Systemgrenzen von C-Senken
von Hans-Peter Schmidt und Nikolas Hagemann
Zusammenfassung
Für die Zertifizierung von C-Senken müssen sämtliche Treibhausgas-Emissionen, die bei der Erstellung der C-Senke verursacht wurden, kompensiert werden. Erst dann darf die Klimawirkung der C-Senke gehandelt oder anderweitig mit der Klimawirkung von Emissionen verrechnet werden. Es ist allerdings häufig uneindeutig, welche Emissionen für die Erstellung der C-Senke und welche Emissionen auf andere Produkte anzurechnen sind, die beim gleichen Produktionsprozess hergestellt werden.
Wo also verläuft die Systemgrenze, ab der eine Emission als Teil der C-Senken Herstellung anzusehen ist? Muss ein gesamter Betrieb klimaneutral sein, um die Klimawirkung von C-Senken verkaufen zu dürfen, obwohl die C-Senken nur einen Bruchteil ihres Umsatzes ausmachen? Oder muss ein Projekt wie der Bau eines Hauses oder die Bewirtschaftung eines Weizenfeldes klimaneutral sein, um den darin gespeicherten oder daraus gewonnenen Kohlenstoff als C-Senke registrieren zu können? Oder gilt Weintrester als reines Abfallprodukt, aus dem jeder eine C-Senke herstellen kann, egal wie negativ oder positiv die Klimabilanz des Weinbergs, des Weinkellers oder des gesamten Betriebs ist?
Im folgenden Artikel werden fünf Beispiele von C-Senken-Projekten aus unterschiedlichen Wirtschaftszweigen untersucht, um eine bessere Entscheidungsgrundlage zu finden, wo im jeweiligen Fall die Systemgrenze zu ziehen wäre. Auf Basis der im Artikel dargelegten Beispiele schlussfolgern wir:
- Bevor Klimawirkungen von C-Senken gehandelt werden dürfen, muss sichergestellt werden, dass alle direkt für die Erstellung der C-Senke aufgewendeten Treibhausgasemissionen durch entsprechende C-Senken vollständig kompensiert werden.
- Kosten bzw. Steuern für CO2e Emissionen müssten von der Gesellschaft bzw. Politik so festgelegt werden, dass sie höher als die Preise von C-Senken sind.
- In Abwesenheit staatlicher Regulierung des Emissions- und C-Senken Marktes, müssen die Systemgrenzen zunächst so pragmatisch festgelegt werden, dass die Schaffung von C-Senken maximiert und nicht falsch verstandenen Idealismus ökonomisch behindert wird.
Die Systemgrenzen sind schrittweise auf Projekt- und schließlich auf Unternehmensebene zu erweitern, so dass bei der Bilanzierung von C-Senken schließlich alle anthropogenen Emissionen einbezogen werden.
1. Beispielhafte Szenarien zur Definition von Systemgrenzen
1.1. C-Senken in Erdöl-Bohrlöchern
Aus einem Bohrloch in Texas wurde Erdöl gefördert, das 100.000 Tonnen CO2e entspricht. Nach Ende der Förderung werden 10.000 Tonnen Biochar aus den Sägespänen einer naheliegenden Sägerei hergestellt und in dem ausgepumpten Bohrloch versenkt, so dass eine geologische C-Senke von 20.000 Tonnen CO2e entsteht. Die Biochar C-Senke könnte somit die Klimawirkung von 20.000 Tonnen CO2, also einem Fünftel der geförderten Erdölmenge, kompensieren.
Das verarbeitete Holz stammt aus einem zertifizierten Forst, in dem der Nachwuchs größer als der jährliche Holzeinschlag ist. Die Pyrolyseanlage und die Pflanzenkohle sind nach dem World Biochar Certificate (WBC), die Biochar Senke nach dem Global Biochar C-Sink Standard zertifiziert. Alle Treibhausgas-Emissionen, die bei der Herstellung der Pflanzenkohle und ihres Transports verursacht wurden, sind mit geologischen C-Senken kompensiert. Es gibt damit in diesem Beispiel zunächst keinen objektiven Grund, die Biochar C-Senke nicht anzuerkennen, zu registrieren und für den Handel freizugeben.
Doch in welchem Zusammenhang stehen die 20.000 t CO2e Senke mit den 100.000 t CO2e Emissionen aus der Nutzung von Erdöl, dass aus dem gleichen Bohrloch stammt? Darf der Ölkonzern also neben dem Benzin mit einer Klimabelastung von 100.000 Tonnen CO2e auch noch C-Senken von 20.000 Tonnen CO2e vermarkten? Oder ein Fünftel seines Benzins als klimaneutral bewerben? Hat es nicht etwas Absurdes, wenn diejenigen Konzerne, die die größte Schuld am Klimawandel tragen, sich nun neue Geschäftsfelder eröffnen, indem sie C-Senken Zertifikate generieren und damit anderen Firmen ermöglichen, ihren Anteil am Klimawandel zu kompensieren, anstatt zunächst die eigene Klimawirkung zu minimieren?
Wenn so hohe moralische Ansprüche an die Beteiligten der C-Senken Ökonomie gestellt werden (und wie bei der Biokontrolle überprüft wird, ob der Biobauer auch Biomilch im Kühlschrank stehen hat), wer würde dann überhaupt noch C-senken generieren? Wo sollen sinnvollerweise die Grenzen zwischen „gutem und bösem“ Klimaschutz gezogen werden? Welchen Unterschied macht es, wenn der Erdölkonzern dann eben nicht die eigenen Löcher mit Pflanzenkohle füllt, sondern einer externen Firma C-Senken Zertifikate abkauft, die diese durch die Einbringung eben solcher Pflanzenkohle in ein verlassenes Kali-Bergwerk erzeugt?
