Landwirtschaft und Klimawandel – neue Konzepte von Politik und Wirtschaft

von 50 Agrarministerinnen und Agrarministern

Auf dem Agrarministergipfel 2010 haben die Agrarminister von mehr als 50% der Weltbevölkerung eine höchst erstaunliche, zukunftsträchtige Abschlusserklärung verabschiedet. Das Delinat-Institut könnte jeden einzelnen Punkt unterschreiben, und wird es mit Zitaten aus dem Dokument künftig leichter haben gegen die Widerstände jener, die aus lauter Angst vor dem Nachdenken das Gewohnte verteidigen. Doch warum haben die Medien nicht darüber berichtet? War es ihnen unheimlich, dass die Vernunft plötzlich soviel Vernunft zeigte? Oder ahnten sie, dass es wieder nur heiße Worte auf die kalten Büroplatten kafkaesker Ministerialbeamten war?

Im Folgenden der Wortlaut der Abschlusserklärung

  1. Die Landwirte sind von den negativen Folgen des Klimawandels besonders betroffen, denn sie produzieren in und mit der Natur. Wüstenbildung, Wassermangel, Verlust genetischer Ressourcen und die Zunahme extremer Wetterereignisse wie Dürren, Sturm und Hochwasser führen zu hohen Ernteverlusten, bedrohen Millionen Menschen in ihrer Existenz – insbesondere Kleinbauern in Entwicklungsländern – und gefährden die Realisierung des Millenniumsziels, den Anteil der hungernden Weltbevölkerung bis 2015 zu halbieren.
  2. Die nachhaltige Produktion von Nahrungsmitteln zur Sicherung der Welternährung bleibt die zentrale Aufgabe der Landwirtschaft. Schon heute leidet jeder siebte Mensch an Hunger und Armut – eine Milliarde Menschen haben nicht genug zu essen. Nach Schätzungen der UN wird die Weltbevölkerung bis 2050 auf über neun Milliarden Menschen zunehmen. Die Ernährung von Menschen ist das erste Ziel der Agrarproduktion. Deshalb muss das verfügbare Angebot an Nahrungsmitteln bis 2050 um mindestens 70 Prozent steigen. Der Produktionsanstieg wird alle Bereiche umfassen, nicht nur die Grundnahrungsmittel wie Brotweizen, Reis, Mais und Kartoffeln. Mit steigendem Wohlstand werden vermehrt auch Milch- und Fleischprodukte nachgefragt.
  3. Wegen der Verknappung und Verteuerung fossiler Energieressourcen sowie zur Schonung des Klimas ist die Landwirtschaft gefordert, das Angebot an nachwachsenden Rohstoffen weiter zu steigern.
  4. Unsere natürlichen Ressourcen wie Boden und Wasser sind endlich. Aufgrund von Urbanisierung und des Ausbaus der Infrastruktur werden auch in Zukunft Flächen in erheblichem Umfang nicht mehr landwirtschaftlich genutzt werden. Befürchtet wird zudem, dass wegen der globalen Erwärmung in trockenen Regionen mehr produktive Agrarflächen durch Versteppung und Verwüsten verloren gehen als in kalten Regionen hinzugewonnen werden.
  5. Landwirtschaftliche Produktion führt unvermeidlich zu Treibhausgasemissionen. Zunehmende Agrarproduktion wird also zu einem Anstieg der Treibhausgasemissionen führen.

Schlussfolgerungen

Die Agrarministerinnen und -minister sind sich ihrer Verantwortung zur Sicherung der Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung bewusst und wollen einen Beitrag zur Minderung von Treibhausgasemissionen und zur Anpassungen der Landwirtschaft an die Folgen der Klimaänderung leisten:

1. Mit klimaeffizienter Landwirtschaft zur Nachhaltigkeit gelangen!

Dem Klimawandel zu begegnen und den nötigen Produktionsanstieg zu erreichen, gelingt nur im Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung. Die Landwirtschaft steht vor der großen Herausforderung, die Produktion auf der vorhandenen Fläche in hoher Qualität deutlich zu steigern und gleichzeitig zur Begrenzung der Treibhausgasemissionen beizutragen.

Die Produktion ist daher so zu optimieren, dass je erzeugter Mengeneinheit (zum Beispiel je Tonne Getreide, Kilogramm Fleisch, Liter Milch) weniger Treibhausgase emittiert und weniger Wasser verbraucht werden. Die Landwirte sind durch entsprechende Ausbildung und Beratung, moderne Technik und Produktionsverfahren in die Lage zu versetzen, das dazu erforderliche vorbildliche Betriebsmanagement auf der gesamten Agrarfläche anzuwenden.

Technischer Fortschritt in Züchtung und Agrartechnik, insbesondere beim Energieverbrauch, bei der Düngung und beim Wassermanagement sowie der Zugang zu standortgerechtem Saat- und Pflanzgut muss global verfügbar sein. Verluste durch Pflanzen- und Tierkrankheiten sowie Nachernteverluste sind ebenso wie Nahrungsmittelabfälle zu minimieren. Die Kaskadennutzung von Biomasse, zum Beispiel über die stoffliche Nutzung und anschließende energetische Nutzung muss vorangetrieben werden. Außerdem sind die genetischen Ressourcen weltweit zu bewahren. The International Treaty on Plant Genetic Resourses for Food and Agriculture leistet hier wichtige Arbeit. Die low input Landwirtschaft mit ihrem vergleichsweise geringen Betriebsmitteleinsatz aus lokalen Ressourcen leistet ihren Beitrag zur Welternährung und zur Minderung der Treibhausgasemissionen.

