Gesunde Ernährung aus lebenden Böden

von Hans-Peter Schmidt

Die menschliche Gesundheit beginnt nicht erst bei einem bewusst vielfältigen Speiseplan, sondern bereits bei der Sorge für gesunde landwirtschaftliche Böden, auf denen unsere Grundnahrungsmittel heranwachsen.

Oft schon wurde in der Vergangenheit die Frage gestellt, ob es ein einzelnes Nahrungsmittel gibt, das alle lebensnotwendigen Nährstoffe enthält, um sich ein Leben lang einzig davon ernähren zu können. Milch, Spinat, Kartoffeln, Reis, Fisch, Getreide, vieles wurde erwogen und auch in wissenschaftlichen Langzeitstudien untersucht. Doch auch wenn man mit so genannten Monodiäten monatelang, ja zum Teil sogar jahrelang überleben kann, irgendwann werden Mangelerscheinungen unübersehbar, führen zu Krankheiten und letztlich zu frühzeitigem Tod. Dass für den Menschen eine der wichtigsten Grundlagen gesunden Lebens in seiner vielfältigen und ausgewogenen Ernährung liegt, steht seit langem außer Zweifel, dass dies jedoch auch für Pflanzen in genau der gleichen Weise zutrifft, wird sogar von den meisten Bauern ignoriert.

Weinberg auf totem Boden
Weinberg auf totem Boden

Egal ob im Gewächshaus oder auf Obstplantagen, egal ob im Getreidefeld oder im Weinberg, die Nährstoffbilanzen der angebauten Pflanzen werden auf das magische Quadrat N-P-K-Mg reduziert. Doch wenn Pflanzen lediglich in Nährstofflauge aus den Salzen von Stickstoff (N), Phosphor (PO4), Kalium (K) und Magnesium (Mg) stehen bzw. die Böden einzig mit diesen chemisch synthetisierten Mineralien gedüngt werden, verlieren nicht nur die Früchte dieser Pflanzen ihre aromatische Fülle, sondern die ganze Pflanze ihre Gesundheit. Die durch Mangelernährung geschwächten Pflanzen können sich nicht mehr aus eigener Kraft gegen Umwelteinflüsse verteidigen und müssen unablässig mit Medikamenten, sprich Pestiziden, behandelt werden, damit sie überhaupt zur Reife gelangen. Längst ist es in der Landwirtschaft zu unhinterfragter Normalität geworden, dass Kulturpflanzen ohne Pflanzenschutzspritzungen keine wirtschaftlich vertretbare Ernte einbringen. Dies geht so weit, dass man sich kaum noch vorstellen kann, wie sich die Menschen eigentlich vor der Erfindung der Agrochemie zu ernähren vermochten.

Lebenszeit von Rebstöcken

Lebender Weinbergsboden
Lebender Weinbergsboden

Früher wurden Rebstöcke im Schnitt über 100 Jahre alt und brachten stets stabile Erträge, wenn auch im Alter etwas weniger. Heute hingegen beträgt die mittlere Lebensdauer eines konventionellen Rebstockes lediglich 35 Jahre, danach sterben die Stöcke entweder von selber ab oder ihr Ertrag sinkt unter die wirtschaftlich vertretbare Grenze. Ernährt werden diese Reben fast ausschließlich durch synthetische N-P-K-Mg-Dünger. Alles sonstige Bodenleben wird durch Herbizide vernichtet. Zudem werden während der Wachstumssaison sechs bis acht Pestizidspritzungen gegen zerstörerische Pilze und andere Schädlinge nötig, denn ohne diese „Behandlungen" würden im Spätsommer nicht nur keine Trauben, sondern auch keine Blätter mehr an den Reben hängen. So erschreckend diese nüchterne Bestandsaufnahme erscheint, für traditionelle Winzer ist dies wie für fast alle Bauern so völlig normal geworden, dass man sich nicht einmal fragt, wie sich die über zweitausendjährige Weinkultur in Europa ohne all die chemischen Mittel hatte herausbilden können.

Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts galt Wein nicht nur als wertvolles Nahrungs-, sondern auch als Heilmittel, was sich nicht zuletzt auf seinen enorm vielfältigen Gehalt an Spurenelementen und organischen Molekülen zurückführen lässt, die die Pflanze aus gesunden Böden aufnimmt und verarbeitet. Zudem wird gesunder Wein von hunderten Millionen Hefen, Bakterien und Pilzen belebt, die ihn zu einem wirklich lebenden Lebensmittel machen, das auf veränderte Umweltbedingungen reagiert, sich über Jahre weiterentwickelt, altert und irgendwann wie jedes Lebewesen zu sterben beginnt.

Wie aber gelangt all das Leben in die Traube?

