Der Weinberg - Ein einzigartiger Lebensraum

von Julia Steil

Sieht man die toten Böden konventioneller Weinbau Monokulturen, braucht es viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass Weinberge noch vor 50 Jahren einzigartige Lebensräume für unzählige Pflanzen- und Tierarten waren. Damit dies auch in Zukunft wieder so sein wird, braucht es Mut zu neuen Wegen und die Resultate der Forschung, die zeigen, wie sich dies auch wirtschaftlich sinnvoll gestalten lässt.

rotkelchenWeinberge sind vom Menschen gestaltete und genutzte Flächen. Aber gerade durch diese Nutzung kommt es in Weinbergen zu einem kleinflächigen Strukturmosaik und damit verbunden zu einer Lebensraumdichte- und vielfalt, die den Weinberg als Standort für viele Tier- und Pflanzenarten auszeichnet. Vor allem in alten Weinbergen wechseln sich Rebflächen, Streuobstbestände, Wiesen und artenreiche Wildkraut- und Staudenfluren auf engstem Raum ab. Trockenmauern und Treppen, verbuschte Steinriegel, Geröllhalden und schattige Hohlwege bieten seltenen Tier- und Pflanzenarten Rückzugsmöglichkeiten. Hecken, Gebüsche, Feldgehölze und Bäume, die den Weinberg durchsetzen, aber auch alte Weinberghäuschen erhöhen die Strukturvielfalt. (3, 10 , 11)

Günstiges Kleinklima

spinneDie hohe Artendiversität im Weinberg wird aber nicht nur durch die Strukturvielfalt bedingt. Aufgrund der besonderen Lage der Flächen - überwiegend an sonnenbeschienenen Hängen - bilden Weinberge Wärmeinseln in der Landschaft. Sie sind Standorte für wärmeliebende, oft seltene Tier- und Pflanzenarten mit mediterranem und kontinentalem Verbreitungsschwerpunkt. (9, 11, 2, 3) Außerdem herrschen auf den Rebflächen durch den Wechsel von offenen und beschatteten Flächen, sowie durch die vielfältigen Formen der Bodenpflege unterschiedlichste kleinklimatische Bedingungen. So entdeckt man z. B. trockenheitsliebende und lichtbedürftige Eidechsen neben schattenliebenden Spinnen. (10)

Ist der Weinberg ein vom Menschen geprägter Lebensraum, kann auch die Pflanzen- und Tierwelt, die sich dort angesiedelt hat, keine natürliche Lebensgemeinschaft sein, wie wir sie in einem Moor oder einem unberührten Wald vorfinden würden. Sie ist im Laufe der Geschichte durch die Tätigkeit des Menschen bedingt worden und wird durch diese erhalten. (9)

Nicht nur Wein...

...wurde ursprünglich in einem Weinberg angebaut. Weinbau, Obstbau und Gemüsebau gehören traditionell zusammen. „Das Landschafts(..)bild der Weinberge bereichern einige Kulturpflanzen, die überall den Weinberg kennzeichnen" (9). Da sind zum Beispiel Mandel, Pfirsich, Quitte, Kirsche und Zwetschge, aber auch Zwiebel, Knoblauch, Linsen, Kürbis, Tomate und Rhabarber. Neben Kulturpflanzen findet man auch Gartenflüchtlinge und alte Nutzpflanzen unter den typischen Weinbaubegleitern. Da wäre z. B. die Weinraute zu nennen, die in früherer Zeit wegen ihrer Gerbstoffe dem Wein zugesetzt wurde und die eine wichtige Brutpflanze für den in Teilen Europas selten gewordenen Schwalbenschwanz-Falter ist. Färberkamille und Färberwaid wurden zum Färben von Wolle und Stoff, das Seifenkraut zum Waschen derselben, verwendet. Die Kermesbeere wurde früher dem Wein beigemischt um diesen zu färben. Gewürze wie Lavendel, Rosmarin, Wermut und Melisse süßen die Luft und bieten Wildbienen und anderen Insekten ein reiches Nahrungsangebot. (6, 7, 9 10,)

Auf Randflächen kommen Gehölze wie Heckenrose, Weißdorn, Holunder oder Hartriegel auf. Kopfweiden zeugen davon, dass man früher Weidenruten zum befestigen der Reben verwendete. (7, 10)

Werden Trockenmauern nicht mit Herbiziden behandelt, findet man dort Mauerpfeffer, Zimbelkraut, Mauerraute, Fetthenne und  seltene Farn- und Moosarten. (10)

Bunte Tierwelt

Das vielfältige Pflanzenangebot bietet wiederum vielen Insekten Nahrung und Lebensraum. Die Feldwespe baut aus dem Holz morscher Weinbergpfähle ihre Waben. Sie ist ein Nützling im Weinbau, da sie ihre Larven mit den Raupen des Traubenwicklers füttert. (9)

Lesesteinhaufen bieten an Trockenheit angepassten Arten Lebensraum. Darunter sind z.B. Schlupfwespen und Schwebfliegen, die dem Weinbauer nützlich sind, da sie zur Schädlingsregulation beitragen. In und an Trockenmauern leben Blindschleiche, Ringelnatter sowie verschiedene Krötenarten. Außerdem Zaun- und Mauereidechsen und Insekten, wie Mörtelbienen, Hummeln, Hornissen, Maulwurfs- und Feldgrillen und Blutzikade. Bunte Schmetterlinge wie Mauerfuchs, Kaisermantel, Schwalbenschwanz, Distelfalter, Schachbrett, Hummelschwärmer und Silbergrüner Bläuling taumeln in der Luft. Der berühmten Weinbergschnecke ist es im Weinberg selbst zu trocken. Sie findet aber im Gebüsch um die Weinberge und in den Fugen schattiger Mauern Quartier. (10, 11)