2. Erneuerbare Energien und Kohlenstoffspeicherung in Böden fördern!

Durch nachwachsende Rohstoffe und Speicherung organisch gebundenen Kohlenstoffs in Böden kann die Landwirtschaft wirksam zum Klimaschutz und zur nachhaltigen Energieversorgung beitragen. Notwendig dafür ist die standortangepasste Anwendung und Förderung der guten fachlichen Praxis im Rahmen einer nachhaltigen Landbewirtschaftung. Innovative Projekte zur Anreicherung und Speicherung von Kohlenstoff in Böden sollten gezielt gefördert werden. Auf diese Weise wird eine Möglichkeit geschaffen, bei der Landbewirtschaftung klimaeffiziente Technologien zu entwickeln und einzusetzen.

3. Forschung, Beratung und Technologietransfer ausbauen!

Bei der erforderlichen Anpassung an den Klimawandel und bei der Verbreitung von Praktiken zur Begrenzung von Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft sind noch erhebliche Anstrengungen nötig, insbesondere ist die verstärkte Förderung und internationale Vernetzung der Agrarforschung notwendig. Relevante Ergebnisse müssen schnell umgesetzt und der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden. Bildung, Ausbildung und Beratung der Landwirte müssen ebenso intensiviert werden wie der internationale und nationale Erfahrungsaustausch, der Technologietransfer, die Weitergabe von know how und die Verbreitung von Frühwarnsystemen über extreme Wetterereignisse.

4. Landwirtschaft fördern – Welt ernähren!

Die Sicherung der Welternährung, die Begrenzung der Treibhausgasemissionen durch eine klimaeffiziente, flächendeckende und nachhaltige Agrarproduktion und die Anpassung der Landwirtschaft an den Klimawandel sind fundamentale Ziele, die im Interesse der gesamten Menschheit liegen. Die hierfür erforderlichen Mittel müssen gezielt und koordiniert eingesetzt werden, damit diese Ziele schnell erreicht werden und das vom Welternährungsgipfel 2009 bestätigte Recht auf Nahrung von allen Menschen in Anspruch genommen werden kann. Im Rahmen der globalen Partnerschaft für Landwirtschaft und Ernährungssicherheit sollte der Ausschuss für Welternährungssicherheit der FAO gebeten werden, sich schnell mit der Frage zu befassen, wie Landwirtschaft zur Ernährungssicherheit und gleichzeitig zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen kann. Das High Level Panel for Experts des Ausschusses für Ernährungssicherheit sollte noch in diesem Jahr mit einer Studie zu diesem Thema beauftragt werden.

Der Vertragsstaatenkonferenz zur Klimarahmenkonvention wird empfohlen, ein Arbeitsprogramm zur Landwirtschaft zu erarbeiten, um in diesem Sektor die Klimaeffizienz der Produktion und die Anpassung an den Klimawandel zu verbessern, ohne die Sicherstellung der Welternährung zu vernachlässigen.

Der Berliner Agrarministergipfel 2010 versammelte Ministerinnen und Minister aus:

Republik Aserbaidschan, Bolivien, Republik Bulgarien, Burkina Faso, Volksrepublik China, Bundesrepublik Deutschland, Republik Estland, Republik Finnland, Französische Republik, Republik Irak, Kirgisische Republik, Republik Kongo, Kosovo*, Republik Kroatien, Große Sozialistische Libysch-Arabische Volks-Dschamahirija, Republik Lettland, Republik Litauen, Großherzogtum Luxemburg, Republik Malawi, Mali, ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, Vereinigte Mexikanische Staaten, Republik Moldau, Mongolei, Demokratische Bundesrepublik Nepal, Königreich Norwegen, Republik Österreich, Republik Polen, Portugiesische Republik, Rumänien, Russische Föderation, Republik Sambia, Königreich Saudi-Arabien, Königreich Schweden, Schweizerische Eidgenossenschaft, Republik Serbien, Slowakische Republik, Republik Slowenien, Königreich Spanien, Königreich Swasiland, Vereinigte Republik Tansania, Tschechische Republik, Tunesische Republik, Ukraine, Republik Ungarn, Republik Usbekistan sowie Vertreter der FAO.

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  • Et Sahamit
    31.01.2010 09:02

    Es geht nicht nur um die Menge der produzierten Nahrungsmittel. Genügend wissenschaftliche Analysen belegen, daß wir ein großes Umverteilungsproblem haben. Und die Hälfte der Welt-Getreideproduktion wird an Tiere verfüttert für die Fleischproduktion reicher Gesellschaften (je nach Tierart werden zwischen 2 und 16 kg Getreide für die "Produktion" von einem Kilo Fleisch verfüttert). Solche Umstände zu verändern, wäre ein Akt der Menschlichkeit und der Vernunft. Einfach nur die Produktion anzukurbeln ist ein nicht ganz ausgereiftes Konzept, eher typischer Ausdruck unseres auf stetigem Wachstum basierenden Wirtschafts-Systems. "Steigerung der Produktion nachwachsender Rohstoffe" hört sich genauso dumm-gefährlich bzw. kurzsichtig an. Aber immerhin sagen mal ein paar Politiker, daß wir überhaupt ein Problem haben.

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