Kunst des Landbaus
von Daniela Bringer
Chinesische Medizin, Kunst und Philosophie sorgen in der westlichen Welt schon seit langem für Bewunderung. Doch dass diese für uns so eindrückliche Lebensweisheit in der Kunst des Landbaus wurzelt, wurde bisher weitestgehend ignoriert. China ist nicht erst seit dem 20. Jahrhundert das bevölkerungsreichste Land, sondern schon seit vielen hundert, ja tausend Jahren.
Anders als im mittelalterlichen und neuzeitlichen Europa galt in China die bäuerliche Tätigkeit nicht etwa als Schande, sondern als Erfüllung. Da, wo der Mensch sich durch sein Können, seine Intelligenz und Erfahrung so in die Natur integriert, dass er die Natur von Innen heraus für sich arbeiten lässt, wird jede Zwiebel, die im Hirsefeld wächst und durch ihren stechenden Geruch die Schädlinge der Hirse fernhält, zum Erfolgserlebnis und somit nicht nur zur Ernährungsgrundlage, sondern auch zur Befriedigung, ja zum Glück des Bauern selbst.
Lange vor der Industrialisierung ernährte der chinesische Landbau bereits über 300 Millionen Menschen, wobei die am meisten genutzten Werkzeuge Schaufel und Hacke waren. Das allem zu Grunde liegende Erfolgsprinzip beruhte auf einem tiefen Verständnis für die Vorgänge des Bodens sowie den ewigen Kreislauf von Wachstum und Zersetzung. Durch die komplexe Kombination von Mischkulturen, Gründüngung, Kompostwirtschaft und Direktsaat, durch die hochintelligente Nutzung der natürlichen Ressourcen und durch das komplette Recycling sämtlicher Abfälle, gelang es den chinesischen Bauern über Jahrtausende hinweg, bis zu fünf Ernten pro Jahr und Feld einzubringen, ohne ihre Böden je zu ermüden.
Einheit der Gegensätze
Das taoistische Prinzip des Yin und Yang, die Balance der Gegensätze, bildet die Wurzel der chinesischen Tradition. Dieses Gleichgewicht umfasst die sich ständig ändernden Elemente, die das Leben ausmachen. Die Erkenntnis führt zu einer Ganzheitlichkeit des Denkens, auf deren Basis ein nachhaltig orientiertes Vorgehen Form gewinnen kann. Solch ein Denken lässt sich nicht kopieren oder als Philosophie übernehmen. Es muss wachsen und aus sich selber heraus weiter entwickeln, so wie es in Jahrtausenden im bäuerlich geprägten China geschah.
Landbaukultur
Schon 1878 erkannte Justus Liebig in seinem 50. Brief der Reihe „Chemische Briefe": Der europäische Landwirth hat seit Jahrhunderten nur ausgeführt und nichts ersetzt, und seine Felder haben an Fruchtbarkeit stetig abgenommen. Der chinesische Landwirth hat seit Jahrtausenden die ausgeführten Bodenbestandtheile seinen Feldern wieder ersetzt, und ihre Fruchtbarkeit hat mit dem Steigen der Bevölkerung stetig zugenommen.
Der Beginn bewusster ackerbaulicher Planung liegt in China mehr als 4000 Jahre zurück. Im eigentlichen Sinne handelte es sich um eine gärtnerische Vorgehensweise, aus der sich erst Jahrtausende später regelrechte Landwirtschaft entwickelte.In Grubenspeichern der Cishan-Kultur zwischen 5400 und 5100 v. Chr. fand man bereits Hinweise auf Hirseanbau, für deren Wachstum sich die Lößböden als besonders zuträglich erwiesen. Um die feinkörnige Hirse besser einsäen zu können, wurden die größeren Löß-Erdschollen zerschlagen. Da an Hanglagen das geringe Gewicht des Saatguts die Gefahr einer Auswaschung mit sich brachte, wurde die Aussaat auf die ersten Monate des Jahres gelegt, so dass sich vor den ersten starken Regenfällen bereits ausreichend Wurzeln bilden konnten. Sowohl zur Bodenbefestigung als auch zur dauerhaften Nährstoffversorgung wurden schon damals tiefwurzelnde Leguminosen in die Hirsefelder an den terrasierten Hanglagen eingesät.