Es liegt ja durchaus nahe, dass Erdölkonzerne in C-Senken und C-Recycling investieren, da sie bereits über Infrastruktur, Logistik und Knowhow sowie über die nötigen finanziellen Mittel verfügen, um Klimatechnologien in großem Stil umzusetzen. Sollte es am Ende nicht egal sein, wer eine Senke errichtet und dafür bezahlt, Hauptsache die C-Senke wird nach den jeweils gültigen Regeln des Marktes eingerichtet?
Aber würden Sie dem Erdölkonzern einen Teil der C-Senke abkaufen, um Ihre letzte Flugreise, die Heizung im Winter oder überhaupt die Emissionen einiger Jahre Ihres Lebens zu kompensieren, während der Erdölkonzern unverminderte Mengen fossilen Kohlenstoffs fördert?
Tatsächlich operiert der freiwillige Markt für Klimazertifikate mit moralischen Hebeln. Und die wenigen Firmen, die C-Senken Zertifikate erwerben, nutzen diesen moralischen Hebel als Marketingstrategie, eben um sich als die Guten auszuzeichnen, bei denen die Kunden lieber als bei den Bösen (Klimaverschmutzern) kaufen. Schließlich ist der moralische Heble, also das Ausräumen etwaiger Schuldgefühle, der Grund für das enorme Greenwashing-Phänomen. Selbstverständlich ist Moral ein wichtiger Wegweiser, um das Richtige zu tun, aber es muss auf physikalisch korrekte und wirtschaftlich effiziente Grundlagen gestellt werden, ansonsten besteht die Gefahr, dass der moralische Kompass von zu viel Scheinheiligkeit verdreht wird.
Als Entwickler von Zertifizierungsstandards müssen wir möglichst unabhängig von moralischen Fragen operieren. In etwa so wie ein Arzt, der den Knochenbruch seines Patienten heilt, egal ob dieser ein Verbrecher oder ein Wohltäter ist. Auch müssen wir als Standardentwickler der Verführung widerstehen, uns von zu großem Idealismus und Perfektionismus leiten zu lassen. Es geht darum, sicher zu kontrollieren, wie C-Senken geschaffen und die Bilanzen der Kohlenstoffspeicherung berechnet werden. Wir müssen uns auf das fokussieren, was sich sinnvoll quantifizieren und zertifizieren lässt, und dabei klar benennen, was sich nicht zertifizieren lässt.
Das Erdölbohrloch kann ein Ort sein, an dem Pflanzenkohle auf Dauer vor Oxidation geschützt ist und damit zu einer geologischen C-Senken werden kann. Das lässt sich zertifizieren. Die etwaigen Umweltschäden, die zuvor durch das Bohren des Lochs, die Erdölförderung und die Verbrennung des daraus hergestellten Benzins entstanden sind, müssen auf andere, staatlich regulierte Weise geregelt werden.
1.2. C-Senken in Palmölplantagen
Indonesien und Malaysia wird auf insgesamt 20 Millionen Hektar Ölpalmen angebaut. Diese sind in der Regel in Einheiten von 10.000 Hektar mit je einer Rohölmühle aufgeteilt. Eine Palmölplantage, für die 10.000 Hektar Regenwald in Indonesien gerodet wurde, produziert jährlich rund 46.000 Tonnen Palmöl. Um mit Raps ebenso viel Öl herzustellen, bräuchte man eine viermal so große Fläche und mit Soja oder Oliven fast zehnmal so viel Fläche. Die Palmölindustrie verkauft diese Flächenersparnis daher auch als Naturschutz, da auf den Flächen, wo nun keine anderen Ölfrüchte angebaut werden müssen, Wälder und Biodiversität prosperieren.
Neben den 30.000 Tonnen Palmöl fällt eine große Menge an Rückständen und Abfällen in Form von leeren Fruchtständen, Palmkernschalen, Pflanzenstämmen, Fasern, Blättern und anderen an. Bei der Gewinnung und Verarbeitung von Palmöl entstehen zudem Abwässer mit einem hohen Anteil an organischen Stoffen, Schwebstoffen sowie Ölen und Fetten (Palm Oil Mill Effluent (POME)). Diese Abfälle beeinträchtigen das Ökosystem und die Gesundheit der Anwohner. Werden diese Abwässer nicht behandelt, verfaulen sie und emittieren große Mengen an Methan. Des Weiteren werden die Plantagen mit 1000 kg Stickstoff pro Hektar und Jahr, weiteren mineralischen Düngern sowie Pestiziden behandelt (Dislich et al., 2017; Meijaard et al., 2020).
Von den 10.000 Hektar könnten jedes Jahr durchschnittlich 44.000 Tonnen leerer Fruchtstände und 10.000 Tonnen Kernschalen sowie 40.000 Tonnen jährlich ersetzter Bäume (Bäume werden alle 25 Jahre erneuert, d.h. 10.000 ha / 25 Jahre = 400 ha pro Jahr bei 100 Bäume pro Hektar zu 1 t Biomasse je Baum) pyrolysiert und zu 25.000 t Pflanzenkohle (durchschnittler Kohleertrag von 26.5%) verarbeitet werden. Wird diese Pflanzenkohle in die Böden der Palmplantage eingearbeitet (immerhin im Schnitt 2.5 t pro Hektar), entstehen jährlich C-Senken mit ca. 70.000 t CO2e (bei 80% C-Gehalt und wenn 15% der C-Senke für eigene Emissions-Offsets verwendet werden).
