Waldgärten und Stadtgärten - Terra Preta 2.0

von Ute Scheub

Unter dem Motto "Nährstoffe statt Abfälle – biotische Vielfalt statt Hunger" debattierten in Leipzig Praktiker und Wissenschaftler über konkrete Auswege aus der öko-kulturellen Krise. Mit den Mitteln der Terra-Preta-Strategie und des Klimafarming könnte das Hunger- und Klimaproblem gleichzeitig gelöst werden. Die Klimakatastrophe ließe sich ausbremsen, die Nahrungsmittelversorgung stabilisieren, die Artenvielfalt retten, die Verwüstung aufhalten, die Rohstoffe schonen und die Abwasserprobleme lösen.

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Wenn weltweit ökologisches Kreislaufwirtschaften und Klimafarming betrieben würde, könnte die Menschheit in paradiesisch anmutenden Waldgärten und Gartenstädten leben. Auch eine Bevölkerungszahl von neun Milliarden Menschen im Jahr 2050 wäre in einer solchen Kreislaufökonomie im Grunde kein Problem mehr. Das Wissen für die Umsetzung in die Wirklichkeit ist vorhanden, allein der Wille und die sozio-kulturellen Vorraussetzung fehlen. Zu diesem Schluss jedenfalls konnte kommen, wer der Fachtagung „Chancen für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft“ des Abwassernetzwerkes BDZ Ende Mai in Leipzig beiwohnte. „Mit steigender Bevölkerungszahl wächst die Bodenfruchtbarkeit“, so Moderator Haiko Pieplow vom deutschen Bundesumweltministerium – alle organischen Abfälle und Exkremente würden nämlich konsequent als Wertstoffe dem Boden wieder zugeführt.

Die gegenwärtige Situation gibt mit der EHEC-Seuche allerdings wieder mal Anlass zur Sorge. Welcher Erreger wo auch immer die EHEC-Seuche verursacht hat – die Epidemie könnte ein Vorbote sein. Ärzte und Wissenschaftlerinnen beobachten immer öfter, dass die Industrialisierung der Landwirtschaft neue unbekannte Krankheiten bei Haustieren und Bauern verursacht. Auch Biogasanlagen mit Gülle aus Massentierhaltung stehen im Verdacht, neue Keime auszubrüten, weil Mikroorganismen dort antibiotika-resistente Gene austauschen. „Wenn wir das nicht in den Griff kriegen“, warnte der Arzt und Biokohlehersteller Bernd Schottdorf, „werden wir jeden Sommer EHEC-Saison haben.“

Bodenkundler Pieplow sieht die industrielle Landwirtschaft aus anderen Gründen vollständig in der Sackgasse. Wenig bekannt, aber dramatisch: Schon in 40 bis 60 Jahren gehen die für Kunstdünger nötigen Phosphor-Vorräte zu Ende. Seine Alternative: Die Kombination uralter asiatischer und lateinamerikanischer Anbautechniken und konsequente Kreislaufwirtschaft mithilfe von Terra Preta. Das ist der portugiesische Name für jene legendäre, ebenso langlebige wie fruchtbare „Schwarzerde“ aus dem Amazonasgebiet, die vor Ankunft der spanischen Kolonisatoren üppige Gartenstädte mit Hunderttausenden von indigenen Einwohnern ernährte.

Pieplow hat zusammen mit zwei weiteren Wissenschaftlern ihre Herstellung experimentiell nachgestellt und dabei herausgefunden, dass Landwirte und Hobbygärtnerinnen weltweit Terra Preta selbst produzieren können – auf Äckern, in Gärten, auf Balkons, auf Stapelmist, in Abfalleimern und Kompostkisten. Organische Abfälle und Exkremente werden luftdicht verpresst, durch Milchsäurebakterien fermentiert („Bokashi“) und mit Biokohle versetzt. Die Biokohle speichert Nährstoffe und Wasser und gibt sie, in den Boden verbracht, gleichmäßig an die Pflanzen ab. Die Erträge steigen, magere oder wasserarme Böden können wieder fruchtbar gemacht werden. Dem Treibhaus Erdatmosphäre wird so durch Verkohlung von Biomasse Kohlendioxid entzogen und in Form von Kohlenstoff als Bodenverbesserer unter die Erde verbracht.

Hans-Peter Schmidt, Leiter des Delinat-Instituts für Ökologie und Klimafarming im schweizerischen Kanton Wallis, sieht in diesen Kulturtechniken einen entscheidenden Beitrag zur Rettung der Menschheit. Agrochemie, Gentechnik und große Maschinen hätten zu Hunger, sprichwörtlichen Verwüstungen und riesigen Humusverlusten geführt. Die meisten Hungernden lebten in Gegenden, wo der Humusgehalt der Böden unter die kritische Grenze gesunken sei. Viele Ackerflächen wiesen Humuswerte von unter einem Prozent auf, gesunde Böden hätten fünf Prozent, mit Terra Preta ließen sich in den Tropen sogar 10 bis 15 Prozent erreichen. Humuswirtschaft, Mischkulturen und Öko-Anbau, glaubt Schmidt, könnten den Flächenertrag in den Tropen und Subtropen vervielfachen. Und wenn die Menschheit mittels Klimafarming den Humusgehalt der Böden in den nächsten 50 Jahren um 10 Prozent anhöbe, könnte der CO2-Gehalt der Atmosphäre auf vorindustrielles Niveau gesenkt werden.

