Frühling auf Mythopia

von Hans-Peter Schmidt

Bereits an den ersten sonnigen Tagen im Februar, als an den steilen Südlagen der Schnee schmolz, begannen Luzerne und Klee den Boden in sattes Grün zu tauchen. Schon Ende März grasten die Schwarznasenschafe zwischen den Reben, während auf den Parzellen der konventionellen Nachbarn erst spät im April der erste grüne Schimmer sich zeigte und die Besitzer zur Herbizidspritze riefen. Lang und schneereich begleitete der Winter die hundert Ideen zur Stärkung des Ökosystems im Weinberg. Je länger der Winter währte, desto ungebremster bahnten sich Tagträume von romantischen Idealen, paradiesischen Landschaften, Weingärten, Bacchanalen ihren Weg zum Bewusstsein. Dass die Wirklichkeit zu andauernden Kompromissen zwingt, wurde von der schlafenden Saison sanft ins Vergessen geschoben, so dass auch manche der wertvollen, ganz und gar verrückten Ideen ans Licht kommen und ernsthaft bedacht werden konnten. Sobald jedoch der Frühling mit seiner Wucht des Wachstums wieder die Macht ergreift, und die menschliche Arbeitskraft, wo sie nicht auf massive Maschinen setzt, kaum Schritt zu halten vermag, um überall, auf allen Flächen und Nischen, seinen agronomischen Willen durchzusetzen, müssen die winterlichen Träume sortiert und wieder dem Wirklichkeitssinn untergeordnet werden. Angesichts der Komplexität der Natur müssen wir uns spätestens im Frühjahr wieder in Bescheidenheit und Demut üben. Dann gilt es wieder, mehr zu beobachten als radikal einzugreifen, die Natur nicht durch monokulturelle Banalität zu gängeln, sondern durch sanfte Eingriffe zu stärken, die natürlichen Prozesse des Ökosystem einzusetzen, anstatt sie auf die enge Gasse unseres Willens zu zwängen. Praktische Ökologieforschung In den letzten Monaten hat die Delinat-Forschung wieder zahlreiche Versuche auf Mythopia angelegt. Die Harmonisierung des gesamten Ökosystems im Weinberg ist, der Frühling zeigt es auf beeindruckende Weise, weiter vorangekommen. Im Ithaka Journal werden wir in den nächsten Wochen die vielfältigen Versuche einzeln vorstellen und detailliert dokumentieren. Im heutigen ersten Teil der Folge werden wir anhand der Fotos von Patrick Rey zunächst einen allgemeinen Überblick geben und den Stand der Entwicklung zeigen. Es kreucht und fleucht zwischen den Weinbergsblumen Bereits an den ersten sonnigen Tagen im Februar, als an den steilen Südlagen der Schnee hinwegschmolz, begannen Luzerne und Klee den Boden mit satten Grün zu überdecken. Während auf den Parzellen der konventionellen Nachbarn erst Ende April die ersten grünlichen Flecken zwischen den kahlen Reben sichtbar wurden und nach Herbizidspritzung riefen, grasten auf Mythopia schon Anfang April die Schwarznasenschafe und versorgten die Böden mit wertvollen Düngestoffen. Trotz der üppigen Begrünung zwischen den Reben, lassen die Schafe sich jedoch gern von den frischen Knospen der Reben verführen, so dass wir diese mit Wermuttee abspritzen mussten, um den armen Schafen den Geschmack daran zu verderben. Anfang