Die Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur verlangte nach Einbeziehung aller Kräfte. Der Daoismus gab entscheidende Wege vor. Wu wei, eine Grundhaltung des Nichtintervenierens gegenüber Natur und Gesellschaft, fordert z.B., Wasser laufen zu lassen, wie es die Natur vorgibt. Besser dem Wasser Öffnungen lassen als sich ihm frontal entgegensetzen, übersetzt J. Radkau dieses Prinzip. Somit ergibt sich eine Handlung durch Nicht-Handlung. Chia Jang, Ingenieur der Han-Zeit, riet, dem Jangtse möglichst viel Bewegung zu lassen, denn [...] Flüsse seien wie Kindermünder, wenn man sie zu stopfen suche, schrien sie nur umso lauter oder würden erstickt.
Für die ländliche arme Bevölkerung war es neben der Konfrontation mit der Natur eine politische Auseinandersetzung, ein stetiger Kampf um das Recht auf Leben. Wir graben Brunnen und trinken, wir pflügen Felder und essen. Was kümmert uns die Macht des Herrschers (221 v.Chr.).
Es galt die Balance zu finden, die Kraft des Bodens zu nutzen und gleichermaßen zurückzuführen. Meng tsu (Menzius 372-289) warnte schon früh vor Unbedachtheit, denn die Abholzung der Wälder und der Verlust der menschlichen Güte verliefen parallel. Die Wälder haben der Natur getrotzt, aber Vieh und Ziege haben sie gebrochen.
Aus diesen Erkenntnissen erwuchs unter anderem das System des Waldfeldbaus, bei dem am Rande der Terrassen Fruchtbäume gepflanzt wurden. Auch später wurden die Gefahren einer Ausnutzung der Natur immer wieder benannt, so durch Pao Ching-yen (405-466): dass man den Zimtbaum entrindet und den Lackbaum anzapft, ist nicht das Anliegen dieser Bäume, dass man den Fasan rupft und den Eisvogel zerfetzt, ist nicht der Wunsch dieser Vögel. Dem lag das Denken zugrunde, dass Gewalt gegen die äußere Natur auch Gewalt gegen die menschliche Natur erzeugt (Ko-Hung 284-364)
Ein bäuerlicher Kalender aus der Han-Zeit (um 500) gibt eine Reihe von Vorgaben zur vielfältigen Bodennutzung. Nacheinander, nebeneinander oder im gleichen Feld vermischt sollten demnach Rispenhirse, Kolbenhirse, Sorghum, Gerste, Reis, Gartenbohne, Adzukibohne, Puffbohne, Sojabohne, Zuckermelone, Flaschenkürbis, Hanf, Sesam, Rübse, Porree, Knoblauch, Wasserpfeffer, Sesamblatt, Luzerne, Ingwer, Senf, Taro, Quirlmalve, Spitzklette, Aprikose, Pfirsich, Chin. Pflaume, Jujube, Bitterorange, Lacksumach, Maulbeerbaum und Tungbaum gesät bzw. gepflanzt werden.
Dank günstiger klimatischer Bedingungen breitete sich ab dem frühen 12. Jh. v. u. Z. der Reisanbau aus. Als besonders effizient erwies sich die Vorbereitung auf Anzuchtbeeten mit späterem Umsetzen der Reispflanzen in Feuchtgebiete oder möglicherweise auch in vorbewässerte Flächen. Zwei Reisernten pro Jahr waren üblich, und während des Winters und des frühen Frühlings konnten Getreide, Kohl, Raub, Erbsen, Bohnen, Lauch und Ingwer die Felder belegen, sodass sich eine dritte und vierte Ernte ergab.
Gerätschaft
Gerätschaften wie Pflüge oder Pfluggespanne wurden im Ackerbau bis zur Han-Dynastie ab 200 v. Chr. kaum genutzt, sofern sie überhaupt schon existierten. Gängig waren hingegen einfachste Werkzeuge wie Gabelspaten, Spaten, Hacken und Schaufel. Mit ihnen wurden der Boden umgebrochen und Saatbeete angelegt. Die Kraft an sich ergab sich aus dem Zusammenspiel aller Beteiligten, wobei die Familienmitglieder ihre Funktion ähnlich einem System aus vielen Zahnrädchen in einer hoch funktionalen Maschinerie erfüllten.