Werden diese Biomasserestestoffe nicht pyrolysiert, sondern so wie heute üblich unkontrolliert verbrannt oder dem Verfaulen überlassen, entstehen große Mengen an Treibhausgasen (neben dem als klimaneutral anzusehenden biogenen CO2 auch Methan und Lachgas) sowie Feinstaub. Die Pyrolyse der Reststoffe macht also ein System weniger schädlich und verbessert dessen Klimabilanz.
Die Besitzer von Palmölplantagen sind allerdings meist wenig daran interessiert, ihre eigene Klimabilanz zu verbessern. Die Zertifizierung und damit Monetarisierung dieser C-Senke, sei es durch den direkten Verkauf von Zertifikaten oder einem Preisaufschlag für klimaneutrales Palmöl (s.u.) ist daher zwingend notwendig, um das Investment für die Pyrolyse dieser Reststoffe aufzubringen. Wie jede unternehmerische Tätigkeit, die nicht vom Gesetzgeber geregelt wird (z.B. durch ein Verbot der offenen Verbrennung von Biomassen), muss die Pyrolyse profitabel sein.
Mögliche agronomischen Vorteile durch die Pflanzenkohleanwendung vor Ort könnte ein zusätzlicher Anreiz sein, können aber allein die Kosten nicht decken. Für den Verkauf der Pflanzenkohle vor Ort (im Regen- und Palmenwald) gibt es keinen Markt, und ein Export nach Europa oder andere Weltregionen mit größerer Nachfrage an Pflanzenkohle ist zu teuer und würde den Klimaeffekt aufgrund der Transportemissionen unnötig reduzieren. Aber wenn die Besitzer der Palmölplantagen ihre C-Senken Zertifikate hinreichend teuer an Firmen verkaufen können, deren Umweltgewissen oder Kundennähe zu mehr Offset und Kompensation ihrer Treibhausgasemissionen drängen, würden sich die Investition und der Aufwand zur Herstellung der C-Senken lohnen. Das Argument wäre das der finanziellen Zusätzlichkeit: Die C-Senke kann nur entstehen, wenn die C-Senken Zertifikate an andere Firmen verkauft werden dürfen, anstatt für Insetting (das Ausgleichen eigener Emissionen) genutzt zu werden.
Von Seiten der C-Senken Zertifizierung lässt sich das Projekt sehr klar fassen: Qualitativ hochwertige, bodenapplizierte Pflanzenkohle, hergestellt aus den Rückständen der Palmölproduktion, lässt sich unstrittig als geologische C-Senken zertifizieren und kann die Klimawirkung von Treibhausgas-Emissionen langfristig ausgleichen. Bei den Ausgangsstoffen der Pflanzenkohle handelt sich um Reststoffe aus der Lebensmittelproduktion und der Landwirtschaft, welche nach dem Global Biochar C-Sink Standard als klimaneutral gelten. Die Treibhausgas-Emissionen, die rund um den Pyrolyseprozess und die Verarbeitung und Einbringung der Pflanzenkohle entstehen, können mittels der aus der Pflanzenkohle gebildeten C-Senken ausgeglichen werden.
Allerdings stellt sich auch hier wieder die gleiche Systemfrage: Kann, darf und soll eine C-Senke zertifiziert und die Klimawirkung an eine nicht direkt mit dem Projekt in Verbindung stehende Firma verkauft werden, wenn das gesamte Produktionssystem (Palmölherstellung), von dem die Pflanzenkohle-Produktion nur einen kleinen Teil ausmacht, in hohem Maße klima- und naturschädigend ist (Meijaard et al., 2020)? Eine Fluglinie könnte so ihre Flugemissionen mit Biochar C-Senken aus Palmplantagen kompensieren und ihre Flüge als klimaneutral bewerben, während die Emissionen, die bei der Palmölherstellung anfallen, nicht kompensiert werden, was die dann klimaneutral fliegenden Fluggäste kaum erfahren würden.
Ein anderes denkbares Szenario wäre, dass die Palmölproduzenten die Biochar C-Senken dafür nutzen, zum Beispiel 20% ihrer Ölprodukte als komplett klimaneutral zu verkaufen, und die verbleibenden 80% ohne Klimasiegel. Für die, die es sich nicht leisten können oder es für nicht notwendig erachten, gibt es billige Ölprodukte, deren Klimaauswirkungen nicht kompensiert werden. Die ohnehin teureren Ölprodukte für die Wohlhabenden 20% werden noch etwas teurer, was aber unter Marketingkosten abgerechnet werden kann. Die klimabewusste, wohlhabende Klientel wird die Zusatzkosten gern zahlen, wenn die Zertifizierung die Klimaneutralität sicher nachweist. Und die verbleibenden 80% werden sich nicht daran stören und zu den billigeren Produkten greifen. Man müsste noch nicht einmal den Spalt zwischen ärmeren und reicheren Kunden aufreißen, es genügt, die kundennahen Ölprodukte (z.B. Schokolade incl. Kakao, Zucker, Milch) klimaneutral zu stellen und die kundenfernen Produkte, bei denen niemand auf das Etikett schaut (z.B. Frittieröl für die Gastronomie), könnte klimaschädigend bleiben. Überlässt man die Klimawahl allein dem freien Markt, wird die Klimalösung niemals hinreichend skalieren, sondern so wie die biologische Landwirtschaft ein Nischenprodukt bleiben. Man würde an der Grenze von 10 zu 90 oder 20 zu 80 (klimaneutralen zu klimaschädlichen Produkten) verharren und den Klimaabgrund mit der eigenen Haut ausloten.