Wurzel mit Mykorrhizen
Wurzel mit Mykorrhizen

In einem Gramm gesunden Bodens leben rund 1 Milliarde Mikroorganismen, die zu rund 60.000 verschiedenen Arten gehören. In der Hauptsache handelt es sich dabei um Bakterien, Pilze, Protozoen und Nematoden, die zwar alle mit bloßem Auge nicht sichtbar sind und daher von den Praktikern gern ignoriert werden, aber man muss nur einmal einen Blick durchs Mikroskop wagen, um fassungslos das vielfältige Leben dieses Mikrokosmos zu bestaunen. Etwa 90% allen Lebens unseren Planeten findet im Erdreich statt, wo es filigrane, hochkomplexe Netzwerke bildet, in denen alles von allem abhängig ist und die Organismen sich gegenseitig funktional ergänzen. Im Grunde lässt sich der Boden auch als ein Organismus an sich beschreiben, der sich auf die fein aufeinander abgestimmten Funktionsweisen seiner Glieder stützt. Der Boden lebt, doch nur dann, wenn es eine Vielzahl verschiedener Pflanzen gibt, deren Wurzeln in verschiedene Erdschichten reichen und den Boden das ganze Jahr über mit vielfältigen Nährstoffen versorgen, um die Nahrungskette von Mikroorganismen, Makroorganismen und Pflanzen zu schließen. Es ist ja nicht so, wie es in der Agronomie mitunter scheint, dass sich die Pflanzen lediglich aus dem Boden ernähren und ihm nichts zurückgeben würden. Pflanzen speichern in ihren Zellen Kohlenstoff, den sie aus der Luft aufnehmen, sowie Mineralien und Wasser, die sie aus dem Boden aufnehmen. Sterben Pflanzen ab, werden ihre Blätter, Wurzeln, Äste von Würmern und Käfern zerkleinert, dann von Mikroorganismen zu Elementarstoffen aufgebrochen und erneut im Boden verteilt, wo sie wieder zu Nährstoffen neuer Pflanzen werden. Solange der Mensch nicht eingreift, den Boden monokulturell bestellt und radikal aberntet, herrscht ein quasi unendlicher natürlicher Nahrungskreislauf vor.

Protozoa
Protozoa

Entgegen der allgemeinen Vorstellung, dass wachsende Pflanzen dem Boden nur Nährstoffe entziehen, geben sie über ihre Wurzeln auch so genannte Exsudate an das Erdreich ab, wodurch sie Pilze und Bakterien anlocken, mit denen die Pflanze Nahrungspartnerschaften eingeht. Über die Exsudate organisiert sich jede Pflanzenart im Umkreis ihrer Wurzeln quasi einen eigenen Kleinstaat aus artenvielfältigen Bakterien, Pilzen, Protozoen, Algen, Nematoden. Zwischen Pflanzenwurzeln, Bakterien, Mykorrhizen und zahlreichen anderen Kleinlebewesen besteht ein hochfunktionales Kooperationsnetzwerk, das sich dank seiner Vielfalt selbst reguliert und verhindert, dass sich eine einzelne Art durch massives Auftreten zu einer Schädlingsplage ausweitet und das System aus dem Gleichgewicht bringt.

Zerbricht man jedoch durch Herbizide, Mineraldünger und Monokulturen diesen Nahrungskreislauf und tötet das mikrobielle Leben im Boden ab, können sich die Pflanzen nur noch sehr begrenzt mit wichtigen anderen Elementarstoffen versorgen. Die Pflanze verarmt, wird anfällig und krank. Es mag zwar sein, dass sie wie ein Jugendlicher mit Fastfood zunächst immer dicker und fetter wird, aber es fehlt ihr die Kraft und Gesundheit, um sich ohne fremde Hilfe im Ökosystem zu behaupten. Ihre Anfälligkeit gegenüber Schädlingen, Pilzen, Viren wächst rasant, und sie kann sich nicht mehr zur Wehr setzen.

Markante Folge der radikalen Zerstörung der Bodenbiodiversität ist nicht zuletzt, dass die Pflanzen und Früchte ihre elementare und aromatische Vielfalt verlieren, durch die sie als Nahrungsmittel eigentlich so wertvoll für Mensch und Tier sind. Die menschliche Gesundheit beginnt daher nicht erst bei einem bewusst vielfältigen Speiseplan, sondern bereits bei der Sorge für gesunde landwirtschaftliche Böden, auf denen unsere Grundnahrungsmittel heranwachsen.

Der Text basiert auf einem Artikel, den der Autor in der September-Ausgabe der Zeitschrift "Gesundheits-Nachrichten" veröffentlichte.
  • Frank
    29.09.2009 08:47

    Interessanter, verständlich geschriebener und aufrüttelnder Bericht. Die angesprochene Problematik scheint wirklich kaum im Bewusstsein der Menschen angekommen zu sein. Hier ist aber auch Aufklärung nötig.

  • klaus wende
    04.10.2009 16:22

    Bin sehr dankbar für ihre stets hochinteressanten Berichte.-
    Ich frage mich schon lange, wie man für 5 € einen guten Wein herstellen kann. Ich würde dafür 10 ausgeben, wenn der Wein ökologisch, bzw wie oben gesagt- hergestellt werden würde.

  • Karin
    06.10.2009 19:49

    In unserer Nachbarstadt gibt es einen Geschäftsmann, der in einem Gespräch gefragt wurde "warum haben Sie in Ihrem Lebensmittelunternehmen Bioartikel aufgenommen"?. Er hatgeantwortet:" Ich wollte meinen Kindern Lebensmittel geben in denen noch Leben ist".

  • Fredy Weber
    01.03.2010 19:54

    Lieber Herr Schmidt,

    heute abend habe ich beim Räumen wieder Ihren obigen Artikel gelesen und möchte Ihnen vorbehaltlos zustimmen.
    Wie oft höre ich: "Jetzt müssen wir halt spritzen..." (hier in Schriftdeutsch).
    Fast ohnmächtig erlebe ich solche Gespräche, in denen - industriechemisch und kollektiv geimpft - meine konventionellen Gesprächspartner alle Ausflüchte aufbieten und "Taubheit" pur offerieren. Daß man es anders machen kann, dagegen wehren sie sich mit allen Mitteln.
    Das kennen wir, aber was ich Ihnen jetzt sagen will, ist ein Dankeschön für die zweimalige und fragende Erinnerung (für mich ein Diskussionsargument) daran, wie unsere Vorfahren früher ohne Agrochemie usw. auskamen.
    Aber meine Freunde werden wieder ein Loch finden, aus dem sie sich in ihre Spritz-Besessenheit flüchten können. Oh je!

    Fredy Weber

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