Charta für Weinberge in Biodiversität

von Hans-Peter Schmidt

Das zentrale Prinzip der neuen Methoden qualitätsorientierten Weinbaus basiert auf der gezielten Förderung der Biodiversität. Dies jedoch erklärt sich nur indirekt aus der eher ästhetischen Vorgabe, dass es im Weinberg nach Blüten duften soll und dass Grasshüpfer springen, sondern vor allem daraus, dass der Weinberg als ein Ökosystem begriffen wird, dessen flexible Balance
erst durch die komplexe Vernetzung der hohen biologischen Vielfalt entsteht. Die Anwesenheit zahlreicher Schmetterlingsarten, Käfer, Wildbienen und Vögel gilt daher auch nur als das sichtbarste Zeichen dafür, dass das Gesamtsystem wieder in ein gesundes Fliessgleichgewicht rückt. Das Hauptziel der Biodiversitätsförderung besteht somit darin, die Weinberge zu stabilen Ökosystemen umzuwandeln und durch eine nachhaltige Nutzung der natürlichen Kräfte die Terroirqualität zu steigern. CHARTA Biodiversität des Bodens und der Bodenbedeckung blumenvielfalt-im-weinberg1. Die Förderung der Biodiversität im Weinberg beginnt mit der biologischen Aktivierung der Böden. Es wird ausschließlich bioaktive Düngung eingesetzt: Kompost, Kompostextrakte, Kräuterauszüge, Gründüngung, Biokohle, Mulch, BRF. Grundsätzlich verboten sind: Mineraldünger, Düngekonzentrate, Herbizide und Gülle. Viehmist sollte vor dem Bodeneintrag unbedingt kompostiert werden. 2. Anlage dauerhafter Gründüngung mit Leguminosen in den Rebzwischenräumen. Auf diese Weise entstehen geschlossene Stoffkreisläufe, so dass die Nährstoffversorgung der Reben ohne mineralische Zusatzdüngung sichergestellt wird. Die vielfältige Leguminosenbegrünung sorgt zudem für hohe biologische Bodenaktivität, die Förderung von Symbiosen zwischen Wurzeln und Mikroorganismen, verbesserte Wasser- und Nährstoffspeicherung sowie Erosionsschutz. 3. Ganzjährig geschlossene Begrünung. Es wird eine artenreiche Begrünung mit autochthonen Blütenpflanzen angestrebt. Mindestens 20% der Saatmischung zur Gründüngung sollte aus Pflanzenarten mit Insekten-Blüten bestehen. Insgesamt müssen mindestens 50 Wildpflanzenarten im Weinberg zu finden sein. Vertikale Biodiversität Leguminosebegrünung im Frühjahr 4. Anpflanzung von Sträuchern an den jeweiligen Zeilenenden, wo sie die Arbeitsabläufe kaum beeinträchtigen. Kriterien für die Auswahl der Straucharten sind Anziehungskraft für Schmetterlinge und andere Insekten, Nistplatzmöglichkeiten, Wurzelsymbiosen, Nutzung der Früchte. Es werden einheimische Arten eingesetzt. 5. Pflanzung von Hecken als Zwischenlinie in den Reben. Je nach lokalen Gegebenheiten mindestens 2 x 20m geschlossene Hecken pro Hektar. Hecken gelten als biologische Hotspots und eignen sich als Korridore zur Vernetzung ökologischer Flächen. Als natürliches Hindernis bremsen sie die epidemische Ausbreitung von Schadpilzen. bienenstock16. Pflanzung von Obstbäumen zur Aufbesserung der vertikalen Diversität. Bäume inmitten einer niederwüchsigen und kaum strukturierten Kulturfläche haben sowohl für Vögel als auch Insekten und andere Tiergruppen eine enorm hohe Anziehungskraft und fördern dauerhaft die Wiederbesiedlung des ökologischen Habitats. Zudem fungieren solche einzeln in den Luftplankton ragenden Bäume als Sporenfänger, von wo aus Hefen und andere Pilze sich im Weinberg ausbreiten können (Vielfalt natürlicher Hefen zur Vinifizierung, Konkurrenz für Schadpilze). Pro Hektar sollte mindestens ein Baum inmitten der