Doch was ist Auftrag, Sinn und Zweck einer C-Senken Zertifizierung? Sie bestätigt, dass die C-Senke in der deklarierten Größe existiert und dass bei ihrer Erschaffung kontrollierte Kriterien eingehalten wurden. Ein zentraler Aspekt pflanzenkohlebasierter C-Senken ist die Nachhaltigkeit der Biomasse. Per Definition gelten Reststoffe anderer Prozesse (z.B. Sägespäne, Palmöltrester) als klimaneutral und insofern auch für nachhaltig, da ihre Entsorgung ohnehin gewährleistet werden muss. Wie umweltfreundlich und klimaschädigend die Primärproduktion dessen ist, was zu den Restestoffen führte, sollte die Aufgabe des Staates und nicht des C-Senken-Zertifizierers sein. Das ist die Grenze dessen, was eine C-Senken-Zertifizierung leisten kann.
Derzeit kostet eine Tonne Palmöl für den Weltmarkt rund 800 €. Damit generiert die 10‘000 ha Plantage mit ihren 30‘000 t Palmöl einen Umsatz von rund 24 Millionen Euro mit einer Gewinnmarge von kaum mehr als 10%. Die Monetarisierung der potentiellen C-Senke mit 100 € je Tonne CO2 würde bei den oben berechneten 70‘000 t CO2e weitere 7 Millionen Euro Umsatz generieren, dies aber mit deutlich höherer Gewinnmarge sofern die sonstigen Produkte der Pyrolyse (Pflanzenkohle, Wärme, Strom, Öl) wirtschaftlich genutzt werden. Knapp 30% des Umsatzes der Palmölplantage würden dann durch C-Senken generiert – bei einer eher konservativen Annahme für die Einnahmen aus C-Senken Zertifikaten. Wenn C-Senken nun aber für einen relevanten Teil des Gesamtgewinns des Projektes sorgen, müssten die Produktionsemissionen dann nicht auch anteilig auf die Produktion der Biomasse umgelegt und kompensiert werden? Sind die Biomassereststoffe also keine bloßen Reststoffe mehr, sondern Produkte?
1.3. C-Senken aus Weizenstroh
Würden wir bei Palmölplantagen so streng sein und verlangen, dass alle Emissionen vom Dünger bis zum Pestizid einbezogen und ausgeglichen werden, müssten wir beim Weizenstroh ebenso verfahren. Momentan wird Stroh aber als ein Restprodukt der Getreideherstellung aufgefasst. Alle Emissionen der Weizenherstellung werden auf das eigentliche Produkt, also die Weizenkörnen bzw. das Mehl, angerechnet. Somit wird das Stroh zur klimaneutralen Biomasse, denn der Fußabdruck für die Produktion der gesamten Weizenpflanze müsste auf der Mehlverpackung stehen. Für Pflanzenkohle, die aus dem Stroh hergestellt wird, muss daher keine CO2e-Emissionen für die Herstellung des Strohs abgerechnet werden. Allerdings steht der CO2e-Fußabdruck des Mehls ebenso wenig auf der Verpackung wie er nicht auf der Schokoladentafel steht, in der obiges Palmöl drin ist.
Die Annahme des klimaneutralen Strohs begründet man damit, dass der Bauern ohne Aussicht auf die Ernte der Körner das Getreide ja nicht anbauen und somit auch kein Stroh produzieren würde. Doch selbst wenn man dieser Argumentation folgt, bleibt die Frage, warum der Bauer nicht zuerst sein Weizenfeld oder seinen ganzen Hof klimaneutral stellt, also die selbst verursachten Emissionen kompensiert, bevor er C-Senken, die er aus den Reststoffen produziert, an andere Firmen verkauft, die damit dann ihre Emissionen kompensieren. Soll man mit dem Verspeisen seines täglich Brot das Klima erwärmen und mit dem verkohlten Stroh vom Getreide den Urlaubsflug nach Mallorca kompensieren? Dann sollte zumindest auf dem Etikett jeden Brots stehen, wie viel CO2e emittiert wurden, um das Brot herzustellen. So wäre zumindest die Verantwortung wieder auf den Brotkäufer abgewälzt, so wie die Erdölindustrie die Emissionen auf den Autofahrer abwälzt.
Doch wo sollte die Systemgrenze zum klimaneutralen Stroh gezogen werden? Reicht es, exakt jene Emissionen durch Traktoren, Düngemittel, Pestizide und Mähdreschers für die Bearbeitung dieses Weizenfeldes ausgleichen? Müsste nicht der gesamte landwirtschaftliche Betrieb zunächst klimaneutral werden und nicht nur das Feld, von dem die Biomasse zur Pflanzenkohleherstellung kommt? Müssten auch seine Hühner und vielleicht sogar die Rinder klimaneutral gestellt werden? Und wo ist beim Bauern die Grenze zwischen privat und Betrieb? Muss er auch die Heizung seines Hauses, den Schulbus seiner Kinder, den Strom für die Tiefkühltruhe mit dem Fleisch von der letzten Jagd in sein Emissionsportfolio rechnen?