Fruchtbarmachung und Düngung
Für die Fruchtbarmachung der Böden diente im Bereich der nordchinesischen Ebene die Methode der Brandrodung, die zu guten Ernteerträgen über ein bis zwei Aussaaten führte. Dann erst folgte eine Düngung. In späteren Dynastien entwickelten sich Rotationssysteme mit verschiedener Fruchtfolge einschließlich der Verwendung von Leguminosen. Fäkaliendüngung wirkte der Bodenmüdigkeit durch ständigen Hirseanbau entgegen. Sie erfolgte insbesondere im Umfeld größerer Ansiedlungen, wo allgegenwärtige Händler das wertvolle Düngemittel den Städtern jeden Morgen gegen bare Münze abkauften. Ausgebracht wurde dieser Dünger mit Hilfe großer Holzkübel, jedoch nur in regenarmen Phasen, was als Vorsichtsmaßnahme gegen Verunreinigungen der Wasserläufe diente. Fäkalienträger verteilten den z.T. auf Schiffen frühmorgens heran gebrachten Dünger, indem sie barfuß durch die Felder gingen und die auf den Schultern getragenen verdünnten Mengen mit langstieligen Kellen ausbrachten. Stand ausreichend Dünger zur Verfügung, konnten Rodungen organisiert werden. Die Effizienz des genutzten Düngers ergibt sich aus den Inhaltsstoffen Stickstoff, Phosphorpentoxid, Kaliumoxid sowie in kleinen Mengen auch Kalzium und Schwefel. Zur Vermeidung gefährlicher Infektionen über Bakterien, Viren und Wurmeier wurden die Fäkalien zunächst kompostiert, was zu einer Zersetzung mit Hitzebildung und somit der Destruktion pathogener Substanzen führte.
Der enorme Anstieg des Nahrungsmittelbedarfs führte jedoch auch in China seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts zu einer Intensivierung der Flächennutzung. Entgegen der tradierten Ressourcenschonung wurde der Fokus durch extreme Stickstoff-Düngung, zu enge Fruchtfolgen und Überdimensionierung von Bewässerungsflächen auf möglichst hohe Ernteerträge verschoben. Zwangsläufig führte diese Abwendung von der ursprünglichen Landbewirtschaftung zu massiven Umweltproblemen in Form von Wasser, Boden- und Luftverunreinigungen sowie einer folgeschweren Grundwasserspiegelsenkung. Aktuell erkennt China wieder die Notwendigkeit, zum Ursprung des Landbaus zurückzukehren, denn der Preis für die Naturzerstörung ist höher als der Ertrag aus ökonomisch erscheinender Fehlnutzung. Hier sei daher nochmals Justus Liebig zitiert, der trotz seiner intensiven Versuche, der Bevölkerung den Nutzen der Chemie zu vermitteln, das Wesentliche nicht aus den Augen verlor:
Jeder Landwirth, der einen Sack Getreide nach der Stadt fährt, oder einen Centner Reps, oder Rüben, Kartoffeln etc., sollte, wie der chinesische Kuli, eben so viel (wo möglich mehr) von den Bodenbestandtheilen seiner Feldfrüchte wieder aus der Stadt mitnehmen, und dem Feld geben, dem er sie genommen hat; er soll eine Kartoffelschale und einen Strohhalm nicht verachten, sondern daran denken, dass die Schale einer seiner Kartoffeln und der Halm einer seiner Aehren fehlt.
Matthias
15.03.2009 22:39
Ein Hinweis auf menschliche Tradition
wo gibt es die schon?
zusammen mit nährendem Genuss,
eine Freude, dies zu lesen am Wochenschluss!
Schöne Fotos,
schön gestaltet!
Wir versuchen es zu übertragen
auf Lebensraum und Baukultur.
Auf eine gute Woche
für einen guten Jahrgang 2009!
Andrea
29.03.2009 21:00
... und was lehrt uns das ?? Das wir der Natur mehr entnehmen (aus den Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen) als sie uns "hergeben" kann!
Es ist wie mit der Wirtschaftskrise - im Grunde leben wir (zumindest in den "hochentwickelten" Staaten ) über unsere Verhältnisse.
Ein schöner Beitrag, aufklärend und zum Nachdenken interessant.
Honegger Franz
04.05.2009 06:19
Ein herrlicher Artikel der bestätigt, was moderne Landwirtschaft eben alles zu Grunde richten kann. Gebt der Natur das zurück, was man ihr entzieht, und nicht künstliche, chemische Zusätze, die vieles wieder kaputt machen.