Reben und mehrere kleinere an günstigen NE-NW Rändern gepflanzt werden. Von keiner Stelle im Weinberg darf der Abstand zum nächstgelegenen Baum mehr als 50m betragen. Der Verlust an Traubenernte wird durch das geerntete Obst ausgeglichen. Strukturelle Biodiversität 7. Anlage artenreicher Ausgleichsflächen von mindestens 2 x 20 m2 pro Hektar als Diversitäts-Hotspots sowohl innerhalb, als auch an den Rändern der Rebparzellen, wo Aromakräuter und Wildblumen (Ruderalflora, Hochstaudenflur) wachsen. Fütterung im Insektenhotel 8. Einrichtung von Strukturelementen wie Stein- und Holzhaufen für Reptilien und Insekten. Installation von Nisthilfen für Wildbienen, Insekten, Vögel. Die Nisthilfen können in die Pfosten der Palisage integriert werden. Die Pflanzenschutzspritzungen müssen entsprechend bienen- und insektenverträglich zusammengestellt werden (Verzicht auf chemische Pestizide, aber auch auf Schwefel). Kulturale Biodiversität 9. Anbau von mindestens einer Sekundärkultur in den Zwischenräumen der Hauptkultur. Hierbei kann es sich um Gemüse wie Tomaten oder Kürbisse, um Früchte wie Himbeeren oder Erdbeeren, um Wintergetreide wie Roggen und Gerste oder um Aromakräuter handeln, die in den Zwischenzeilen der Reben gepflanzt bzw. gesät werden. Fruchthecken wie Aronia, Sanddorn, Schlehen, die als Zwischenzeilen gepflanzt werden eignen sich ebenso wie Fruchtbaumalleen (Weinbergpfirsich, Pflaume, Mandel, Quitte usw). Zu den Sekundärkulturen gehören zudem Bienen, Schafe, Hühner, Fische und ähnliche Kleintierzucht. Die Flächen, die für die Sekundärkulturen bestimmt werden, müssen groß genug sein, um eine wirtschaftliche Verwertung zu gewährleisten. Genetische Vielfalt 10. Anstatt alte Weinberge zu roden und komplett neu zu bepflanzen, werden überalterte Weinstöcke jeweils einzeln ersetzt, wobei die Jungpflanzen durch massale Selektion aus dem Weinberg selbst ausgewählt und auf angepasste Wurzelunterlagen direkt vor Ort gepfropft werden. Auf diese Weise wird über mehrere Generationen eine perfekt an das Terroir angepasste Sortenwahl vorgenommen. Die damit erzielte genetische Vielfalt verringert den Infektionsdruck durch Schädlinge, die Weinqualität steigt und auch die Widerstandsfähigkeit gegenüber den herrschenden Bedingungen. Ithaka Kommentar: Anstatt ein weiteres Bewertungssystem für Biodiversität in der Landwirtschaft aufzubauen, dass so kompliziert ist, dass die Datenaufnahme nur von Experten durchgeführt werden kann, haben wir uns mit der Charta für Weinberge in hoher Biodiversität für einen übersichtlichen Katalog konkreter Maßnahmen entschieden, deren Umsetzung direkt und nachhaltig zur Förderung der Biodiversität führt. Die Charta sollte so einfach und nachvollziehbar werden, dass zum einen den Winzern eine klare Zukunftsvision für ihre Weinberge daraus erwächst und dass zum anderen selbst fachfremde Besucher der Weinberge rasch erkennen und sogar kontrollieren können, ob der entsprechende Rebberg wirklich nachhaltig oder nur biobürokratisch gepflegt wird. Die Charta, die zeitgleich in mehreren europäischen Ländern veröffentlich wird, ist das Resultat der angewandten Ökologieforschungen, die in den letzten fünf Jahren auf den Weinbergen des Delinat-Instituts (Domaine de Mythopia und Château Duvivier) durchgeführt wurden. Die Charta ist sowohl Grundlage der Weinbauberatung des Delinat-Instituts als auch Grundlage der neuen Delinat-Richtlinien, die 2010 in Kraft treten werden.