Führt man diese Überlegungen konsequent weiter, dürfte schließlich nur noch derjenige C-Senken verkaufen, der selbst klimaneutral ist. Ein zumindest sehr bedenkenswerter Gedanke. Denn weshalb sollte man aus Überzeugung und gutem Willen C-Senken von jemandem kaufen, der die Überzeugung zum Klimaschutz nicht teilt und sich nicht selbst um eigene Klimaneutralität sorgt? Aber warum sollte man vom Bauern verlangen, vollständig klimaneutral zu sein, bevor er C-Senken verkauft, wenn der klimabewusste Büroarbeiter auch nur den Urlaubsflug ans Mittelmeer kompensiert und ansonsten mit den Schultern zuckt. Wird der Bauer bestraft, nur weil er C-Senken selbst herstellen kann, wohingegen der Angestellte höchstens Emissionen reduzieren kann?
Doch würden dann am Markt noch Unternehmen übrigbleiben, die diese hehren Ziele der gesamtbetrieblichen Klimaneutralität erfüllen? Man darf es bezweifeln. Und so kann man wohl auch für den Bauer vermuten: Wenn er für seine Emissionen keine Klimasteuer entrichten muss, aus dem Zusatzaufwand zum Aufsammeln des Weizenstrohs keinen finanziellen Mehrwert erzeugt und der Pflanzenkohleproduzent erst schauen muss, dass der Strohbauer klimaneutral ist, bevor er die C-Senke seiner Pflanzenkohle verkaufen kann, dann würde wohl nur in den seltensten Fällen Weizenstroh zu Pflanzenkohle und langfristigen C-Senken verarbeitet.
Die wirtschaftliche Betrachtung zeigt allerdings einen gewissen Unterschied zur Situation mit tropischen Cash Crops wie dem Palmöl. In Deutschland werden rund 8 t Weizenkörner pro Hektar geerntet, mit einem Wert von ca. 250 € je Tonne, also 2000 € je Hektar. Gleichzeitig fallen 6 t Stroh an, aus denen sich ca. 1 t Pflanzenkohle (ca. 2t CO2e) gewinnen lässt. Damit machen Erträge aus der Klimadienstleistung (2t CO2e * 100 €/tCO2e = 200 €) hier nur ca. 10% des Umsatzes aus. Lohnen würde es sich für den deutschen Bauern wohl trotzdem, da er neben der C-Senke noch ca. 1000 € für die Tonne Pflanzenkohle und zudem noch Einnahmen für das Nahwärmenetz von (0.06 €/kWh * 8000 kWh =) 480 € generieren kann.
1.4. Waldsenken eines Bergbauunternehmens
Auf einer ausgelaugten Fläche eines Bergbauunternehmens werden Bäume gepflanzt. Damit sie auf dem kaputten Boden schnell zu einem geschlossenen Wald heranwachsen, wird eine robuste Fichtensorte in Reih und Glied gepflanzt. Die Bäume nehmen jedes Jahr eine zunehmende Menge an atmosphärischen Kohlenstoff auf und speichern diesen in der Biomasse. Frühere wurden sogenannte Waldzertifikate generiert, indem die Menge Kohlenstoff abgeschätzt wurde, die dieser Wald in seinem Klimax-Stadium in dreißig oder hundert Jahren gespeichert haben wird. Diese Senken wurden dann bereits zum Zeitpunkt der Pflanzung verkauft, obwohl die Klimadienstleistung erst in der Zukunft erbracht werden wird. Nach dem neuen Global Tree C-Sink Standard funktioniert dies anders. Hier wird die oberirdische Biomasse jedes einzelnen, angepflanzten Baumes in regelmäßigen Intervallen ausgemessen (z.B. durch das Scannen des Baumstamms, welches die Baumart und den Stammdurchmesser bestimmt). Durch die Vermessung des Baumes wird sichergestellt, dass nur derjenige Kohlenstoff zertifiziert wird, der tatsächlich aus der Atmosphäre aufgenommen wurde.
Aus der in den Bäumen bzw. dem ganzen Wald gespeicherten Menge an CO2e kann dann für jedes einzelne Jahr des Baumwachstums der erbrachte Global Cooling Service berechnet werden. Der Global Cooling Effekt ist ein Maß für die Menge an globaler Abkühlung, die durch die Reduktion des CO2e-Gehaltes in der Atmosphäre für eine bestimmte Zeit erzielt wurde. Anders als bodenapplizierte Pflanzenkohle, deren Kohlenstoff zum größten Teil für sehr lange Zeit geologisch gespeichert bleibt, kann für Bäume nur mit großer Unsicherheit die gespeicherte C-Menge für die nächsten zehn, zwanzig oder fünfzig Jahre vorhergesagt werden. Bäume können von Menschen gefällt, von Schädlingen befallen oder durch Feuer zerstört werden. Aus diesem Grund wird der Klimaeffekt von Waldsenken immer nur für das laufende Jahr sowie alle vorherigen Jahre kontrolliert und zertifiziert, aber nicht für die zu ungewisse Zukunft.
Der Cooling Service gepflanzter Bäume kann den Klimaerwärmungseffekt von Treibhausgas-Emissionen kompensieren, dies aber nicht von heute auf ewig, sondern eben genau für diejenigen Zeiträume, für die auch die Wald-Senke zertifiziert ist. Und hier stellt sich nun die gleiche Frage wie bei den Palmölplantagen, dem Weizenfeld und den Bohrlöchern für Erdöl: Kann der Global Cooling Service eines Waldes an beliebige Emittenten von Treibhausgasen zur Kompensation verkauft werden oder müssen zunächst die Emissionen kompensiert werden, die das Bergbauunternehmen verursacht hatte, als es vor vielen Jahren einen Wald rodete, die Erde abtrug, Erze aus der Tiefe förderte, Aushub ablagerte und viele schwere Maschinen betrieb?