Mai wurden die Schafe dann allerdings dennoch auf rebfreie Weiden getrieben. Dank des frühzeitigen Kleewuchses entwickelte sich auch sehr rasch eine vielfältige Population von Insekten, Raupen und Würmern, die wiederum eine Vielzahl von Eidechsen, Schlangen und Vögel anzogen, wie es auf den Fotos sehr schön zu sehen ist. Bäume und Büsche blühen in herrlicher Pracht Die Reben, deren Knospen sich erst sehr spät öffnen, stehen in den ersten Frühjahrsmonaten noch vollkommen kahl, wenn die meisten anderen Bäume und Büsche sowie viele Blumen und Kräuter schon in Blüte stehen und mit ihren Düften unzählige Insekten anziehen. Die Vielfalt der Düfte und Farben, der Reichtum an Biomasse sowie die abwechslungsreiche vertikale Struktur der Bäume und Büsche sind das ganze Jahr über Grundgerüst der biologischen Vielfalt, doch spielen sie im Weinberg vor allem im Frühjahr eine ganz besondere Rolle als Motor der Wiederbelebung. Mandel-, Kirsch- und Pfirsichblüte sind nicht nur Augenschmaus, sondern haben gerade im Frühjahr eine ganz essentielle Funktion, um die Harmonie des Ökosystems für das gesamte Jahr zu stimmen. Aus diesem Grunde haben wir sowohl im letzten Herbst als auch im Frühjahr wieder über 50 Bäume und über 150 Büsche auf den neuen Parzellen der Domaine gepflanzt. Bei den Apfel-, Birnen-, Quitten-, Mandel-, Pfirsich-, Pflaumen- und Kirschbäumen handelt es sich um seltene Sorten, wie sie vor Jahrhunderten in dieser Gegend angebaut wurden. Auch bei den Büschen haben wir auf autochthone Sorten zurückgegriffen. Deren Liste und jeweilige ökologische Funktion werden wir in einem späteren Artikel veröffentlichen. Bodenleben Eine Hauptarbeit im Frühjahr besteht in der Nährstoffversorgung und Pflege des Bodens. So wurden dieses Jahr abermals knapp 100 m3 Kompost ausgetragen. Zur Stimulierung der Bodenaktivität haben wir mit zahlreichen verschiedenen Komposten und Kompostmischungen, mit Biokohle sowie mit BRF Versuche angelegt und diese jeweils mit verschiedenen Begrünungsstrategien kombiniert. Tomaten und Erdbeeren im Weinberg ernten Seit Anfang Mai pflanzen und säen wir auf einigen Parzellen in jeder zweiten Reihe Gemüse, Früchte, und Kräuter als so genannte Sekundärkulturen, die nicht nur die Biodiversität aufbessern und Symbiosen mit der Rebkultur bilden, sondern deren Ertrag sich auch wirtschaftlich auszahlt. Tomaten, Kartoffeln, Kürbis, Mais, Erbsen, Kohl, Erdbeeren, Aromakräuter und noch einiges Anderes liegen bzw. stehen bereits zwischen den Zeilen. Direkt unterhalb der Reben haben wir Zwiebeln und Knoblauch gesteckt, deren Düfte stark pilzabweisende Wirkung besitzen und durch die wir geringeren Mehltaudruck erwarten. Seit letzter Woche hat die Arbeit des Abknospens begonnen. Nun sind auch die Reben grün und die winzigen Gescheine lassen bereits auf die Weinlese spekulieren. Nun beginnt die Hauptversuchszeit, worüber wir ausführlich hier im Journal berichten werden. Weitere Fotos von Mythopia finden Sie auf der Seite des Fotografen Patrick Rey (www.capteurs-de-nature.com).

