Wird Klimamarketing zum Tod der Pflanzenkohle?

von Hans-Peter Schmidt

Ändert es etwas fürs Klima, wenn ich meine jährlich rund 10 Tonnen CO2 Emissionen mit dem Kauf von 5 Tonnen Pflanzenkohle und deren Einbringung auf einem Hektar unserer Weinberge kompensiere? Oder besser gleich die 80 Tonnen der ganzen Familie einschließlich der Großeltern, die auch im Haushalt wohnen, den Klimawandel aber nur aus der Ferne als Problem wahrnehmen? Das wären dann immerhin 40 Tonnen Pflanzenkohle, und das jedes Jahr. Bei derzeitigen Pflanzenkohle-Preisen wären das Kosten von über 40‘000 Euro pro Jahr bzw. 2 Millionen Euro in 50 Jahren.

Mal abgesehen davon, dass wir sicher nicht die 4 Millionen Euro für all die Pflanzenkohle einschließlich der Steuern für die Einnahmen von 2 Millionen zur Verfügung hätten, wir haben auch nur 3 Hektar Reben, also gar nicht die Flächen, um all die Pflanzenkohle auszubringen. Und wer hat überhaupt schon so viel Land? Die meisten Städter sicher nicht. In Europa besitzen weniger als 0,5% der Bevölkerung mehr als 3 ha Land. Das heißt, dass 99.5% der Europäer nicht über hinreichend eigene Landflächen verfügen, um die eigenen CO2-Emissionen durch die Applikation von Pflanzenkohle auf dem eigenen Land zu kompensieren.

Wir können es auch anders rechnen. Die landwirtschaftliche Nutzfläche Europas (EU plus nicht-EU Länder wie Ukraine, Russland, Schweiz etc.) beträgt etwa 300 Millionen Hektar. Verteilt auf die rund 750 Millionen Einwohner ergibt dies rund einen halben Hektar pro Einwohner. Einschließlich der konsumbasierten Emissionen (d.h. auch die für einen in China hergestellten, in der Schweiz getragenen Turnschuh) stoßen die Europäer im Schnitt 10 – 11 Tonnen CO2e aus, müssten also auch rund 5 Tonnen Biochar pro Jahr ausbringen, um die Emissionen zu kompensieren. Es müssten also auf jeden landwirtschaftlichen Hektar Europas vom Ural bis zum Atlantik jedes Jahr 10 Tonnen Pflanzenkohle ausgebracht werden. Das wären in 50 Jahren 500 Tonnen auf jedem Hektar, als überall eine Schicht von 25 cm. Und wenn nur die Hälfte der Landwirte mitmachen, wäre es ein halber Meter überall. Europa würde einen halben Meter in die Höhe wachsen. Es wären 150 Milliarden Tonnen Pflanzenkohle, für die es 750 Milliarden Tonnen Biomasse bräuchte. Allerdings enthalten selbst die 215 Millionen Hektar Wald in Europa nur 20 – 25 Millionen Tonnen Biomasse. Der gesamte Wald Europas müsste also in 50 Jahren mehr als 35mal komplett nachwachsen. So großartig Biochar ist, das Potential ist nicht ausreichend, um ohne massive Emissionsminderung (mindestens 90%) eine Wende in der Klimaerwärmung zu bewirken.

Was bedeutet das? Macht Pflanzenkohle also doch keinen Sinn? Und überhaupt das private Engagement für Kohlenstoffsenken und die Kompensation der eigenen Emissionen? Wurde die Klimawirkung von Pflanzenkohle seit Jahren übertrieben, um einen bescheidenen Markt aufzublähen und Gelder von Investoren einzutreiben, die den Markt nun aushöhlen, weil sie außer der Klimaoption keine Marktidee haben?

Auf einmal wird klar, wie das Klimamarketing für Biochar dem Klima nun sogar schadet, weil zu lange niemand mehr darauf geachtet hat, was sich mit dossiertem Einsatz von Pflanzenkohle in der Landwirtschaft bewirken lässt. Es ist ein bisschen so, als würde man Werbung für Schweizer Käse damit machen, dass sich nur durch den Kauf des Käses dafür sorgen lässt, dass die armen Kühe gefüttert werden, anstatt dass mit dem Wohlgeschmack des Käses Lust auf dessen Kauf gemacht wird.

Natürlich hat Pflanzenkohle eine Klimawirkung und sie lässt sich auch genau zertifizieren. Pflanzenkohle macht für Landwirte Sinn, um ihre Nährstoff- und Kohlenstoffkreisläufe zu schließen und ihre Energie- und Ressourcenautonomie zu stärken. Aber wenn ein Pflanzenkohlehersteller die Klimawirkung seiner an einen Bauern verkauften Kohle an einen Markenanwalt verkauft, der damit seine Skireise in den Pulverschnee von Japan oder die Osterpause auf den Kanaren kompensiert, dann ist der Sinn des Ganzen zumindest fraglich.

Klimazertifikate haben der Pflanzenkohleindustrie zu einem Wachstumsschub verholfen, da Bänker in den Zertifikaten eine Sicherheit sahen, um Kredite zu genehmigen und Investoren eine langfristige Rendite witterten. Dadurch ist die auf dem Markt verfügbare Menge an Pflanzenkohle gestiegen und die Hersteller von Pyrolyseanlagen konnten sich professionalisieren, was beides zu begrüßen ist. Nun geht es aber darum, die Marktlage zu nutzen, um neue Biochar-Produkte für Industrie und Landwirtschaft zu entwickeln. Nur mit qualitativ hochwertigen Produkten, die dem Anwender einen Mehrwert garantieren und nichts anderes versprechen, wird die Industrie überleben und wachsen. Klimazertifikate sind ein Bonus und je mehr die Biochar-Industrie wächst, desto höher ist auch der Klimaeffekt, aber wir sollten aufhören, einzig mit dem Klimaeffekt Werbung für Biochar zu machen, denn ohne den wirklichen, spürbaren Vorteil der industriellen und landwirtschaftlichen Anwendung von Biochar, wird die Industrie zugrunde gehen, bevor überhaupt ein messbarer Klimanutzen erzielt wurde.

Marketing, das mit pseudoprofound Bullshitting den Anwendern, Käufern und Wählern erzählt, was sie vermeintlich hören wollen, führt genau zu der Situation, in der wir uns heute befinden, dass niemand mehr einem Politiker, einem Internetverkäufer, einem Biolandwirt oder einem Klimaschützer glaubt. So verspielen wir jede Chance, unsere Umwelt, unsere Sozialsysteme und das Klima zu retten.