  • Martina Stöckmann
    06.09.2009 12:17

    Hallo,
    ich habe eine große Wiese angrenzend an mein Hausgrundstück gekauft. Diese Wiese ist fast Tod, für mich jedenfalls, Pflanzenvielfalt Fehlanzeige, ich würde dort gerne Insektenpflanzen aussäen und da es sich um ~ 1000 qm handelt komme ich mit den im Einzelhandel üblichen kleinen Sämereitütchen nicht so weit. Es wäre supertoll über Euch an eine Händleradresse zu gelangen um dort mehr Menge in Bioqualität zu ordern, damit meine Obstbäume demnächst von lebendiger Wiese umgeben sind.
    Ich weiß ich bin faul, denn mit ein bißchen Zeit findet sich so eine Adresse bestimmt über Google, etc., aber vielleicht habt Ihr ja eine Mailadresse direkt zur Hand und dann weiß ich das ist wirklich eine gute Adresse.
    Vielen Dank im Voraus, mit lieben Grüssen aus dem Lipperland
    Eure Martina Stöckmann
    Ps.: Die Weinbergpfirsichkerne werden in den nächsten Tagen auch auf die Reise gehen, Danke auch da für die Adresse.

  • Ute Scott
    06.09.2009 14:46

    Hallo Martina,
    ich würde an Ihrer Stelle erst mal herausfinden, warum die Wiese so artenarm ist.
    Nicht jede Mischung Wildsamen ist für überall geeignet.
    Und dann würde ich auch erst mal die Wiese ein/zwei Jahre so lassen (ein- oder zweimal mähen) und dann herausfinden, was ganz von alleine sich dort einfindet.
    Und wie wäre es mit Bienen, die Ihre Obstbäume bestäuben, und wenn nicht Honigbienen dann durch Anbringung von Wilbienenhotels für kostenlose Bestäuber sorgen ?
    Aus Erfahrung klüger
    Ute Scott

  • Franzi Katharina
    30.09.2009 06:18

    Guten Tag
    Wir haben einen winzigen Rebberg von 220 Reben, mitten in genutzten Wiesen, zwischen den Reben Gras, das regelmässig gemäht wird und um die Reben herum lassen wir eine Scheibe frei, die wir stets jäten (damit angeblich die Wurzeln tiefer reichen). Ja, ich weiss, ein armseliger Rebberg. Haben Sie uns einen Tipp, wie wir den Rebberg Schritt für Schritt verbessern können?
    Danke im Voraus und herzliche Grüsse
    Katharina Franzi

    • cln
      30.09.2009 10:34

      Liebe Frau Franzi
      Ein erster Schritt wäre, zwischen den Reben die Grasnarbe oberflächlich umzugraben und anfangs Frühling eine Leguminosenmischung mit Luzerne, Esparsette und verschiedenen Klee-Arten einzusähen. Diese Gründüngung zur Bodenregeneration kann einfach mit dem Balken- oder Fadenmäher bei Bedarf gemäht werden. Das Schnittgut lässt man zur Humusbildung liegen. Unter den Reben bieten sich niedrigwüchsige Kräuter als Bewuchs an; Reben tendieren eher in kahlen, überdüngten Rebbergen dazu, oberflächlich zu wurzeln, da die Nährstoffe sich in den obersten Bodenschichten konzentrieren können und zudem keine Konkurrenz herscht. Da Reben sehr tiefe Wurzeln bilden können und gesunde Pflanzen dies auch tun, treten flachwurzlige Kräuter unter den Reben nicht in direkte Konkurrenz. In sehr trockenen Gebieten sollte darauf geachtet werden, dass sich unter den Reben nicht eine geschlossene Krautdecke bildet, da sonst weniger Wasser in den Boden eindringen kann. Bei Bedarf wird der Unterwuchs durch extensives Jäten aufgelockert (bei einer kleinen Rebfläche hält sich der Aufwand in Grenzen).

      Für weitere Aufwertungen und Gedankenanstösse orientieren Sie sich am besten an unserer Charta und diversen Artikeln:
      http://www.ithaka-journal.net/baume-inmitten-der-reblandschaft
      http://www.ithaka-journal.net/nisthilfen-fur-wildbienen-im-weinberg
      http://www.ithaka-journal.net/weinberge-als-lebensraume-fur-reptilien
      http://www.ithaka-journal.net/mischkulturen-%E2%80%93-ein-weltweites-erfolgsrezept

      Mit freundlichen Grüssen, Claudio Niggli

  • Hubert Pomplun
    18.10.2009 10:04

    Solche schlagwortartigen Zusammenfassungen am Ende ausführlicherer Darstellungen halte ich für sehr gut. Machen Sie weiter so! Wir sind Laien, die sich aus ökologischer Überzeugung schon lange mit dem biologischen Gärtnern beschäftigen. Ihre Arbeiten und die Berrichte darüber, die ja nun weit über die Werbung für "Bio-Wein" hinausgehen, sind Hilfe und Bestätigung.

  • sven ahlborn
    29.10.2009 07:17

    guten morgen,

    gibt's die charta auch in f/i/e oder spanisch? ich würde diese gerne meinen weinproduzenten weiterleiten bzw. empfehlen.

    herzlichen dank und weiterhin viel erfolg,
    sven

    • hps
      20.12.2009 16:42

      Ja, die Charta exisitiert bisher auf Deutsch, Französisch, Englisch, Italienisch und Spanisch. Sie kann beim Delinat-Institut als Druckausgabe bestellt werden oder auf der Webseite: www.delinat-institut.org heruntergeladen werden.

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