Weitere Wissenschaftler, darunter die Professoren Monika Krüger und Bruno Glaser, bestätigten auf der Tagung das riesige Potenzial von Terra Preta. Bruno Glaser stellte einen großen Feldversuch auf einem sandigen Acker in Brandenburg vor. Dabei konnte er zeigen, dass es durch Biokohle-Kompost-Substrate zu verbessertem Pflanzenwachstum, höherer Wasserspeicherung und zu Humusaufbau kam. Monika Krüger, Leiterin des Leipziger Instituts für Bakteriologie und Mykologie der Veterinärmedizinischen Fakultät, stellte eine höchst vielversprechende Untersuchung vor, bei der sie tierische Fäkalien unter Zusatz von Biokohle einer Milchsäuregärung unterzog. Sie konnte zeigen, dass innerhalb von 4 - 8 Wochen eine vollständige Hygienisierung der Problemstoffe stattfand. Spulwurmeier, bakterieller Pathogene wie E. coli (Ehec), Viren und sonstige Pathogene wurden durch die Fermentationsflora degradiert. Angesichts der enormen Gefahren, die durch intensive Viehhaltung, Gülleaustragung und Biogasanlagen provoziert werden, sind diese Forschungsergebnissse von größter Bedeutung. Denn durch die Terra-Preta-Technik könnten nicht nur die hochtoxischen Schadstoffe unschädlich gemacht werden, sondern gleichzeitig nachhaltige Bodennährstoffe zur Schließung der Stoffkreisläufe hergestellt werden.

Die rund 150 Bodenkundler, Landwirte und Agrarwissenschaftlerinnen in Leipzig waren sich weitgehend einig: Wir müssen mit der Natur arbeiten und nicht gegen sie. „Wir sind nicht die Krönung der Natur, wir sind nur ein Teil von ihr. Wir können naturkonforme Systeme entwickeln, um ein Paradies zu bauen“, so formulierte es der Bauernaktivist Christoph Fischer, der im bayrischen Chiemgau die erfolgreiche „Zivilcourage“-Bewegung gegen Gentechnik ins Leben gerufen hat. In Thailand und anderen asiatischen Ländern hatte er schon vor vielen Jahren die segensreiche Wirkung von Bokashi auf Pflanzen und Böden beobachtet und stellt sie nun selbst her. Bokashi wirkt, vereinfacht gesagt, über Milchsäurebakterien, durch die Biomassen fermentiert und somit hygienisert und stabilisiert werden. Die Verarbeitung von Kohl zu  Sauerkraut ist übrigens ein ebensolcher Prozess. Asiatische Landwirte, die seit mehr als zweitausend Jahren Abfallfermentierung betrieben, hätten eine unglaubliche Bodenproduktivität hervorgebracht, von der die ganze Welt lernen könne, ergänzte Haiko Pieplow.

Im Chiemgau ist die Bewegung rund um Christoph Fischer auf mittlerweile rund 700 Bauern und Gärtnerinnen angewachsen, die nachhaltige Landwirtschaft betreiben. „Wir kombinieren Mulch, Mischfruchtanbau, Kompostierung und Bokashi“, berichtete der Agrarexperte. Nicht alle sind Ökobauern, etliche wirtschaften auch konventionell. Als Haiko Pieplow im Mai 2010 einen Vortrag über Terra Preta vor 120 Bauern hielt, machten die sich in ihrer Begeisterung sofort an die praktische Umsetzung: Sie schafften sämtliche verfügbare Grillkohle heran, zerkleinerten sie mit Hämmern und Betonmixer, fügten Hühnermist, Melasse, Kleie und Stroh hinzu und verpressten das Ganze, indem sie mit dem Stapler darüber fuhren. Nach wenigen Monaten war das Ergebnis so gut, dass die Herstellung von Terra Preta oder genauer gesagt „Chiemgauer Schwarzerde“ nunmehr ebenfalls in ihr Programm gehört.

Inzwischen verarbeiten die Landwirte im Chiemgau auch Klärschlämme und Trester aus Bierbrauereien. Oder sie verbringen aktivierte Biokohle in Ställe und lassen sie von Kühen und Schweinen breittreten. „Das Stallklima ist sofort besser“, so Christoph Fischer, denn ein Liter Biokohle auf der Gülle könne die Emission von 800 Liter Ammoniak verhindern. Auch laufen erste Versuche, Gülle damit zu versetzen. Ergebnisse liegen noch nicht vor, aber „der Geruch ist sofort weg“, berichtete Fischer.

Von einem gesunden Stallklima und gesunden Tieren berichtete auch sein Chiemgauer Kollege Bernhard Hennes, Halter von 18.000 Legehennen. Er lässt im Hühnerstall Milchsäurebakterien versprühen und Biokohle auf die Kotförderbänder streuen. Sein „Langensbacher Hof“ produziert nunmehr neben Eiern und Nudeln auch „Schwarzes Gold“: Terra Preta aus Hühnermist und Biokohle, duftend wie eine Mischung aus Vanille und Tabak.

Kohle im Boden, erzählte Hennes begeistert in breiter bayrischer Mundart, „dös is a Sparbuch, wo koiner find´!“

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Ute Scheub ist Mitbegründerin der TAZ. Sie lebt als frei Journalisting und Autorin in Berlin.

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