Solange das Bergbauunternehmen keine CO2-Abgaben für all seine Emissionen der letzten zumindest 20 Jahre entrichten muss, gibt es kein wirtschaftliches Interesse, die C-Senken des Waldes mit den eigenen Emissionen zu verrechnen. In Abwesenheit anderer Verpflichtungen zur Bodenregenerierung würde der Wald wohl nur gepflanzt, wenn die Cooling Services extern verkauft werden könnten. Der Wald über dem Bergwerk könnte also die Klimaerwärmung durch die Emission von Autoabgasen kompensieren, würde aber die Emissionen der Bergbaumaschinen unangetastet lassen.
Aber würden Sie von einem Bergbauunternehmen, das ganze Berggipfel wegsprengt, Unmengen Grundwasser ausgepumpt und möglicherweise kontaminierte Erde hinterlassen hat, Ihre C-Senken kaufen, um die tägliche Autofahrt zum Kindergarten zu kompensieren? Oder dann doch lieber vom Palmölproduzenten?
Am einfachsten wäre es freilich, der Bergbaukonzern würde gesetzlich zur Kompensation der eigenen Treibhausgasemissionen gezwungen, dann hätte er großes Interesse, den Wald selbst zu pflanzen, anstatt extern Zertifikate zuzukaufen.
Wir müssen auch nicht einen Bergbaukonzern aus dem Bilderbuch des Grauens als besonders prägnantes Beispiel heranziehen. Es könnte auch die Aufforstung eines Stadtparks oder die Umwandlung eines Weizenfelds zu Agroforst sein. Deren Klimanutzen ist klar und zertifizierbar, aber es bleibt die Frage, ob man seine C-Senken verkaufen kann, bevor man seine eigenen Emissionen kompensiert hat – was auch immer zu den „eigenen Emissionen“ gehört. Muss die Stadt also zunächst ihre eigenen Emissionen kompensieren, bevor sie die Baumsenken des Stadtparks als Klimazertifikate an eine externe Firma oder die Stadtbewohner verkauft? Oder sollte die Grenze etwas weniger weit gezogen werden, sodass nicht die ganze Stadt, sondern nur der Stadtpark, und nicht der ganze landwirtschaftliche Betrieb, sondern nur das um Agroforst ergänzte Weizenfeld als in sich geschlossene C-Senken-Projekte angesehen werden, welche zunächst komplett klimaneutral gestellt werden müssten, bevor Klimadienstleistungen daraus verkauft werden dürfen?
Im Global Tree C-Sink Standard, mit dem sich C-Senken in lebenden Bäumen zertifizieren lassen, ist es klar geregelt, wie sämtliche Emissionen, die bei der Anlage und Pflege der neuen Pflanzung anfallen, erfasst, registriert und mit geologischen Senken ausgeglichen werden müssen. Die Systemgrenze ist hier die Fläche der Pflanzung und nicht das Unternehmen, welches das Projekt koordiniert, und auch nicht der Besitzer der Landflächen.
1.5 C-Senken in Betongebäuden und Baumaterialien
Die mittlere Nutzungsdauer von Betonbauwerken beträgt 60 Jahre, und sofern Kohlenstoff nichtfossiler Herkunft in die Betonmatrix eingearbeitet ist, ist dieser für diesen Zeitraum von biologischem und chemischem Abbau geschützt. Der Kohlenstoff in Betonbauwerken kann folglich für diese Nutzungsdauer als C-Senke zertifiziert werden. Typische Baumaterialien und Zusatzstoffe aus nichtfossilem Kohlenstoff (nachwachsende Baumaterialien - „C-Senken Material“) sind zum Beispiel Holz, Dämmstoffe aus Stroh oder gepressten Holzspänen sowie (Beton-)Zuschlagstoffe wie Pflanzenkohle. Die Zertifizierung nachwachsender Baumaterialien erfolgt aufgrund der zeitlich begrenzten Lebensdauer der Bauwerke als temporäre C-Senke, die im Global C-Sink Registry eingetragen wird. Dort werden neben der erwarteten Lebensdauer auch Kontrollperioden für die Überprüfung des Fortbestands der C-Senke festgehalten. Sofern das Baumaterial beim Rückbau kohlenstofferhaltend rezykliert oder deponiert wird, kann die C-Senken-Zertifizierung entsprechend verlängert werden. Die Treibhausgasemissionen, die zur Gewinnung, Verarbeitung und Transport der nachwachsenden Rohstoffe verursacht wurden, werden gleichfalls erfasst und im Emissionsportfolio des gleichen Registers eingetragen. Die fossilen CO2-Emissionen des Emissionsportfolios der C-Senke müssen mit geologischen C-Senken ausgeglichen werden.
Ein Haus wird jedoch auf absehbare Zeit nicht ausschließlich aus C-Senken-Materialien bestehen. Auch ein Holzhaus benötigt ein Fundament und ggf. einen Keller, die höchstwahrscheinlich aus Beton und Kalksandsteinen oder gebrannten Ziegeln gebaut werden. Überträgt man die oben diskutierten hohen Ansprüche an C-Senken Erzeuger auf diese Situation, könnte man argumentieren, dass nicht nur die im Bau verwendete Biomasse oder Pflanzenkohle, sondern auch alle Baumaterialien und der gesamte Bauvorgang durch den Einsatz geologischer C-Senken klimaneutral gestellt sein müssten. Gemäß den obigen Darlegungen sind die mit dem Hausbau generierten C-Senken aber außer der mitverbauten Biochar größtenteils nicht geologischer Natur, sondern „nur“ temporär. Geologische Senken zum Ausgleich der (anteiligen) Bauemissionen müssten daher zugekauft werden.