Bereits an den ersten sonnigen Tagen im Februar, als an den steilen Südlagen der Schnee schmolz, begannen Luzerne und Klee den Boden in sattes Grün zu tauchen. Schon Ende März grasten die Schwarznasenschafe zwischen den Reben, während auf den Parzellen der konventionellen Nachbarn erst spät im April der erste grüne Schimmer sich zeigte und die Besitzer zur Herbizidspritze riefen.

schaf-im-weinberg1Lang und schneereich begleitete der Winter die hundert Ideen zur Stärkung des Ökosystems im Weinberg. Je länger der Winter währte, desto ungebremster bahnten sich Tagträume von romantischen Idealen, paradiesischen Landschaften, Weingärten, Bacchanalen ihren Weg zum Bewusstsein. Dass die Wirklichkeit zu andauernden Kompromissen zwingt, wurde von der schlafenden Saison sanft ins Vergessen geschoben, so dass auch manche der wertvollen, ganz und gar verrückten Ideen ans Licht kommen und ernsthaft bedacht werden konnten.

falter1kirschblueteechse2 herbizidnachbarvogel2 loewenzahn kaefer4smaragdeidechse2Sobald jedoch der Frühling mit seiner Wucht des Wachstums wieder die Macht ergreift, und die menschliche Arbeitskraft, wo sie nicht auf massive Maschinen setzt, kaum Schritt zu halten vermag, um überall, auf allen Flächen und Nischen, seinen agronomischen Willen durchzusetzen, müssen die winterlichen Träume sortiert und wieder dem Wirklichkeitssinn untergeordnet werden. Angesichts der Komplexität der Natur müssen wir uns spätestens im Frühjahr wieder in Bescheidenheit und Demut üben. Dann gilt es wieder, mehr zu beobachten als radikal einzugreifen, die Natur nicht durch monokulturelle Banalität zu gängeln, sondern durch sanfte Eingriffe zu stärken, die natürlichen Prozesse des Ökosystem einzusetzen, anstatt sie auf die enge Gasse unseres Willens zu zwängen.

Praktische Ökologieforschung

In den letzten Monaten hat die Delinat-Forschung wieder zahlreiche Versuche auf Mythopia angelegt. Die Harmonisierung des gesamten Ökosystems im Weinberg ist, der Frühling zeigt es auf beeindruckende Weise, weiter vorangekommen. Im Ithaka Journal werden wir in den nächsten Wochen die vielfältigen Versuche einzeln vorstellen und detailliert dokumentieren. Im heutigen ersten Teil der Folge werden wir anhand der Fotos von Patrick Rey zunächst einen allgemeinen Überblick geben und den Stand der Entwicklung zeigen.

Es kreucht und fleucht zwischen den Weinbergsblumen

Bereits an den ersten sonnigen Tagen im Februar, als an den steilen Südlagen der Schnee hinwegschmolz, begannen Luzerne und Klee den Boden mit satten Grün zu überdecken. Während auf den Parzellen der konventionellen Nachbarn erst Ende April die ersten grünlichen Flecken zwischen den kahlen Reben sichtbar wurden und nach Herbizidspritzung riefen, grasten auf Mythopia schon Anfang April die Schwarznasenschafe und versorgten die Böden mit wertvollen Düngestoffen. Trotz der üppigen Begrünung zwischen den Reben, lassen die Schafe sich jedoch gern von den frischen Knospen der Reben verführen, so dass wir diese mit Wermuttee abspritzen mussten, um den armen Schafen den Geschmack daran zu verderben. Anfang Mai wurden die Schafe dann allerdings dennoch auf rebfreie Weiden getrieben.

Dank des frühzeitigen Kleewuchses entwickelte sich auch sehr rasch eine vielfältige Population von Insekten, Raupen und Würmern, die wiederum eine Vielzahl von Eidechsen, Schlangen und Vögel anzogen, wie es auf den Fotos sehr schön zu sehen ist.

