraupenkompost gewinnen. Schöne Grüsse und schicke doch bitte ein Foto von Deiner Pflanzung. hp

  • uwe thomas
    07.12.2015 11:19

    mal wieder ein sehr faszinierender und auch für den laien sehr verständlicher artikel.

    habt ihr zufällig quellen für den bezug von seidenangelschnur und den ebenso genannten seidenrasierer?

    über die suchmaschinen konnte ich leider nichts finden.

    vielen dank in jedem fall für die bereits hier aufgezeigten informationen.

  • H. Hanke
    08.12.2015 09:25

    Hallo

    schon seit einigen Jahren habe ich meinen Garten mit einer Hecke umgeben, in der auch mehrer Maulbeerbäume(schwarz)stehen. Ich mag diese Bäume und auch die Früchte sehr. Aber, dass Sie sich besonders gut für Mischkultur empfehlen, kann ich fast nicht glauben. Die Bäume haben ihre Wurzeln wirklich überall und sie nehmen schon ziemlich viel Licht weg. Was gibt es da für Erfahrungen, auch auf die Auswirkungen auf den Ertrag.

  • HPS
    23.12.2015 07:05

    Die Maulbeerbäume haben tatsächlich ein sehr dichtes, oberflächliches Wurzelwerk, weshalb sie für eine unmittelbare Mischkultur (also gassenweises Bepflanzen mit Zwischenkultur) weniger geeignet sind. In Nepal pflanzen wir sie insbesondere an den oberen Rand der Terrassen, so dass sie die Ränder gegen Erosion schützen, ohne den Pflanzen auf der Terrasse zu viel Wasser und Nährstoffe zu entziehen.

  • Christel Oswald
    11.03.2016 15:11

    Ein sehr interessanter Artikel. Ich wohne auf der Kanareninsel La Palma, hier gibt es noch eine ganz kleine traditionelle Seidenproduktion, die leider nur Dank Subventionen noch überlebt und ein Seidenmuseum in El Paso und sehr viele schwarze Maulbeerbäume mit leckeren Früchten. Die positiven Effekte der Bäume und des Raupenhumus sind hier unbekannt.
    Nachtrag: Da es hier zur Seidenproduktion nur die schwarzen Maulbeerbäume gab, müssten sich deren Blätter ja auch in Raupenhumus verwandeln lassen.

  • Meike Neele
    23.02.2018 10:43

    Im ewigen Einklang mit der Schöpfung: Sonne, Maulbeerbaum und Seide schwingen wie die pure, reinste Einheit selbst - das Licht, die Liebe und das Leben!

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