Eine Alternative zur Verwendung teurer geologischer C-Senken wäre die Kompensation der Bauemissionen durch die temporären C-Senken, die im Bauwerk selbst integriert wurden. Dies wäre freilich nur für die Lebensdauer des Bauwerks möglich – doch besser sauber registriert und aufgeschoben als vergessen. Wird beim Rückbau des Gebäudes die C-Senke aufgelöst, endet damit auch die Kompensation der ursprünglichen Bauemissionen, die zu diesem Zeitpunkt zu den Emissionen des Rückbaus hinzugerechnet werden müssen. Das Emissionsportfolio des Gebäudes muss folglich ebenso wie das C-Senken Portfolio des Gebäudes für die gesamte Lebensdauer des Gebäudes erhalten und regelmäßig auf ihren Erhalt aktualisiert werden. Zusätzliche, während der Lebensdauer des Gebäudes anfallende Emissionen müssten zudem hinzugerechnet werden.
Das Emissionsportfolio des Gebäudes ist als langfristige Klimahypothek des Hauses anzusehen, welche im Grundbuchamt zu registrieren wäre (bzw. das Grundbuch kann mit einem entsprechenden C-Sink Registry verbunden sein). Die Klima- oder Emissionshypothek eines Bauwerkes oder sonstigen Materials, die eingelöst werden muss, wenn die temporäre C-Senke aufgeflöst wird (Bauwerk wird zurückgebaut, das Material verbrannt bzw. oxidiert), könnte ein entscheidender konzeptioneller Schritt werden, um temporäre C-Senken praxistauglich zu machen. Die Erschaffung von zertifizierbaren, temporären C-Senken könnten so günstiger werden. Die Klimawirkung wäre gleichwohl voll und ganz gegeben, denn für die Atmosphäre ist es unerheblich, ob die Bau-Emissionen sofort mit einer geologischen Senke oder zunächst durch eine temporäre C-Senke kompensiert werden, die später erneuert oder von einer geologischen Senke abgelöst wird.
Problematisch wird die Anrechnung von C-Senken Materialien erst dann, wenn weder das Bauunternehmen noch die Bewohner oder Besitzer der Bauwerke Interesse an der Eigennutzung der C-Senken haben und daher die temporären C-Senken der Gebäude an externe Firmen oder Personen verkaufen wollen. Während bei geologischen Senken eine Garantie der Langfristigkeit vorliegt, können solche Senken problemlos auch an externe Kunden verkauft werden. Temporäre Senken hingegen müssen regelmäßig kontrolliert werden, und sobald der gespeicherte Kohlenstoff der C-Senke zum Beispiel durch Rückbau abnimmt, muss das Kompensationsprojekt entsprechend über die Abnahme der Kompensationsleistung der Senke informiert werden. Der Klimaservice einer solchen in Intervallen zu überprüfenden C-Senke kann folglich nur für eine begrenzte Zeit im Voraus oder grundsätzlich nur im Nachhinein gehandelt werden. Idealerweise wird die Klimawirkung von temporären C-Senken nur für Zeiträumen verkauft und angerechnet, in welchen die Existenz der C-Senke garantiert werden kann.
2. Mögliche Regeln für Emissionsanrechnung bei der Herstellung von C-Senken als Nebenprodukt
Werden für die Herstellung von C-Senken Biomasse verwendet, die bei der Produktion und Verarbeitung von Biomassen als Nebenprodukt entstehen, muss geregelt werden, welche Produktionsemissionen auf die Hauptprodukte (z.B. Palmöl oder Weizen) und welche Emissionen auf die Nebenprodukte (z.B. Biochar, Wärme, Strom, Pellets) angerechnet werden. Die jeweilige Anrechnung der Produktionsemissionen ist ein wesentlicher Parameter für die Beurteilung der Systemgrenzen in der C-Senken Zertifizierung. Hieraus ergeben sich die folgenden grundsätzlichen Szenarien:
- Alle Emissionen werden dem Hauptprodukt, d. h. den Weizenkörnern oder dem Palmöl usw., zugerechnet. Somit würde die Pflanzenkohleerzeugung als Teilprozess gemäß der in ISO 14040 definierten Teilprozess-Regelung betrachtet werden (Esteves et al., 2019). Es würden folglich keine Emissionen für den Anbau der Reststoffe (Stroh, Palmöl-Fruchtstände, etc.) angerechnet. Kompensiert werden müssten dann nur die Emissionen für den Transport der Biomasse vom Ort der Entstehung zur Pyrolyseeinheit und für die Lagerung der Biomassen (Fuchsz and Kohlheb, 2015) sowie für die Energie zur Zerkleinerung oder Trocknung der Biomasse.
- Die Gesamtemissionen des Produktionsprozesses der Biomasse werden summiert (Landbewirtschaftung, Düngemitteleinsatz, Pflanzenschutz, Transport). Diese Gesamtemissionen werden dann entsprechend der mit den Produkten erzielten Wertschöpfung anteilig aufgerechnet. Wird also zum Beispiel 70% des Umsatzes mit Palmöl und 30% des Umsatzes mit den Biomassen für die Pflanzenkohle-Herstellung gemacht, müssten für die Bereitstellung der Biomasse 30% der Produktionsemissionen kompensiert werden. Dieser Ansatz entspricht dem Systemerweiterungs- oder Substitutionsansatz, wie er in ISO 14040 (Pro-rata expenditures) empfohlen wird. Alternativ könnte die Aufteilung auch nach dem Energie- oder Kohlenstoffgehalt der verschiedenen Produkte durchgeführt werden.