Bäume und Büsche blühen in herrlicher Pracht

Die Reben, deren Knospen sich erst sehr spät öffnen, stehen in den ersten Frühjahrsmonaten noch vollkommen kahl, wenn die meisten anderen Bäume und Büsche sowie viele Blumen und Kräuter schon in Blüte stehen und mit ihren Düften unzählige Insekten anziehen. Die Vielfalt der Düfte und Farben, der Reichtum an Biomasse sowie die abwechslungsreiche vertikale Struktur der Bäume und Büsche sind das ganze Jahr über Grundgerüst der biologischen Vielfalt, doch spielen sie im Weinberg vor allem im Frühjahr eine ganz besondere Rolle als Motor der Wiederbelebung. Mandel-, Kirsch- und Pfirsichblüte sind nicht nur Augenschmaus, sondern haben gerade im Frühjahr eine ganz essentielle Funktion, um die Harmonie des Ökosystems für das gesamte Jahr zu stimmen. Aus diesem Grunde haben wir sowohl im letzten Herbst als auch im Frühjahr wieder über 50 Bäume und über 150 Büsche auf den neuen Parzellen der Domaine gepflanzt. Bei den Apfel-, Birnen-, Quitten-, Mandel-, Pfirsich-, Pflaumen- und Kirschbäumen handelt es sich um seltene Sorten, wie sie vor Jahrhunderten in dieser Gegend angebaut wurden. Auch bei den Büschen haben wir auf autochthone Sorten zurückgegriffen. Deren Liste und jeweilige ökologische Funktion werden wir in einem späteren Artikel veröffentlichen.

Bodenleben

Eine Hauptarbeit im Frühjahr besteht in der Nährstoffversorgung und Pflege des Bodens. So wurden dieses Jahr abermals knapp 100 m3 Kompost ausgetragen. Zur Stimulierung der Bodenaktivität haben wir mit zahlreichen verschiedenen Komposten und Kompostmischungen, mit Biokohle sowie mit BRF Versuche angelegt und diese jeweils mit verschiedenen Begrünungsstrategien kombiniert.

Tomaten und Erdbeeren im Weinberg ernten

Seit Anfang Mai pflanzen und säen wir auf einigen Parzellen in jeder zweiten Reihe Gemüse, Früchte, und Kräuter als so genannte Sekundärkulturen, die nicht nur die Biodiversität aufbessern und Symbiosen mit der Rebkultur bilden, sondern deren Ertrag sich auch wirtschaftlich auszahlt. Tomaten, Kartoffeln, Kürbis, Mais, Erbsen, Kohl, Erdbeeren, Aromakräuter und noch einiges Anderes liegen bzw. stehen bereits zwischen den Zeilen. Direkt unterhalb der Reben haben wir Zwiebeln und Knoblauch gesteckt, deren Düfte stark pilzabweisende Wirkung besitzen und durch die wir geringeren Mehltaudruck erwarten.

Seit letzter Woche hat die Arbeit des Abknospens begonnen. Nun sind auch die Reben grün und die winzigen Gescheine lassen bereits auf die Weinlese spekulieren. Nun beginnt die Hauptversuchszeit, worüber wir ausführlich hier im Journal berichten werden.

Weitere Fotos von Mythopia finden Sie
auf der Seite des Fotografen Patrick Rey
(www.capteurs-de-nature.com).
  • Christoph Matthes
    17.05.2009 08:06

    Bin zutiefst beglückt, dass es Menschen wie die Biowinzer gibt, die sich wieder um die ursprüngliche ganzheitliche Pflanzennutzung kümmern. Das lässt das Paradies auf Erden ein wenig zurückkommen. Überall sonst ist eher Zerstörerisches am Werke, das nur ausbeutet ...
    Im übrigen bin ich Genießer all' der tollen Bio-Auswahlweine aus ganz Europa. Weiter so!

  • Marcel Brunold
    09.06.2009 09:28

    Mir geht es wie Christoph Matthes. Zudem bin ich hoch erfreut , dass gerade im Wallis endlich nicht nur etwas sondern das Richtige passiert. Es wurde höchste Zeit für ein Vorzeigeprojekt wie Mythopia! Meine herzliche Gratulation. Übrigens die Gegend von Ayent habe ich im Jahr 2002 entdeckt und gleich Wurzeln geschlagen. Ich sehe den Tag kommen, wo ich mich hier ganz niederlasse. Mit freundlichem Gruss

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