Die vielen Früchte und der Insektenreichtum schaffen ideale Voraussetzungen für eine vielfältige Vogelwelt. Heckenbraunelle, Feldschwirl, Rotkehlchen, Nachtigall,  Singdrossel, Heidelerche, Buntspecht, Mönchsgrasmücke leben im Weinberg. In trockenen Mauerhohlräumen nisten Steinschmätzer und Hausrotschwanz. Alte Winzerhäuschen nutzt die Bachstelze als Brut- und Rastplatz. (9, 11)

blaumeise

Das Bild des bunten, duftenden, summenden und singenden Weinberges kennen wir vor allem aus der Zeit vor 1945. Danach ging Struktur- und Artenvielfalt häufig durch Flurbereinigungen und der damit verbundenen Nutzungsintensivierung verloren. (11) Das muss nicht sein. Für den Weinbauern gibt es vielerlei Möglichkeiten, in Einklang mit der Tier- und Pflanzenwelt zu wirtschaften, ohne einen Effizienzverlust in Kauf nehmen zu müssen. (4) So würde der Weinberg zum lebendigen Beispiel dafür, dass Nutzung der Umwelt durch den Menschen nicht immer mit einer Abnahme der Artenvielfalt einhergehen muss.

[Fotos aus Mythopia von Patrick Rey]

Literaturhinweise

(1) Dalbeck, L. & Haese, U. 2006: Entwurf einer Artmonographie für die Herpetofauna      Nordrhein-Westfalen: Mauereidechse - Podarcis muralis (Laurenti,         1768).            www.herpetofauna-nrw.de/Herpetofauna/pdf/Mauereidechse_Monographie.pdf (abgerufen: 16.03.2009)

(2) Epperlein, K. 2004: Zur Insektenfauna der Weinberge am Süßen See im April 2004. - In: DgaaE_Nachr. 18(3), 2004, S. 92-94.

(3) Höchtl F., 2007: Strategien zur Entwicklung von historischen Terrassenweinbergen -   Winzer, Denkmalpflege und Naturschutz auf einem gemeinsamen Weg. -       Anliegen Natur, 31. Jahrgang/2007, Heft 2, S. 19-26.

(4) Hutter C.-P, et al. 1995: Lebendiger Weinberg. Weinbaugebiete als       Naturerlebnislandschaften. - Stiftung Landesbank Baden-Württemberg Natur und     Umwelt (Hrsg.), Stuttgart, Naturschutz im Kleinen 28, 76 S.

(5) Junghans, Th. 2005: Zur Kormophytendiversiät von Mauern im Raum Mannheim-         Heidelberg (Baden-Württemberg).  http://www.ruderal-vegetation.de/epub/             kormophytendiv.pdf (abgerufen: 16.03.2009)

(6) Jüttersonke 1999: Zur Vegetation von Saumbiotopen. - In: Forster, R. 1999 (Hrsg.):     Biozönosen von Saumbiotopen im landwirtschaftlichen Einflussbereich:            Beeinflussung durch Pflanzenschutzmitteleinträge. Mitt. Biol. Bundesanst. Land-     Forstwirtsch. 387, 2001, S. 41-48.

(7) Konold W. 2007: Die Schönheit und Eigenart der Weinbaulandschaft: der         Hohenasperg als Vorbild oder als Sündenfall?. - Schwäbische Heimat 2007/3:    276-283.

(8) Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Württemberg (LfU) 1998: Fachdienst    Naturschutz, Naturschutz-Info 3/98, Karlsruhe, 58 S.

(9) Linck, O. 1954: Der Weinberg als Lebensraum - Am Beispiel des Neckarlands. -        Verlag der Hohenloh´schen Buchhandlung F. Rau, Öhringen, 72 S.

(10) Nieder G. & Höbaus E. 1986: Krankheiten, Schädlinge und Nützlinge im Weinbau. - Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Wien, 127 S.

(11) Ullmann, J. 1988: Lebensraum alter Weinberg. - Bayerisches Staatsministerium für   Landesentwicklung und Umweltfragen, München, 19 S.

  • Ludger Alofs
    05.05.2009 16:11

    Das ist dem Naturschutz seit etwa 30 Jahren bekannt, was die Autoren in diesem Buch schreiben. Schön, dass jetzt die Einsicht mittels Büchern weitergericht wird. Ob das die Chemie-orientierte Weinbaulobby überzeugen wird?

    L. Alofs

  • Stefan Schmid
    13.06.2013 14:39

    Lieber Ludger, da muss sich der Naturschutz aber schämen. Dieses Wissen war schon 1900 bekannt. Und das ist auch das Problem. Die Profis für den Naturschutz haben 70 Jahre gebraucht um altes Wissen wieder zu entdecken. Man hätte nur Preuschen, Francis Chaboussou etc. lesen müssen. In den Schulen hörte und hört man heute noch nichts davon (weil die Lehrer selbst es nicht wissen). Der Winzer muss sich von den vorgefertigten Informationen trennen und sich selbst informieren. Auf ithaka-journal.net zum Beispiel.

  • Josef Fedick
    15.09.2013 07:07

    Lieber Herr Schmid, der Winzer muss sich von keinen vorgefertigten Infor- mationen trennen. Er muss sich nur erinnern, wie die Weinberge zu Zeiten
    seiner Eltern und Großeltern ausgesehen haben, bevor in den frühen
    60er-Jahren Herbizide und Fungizide ihnen die Weinbergsarbeit erleichterten.

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