- Sämtliche Emissionen, die im Zusammenhang der Biomasseherstellung anfallen (Landbewirtschaftung, Düngemitteleinsatz, Pflanzenschutz, Transport) müssen kompensiert werden, und zwar unabhängig davon, ob eines oder mehrere Produkte des Prozesses nicht zu C-Senken verarbeitet werden. In dem Szenario müsste folglich das gesamte Projekt klimaneutral sein, bevor C-Senken verkauft werden dürften.
- Sämtliche Emissionen aller am Prozess beteiligten Unternehmen (Produzent der Biomasse, Verarbeiter der Biomasse) müssen klimaneutral sein.
Aus Szenario 4 würde sich die Regel ableiten, dass nur derjenige Klimadienstleistungen von C-Senken verkaufen darf, der selbst klimaneutral ist. Falls der Verkäufer nicht klimaneutral ist, müsste er die zertifizierten C-Senken zunächst darauf verwenden, die eigenen Emissionen zu kompensieren.
Eine solche Regel würde größere Firmen gegenüber kleineren Firmen benachteiligen. Eine kleine Firma, die nur ein biologisches Weizenfeld betreibt, könnte rasch das Stroh für die C-Senken klimaneutral stellen. Ein Mischbetrieb mit Rindern und Getreideanbau müsste dermaßen viele Emissionen für die Rinderproduktion kompensieren, dass sie niemals C-Senken aus dem Getreideanbau verkaufen könnten. Eine Aufteilung der Firma in klimaneutrale Weizenproduktion und noch nicht klimaneutrale Rinderproduktion wäre eine wirtschaftliche Lösung, die aber dem Klima nichts nützt. Ausgründungen von Firmen zur C-Senken Herstellung wäre auch für industrielle Unternehmen ein simpler Weg, diese Regel zu umgehen.
Um die Anforderungen an die C-Senken Zertifizierung nicht unverhältnismäßig zu erschweren, könnte statt einer Firmenbindung eine Projektbindung eingeführt werden (Szenario 3). Klimadienstleistungen von C-Senken dürften damit nur verkauft werden, wenn das zertifizierte Projekt klimaneutral ist. Damit könnte ein Landwirt z.B. seine Weizenfelder als Projekt zertifizieren lassen, und müsste nicht seine Rinderproduktion mit einrechnen. Oder wenn ein Gebäude als Bauprojekt C-Senken im Fundament und der Bauhülle anlegt, so müsste zwar das Gebäude als Projekt klimaneutral gestellt werden (Szenario 3), nicht aber die gesamte Baufirma (Szenario 4). Insofern eine Palmplantage ebenso wie das Weizenfeld als ein Projekt anzusehen wäre, müsste eine bestimmte Plantage (Szenario 3), nicht aber alle Plantagen einer Firma (Szenario 4) klimaneutral gestellt werden. Es wäre in dem Fall jedoch nicht zulässig, die Klimabilanz des Palmöls von der Klimabilanz der Fruchtstände zu trennen (Szenario 2), da beide Produkte zum gleichen Projekt gehören. Auch wäre es nicht zulässig, die Produktionsemissionen von Fenstern und Türen von jenen der Gebäudehülle eines Hauses zu trennen (Szenario 2).
Die strenge Anforderung, dass C-Senken-Projekte gesamthaft klimaneutral sein müssen, könnte allerdings ungewollte Folgen haben. So würden sinnvolle C-Senkenprojekte möglicherweise nicht mehr lanciert. Wenn ein erheblicher Teil der C-Senken für die Kompensation der eigenen Emissionen aufgewendet werden müsste, würde der Verkauf der verbleibenden Klimadienstleistungen möglicherweise nicht genug Einkommen generieren, um die Projektkosten zu decken. Die Folge des Zwangs zu klimaneutralen Projekten wäre wohl, dass weniger Klimadienstleistungen geschaffen würden.
Der Hauptgrund für diese absurde Folge einer doch eigentlich höchst vernünftigen Regel ist, dass die Verursachung von Emissionen viel billiger ist als die Anlage von permanenten C-Senken. In den meisten Fällen ist das Emittieren von Treibhausgasen noch immer kostenlos (z.B. Landwirtschaft und Bauindustrie). Dass dies so ist, ist die Folge politischer Entscheidungen. Diese zu korrigieren, kann nicht vom Entwickler von C-Senken Standards übernommen werden. Es sind pragmatische Übergangslösungen erforderlich, die gleichwohl nicht zum Verräter der Ideallösung werden.
Für die C-Senken-Zertifizierung kommen somit zunächst nur Szenario 1 und 2 in Frage: (1) die Annahme der Klimaneutralität von Reststoffen bzw. (2) die Aufteilung („pro-rata“) der gesamten Produktionsemissionen auf die verschiedenen Produkte eines Prozesses. Die wünschenswerten Szenarien 3 und 4 können allerdings zusätzlich als solche zertifiziert werden, so dass C-Senken aus klimaneutralen Projekten bzw. von klimaneutralen Firmen mittels eines Labels ausgewiesen werden können.
Zitierte Literatur
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