Bodenleben - Biodiversität als landwirtschaftliche Methode (Teil 3)

von Claudio Niggli

Das Leben unterhalb und oberhalb der Bodenoberfläche sind untrennbar miteinander verbunden. Vitale Böden sind ein unglaublich komplexes und artenreiches Gefüge aus lebenden Organismen, mineralischer Materie und toter organischer Substanz. Sie bilden die Grundlage für gesundes Pflanzenwachstum mit weitgehend geschlossenen Nährstoffkreisläufen und einem funktionierenden Kommunikationsnetzwerk.
Am Beispiel der Zersetzung von Blatt und Holz der Rebe soll in diesem Teil der Artikelserie die immense Bedeutung der Biodiversität im Boden aufgezeigt werden.

Destruktion und Neubeginn

Nahrungsnetz Boden
Vereinfachtes Boden-Nahrungsnetz

Ein Rebblatt wird, nachdem alle wertvollen Nährstoffe rezykliert worden sind, nach dem Abwurf mit den darin verbliebenen Verbindungen für die Zersetzung freigegeben (siehe auch Laubfärbung - Funktionen des ästhetischen Meisterwerks). Der größte Teil des Laubes besteht aus komplexen Kohlenhydraten wie Cellulose, welche als Vielfachzucker vor allem Kohlenstoff enthalten - eine für die Pflanze reichlich vorhandene Ressource, weshalb sie auf den Aufwand der direkten Rückführung verzichtet. Neben den Kohlehydraten verbleiben im Blatt trotz sorgfältigen Abbaus auch gewisse Anteile anderer Nährelemente wie Stickstoff und Phosphor, welche der Pflanze durch ein aktives Bodenleben rückgeführt werden können.

Die Zersetzung der Blätter wird von sogenannten Destruenten durchgeführt, die tote organische Materie wie pflanzliche oder tierische Überreste zersetzen und im Falle der Mineralisierer in anorganische Verbindungen zurückführen können. So können die Nährstoffe schließlich wieder von der Pflanze resorbiert und zum Aufbau neuer Biomasse verwendet werden.

Zu den ersten Nutzniessern des Laubfalls im Wald gehören Asseln, welche (nicht ganz trockene) Blätter beim Fressen zerkleinern und mit ihrem Kot und den „Brosamen“ weiteren Gliedern in der  Zersetzungskette eine bekömmliche Nahrung hinterlassen. Einige Käfer und Käferlarven ernähren sich von Holzresten; sie treiben den Abbau nicht nur direkt durch die Verdauung voran, sondern auch indem sie durch Nagen und Raspeln die Angriffsoberfläche für andere Destruenten vergrößern.

Pilze: Meister des Holzes

Rebholz Myzel
mit Pilzgewebe durchzogenes Rebholz

Auf Rebbergsböden sind Asseln und andere Zerkleinerer weniger häufig, weshalb Mikroorganismen unmittelbar mit der Zersetzung von totem Pflanzenmaterial beginnen. Die Zersetzungsprozess läuft aufgrund der geringen oder fehlenden Zerkleinerung der Biomasse langsamer ab.   Pilze mit ihrem Artenreichtum gehören neben den Bakterien zu den wichtigsten Destruenten. Sie können als einzige Gruppe auch sehr stabile Verbindungen wie das Lignin in verholztem Pflanzenmaterial aufschließen und gehören zu den Hauptzersetzern von Cellulose und Keratin (Hornsubstanz). Ein Rebzweig aus dem jährlich anfallenden Winterschnitt wird aufgrund seines hohen Anteils von holzigen Strukturelementen größtenteils durch Pilze zersetzt. Diese sind auch für die langsame Freisetzung von Nährstoffen aus Dauerhumus (siehe unten) hauptverantwortlich. Durch ihre Arbeit werden Nährstoffe und Mineralien effizient aufgeschlossen und auch für andere Organismen verfügbar gemacht.

Bodenmilben
Boden Mikrofauna
Milben und Springschwänze

Milben sind Spinnentiere und bilden eine vielfältige, zahlenmässig gewichtige Gruppe in der Bodenfauna. Einige sind Destruenten, andere wiederum ernähren sich räuberisch. Im Kot von Bodenmilben findet sich ein besonders hoher Anteil von Aminosäuren, die auch bei anderen Abbauprozessen in verschieden hohen Anteilen entstehen.

Pflanzen ist es offenbar möglich, selbst komplizierter gebaute Aminosäuren direkt aufzunehmen, womit zumindest für einen Teil des Bedarfs die Eigensynthese hinfällig wird.  Anstatt also aus einfachen mineralischen Verbindungen zunächst selbst Aminosäuren zu produzieren, steht der Pflanze mehr Energie zum Aufbau komplexer Proteine bereit, wodurch die Widerstandskraft der Pflanze wächst.  Wir nehmen an, dass allgemein ein vielfältiges Bodenleben auch ein breiteres Angebot an Aminosäuren ermöglicht, was sich positiv auf die Energie- und Nährstoffbilanz der Pflanze auswirkt.

Humusaufbau

Bodenpartikel Bakterien
Bodenpartikel

Als Humus wird die tote organische Masse im Boden bezeichnet, wobei zwischen Nähr- und Dauerhumus unterschieden wird. Der Nährhumus

besteht aus einfacher gebauten Bestandteilen und wird durch Destruenten relativ schnell (Wochen bis wenige Monate) zersetzt und muss demnach stetig nachgeliefert werden (z.B. durch Begrünung). Aus einem Rebblatt beispielsweise wird hauptsächlich Nährhumus, während ein beachtlicher Anteil des Rebholzes zu Dauerhumus wird. Dieser entsteht aus schwer abbaubaren Pflanzenteilen, welche oft einen hohen Anteil von sehr stabilen Polymeren wie Harzen, Wachsen oder Lignin enthalten. Er besteht vorwiegend aus der uneinheitlichen und großen Gruppe der Huminstoffe, welche besonders für die Qualität des Humus als Nährstoffaustauscher und –speicher verantwortlich sind. Durch die Tätigkeit wühlender Tiere wie Asseln, Tausendfüßler, Regenwürmer und Fliegenlarven wird dieser Humus mit den mineralischen Komponenten vermischt. Dabei entstehen sogenannte Ton- oder Kalk-Humus-Komplexe, welche hervorragende Eigenschaften für das Pflanzenwachstum aufweisen. Sie stabilisieren das Bodengefüge, erhöhen das Porenvolumen (Wasser- und Nährstoffhaushalt) und schützen die Nährstoffe vor Auswaschung in das Grundwasser

Der Kot von Regenwürmern enthält hohe Konzentrationen von Stickstoff , Phosphor und Kalium (N-P-K), womit den Tieren ebenfalls eine Schlüsselrolle im Nährstoffkreislauf zukommt. Regenwurmpopulationen können nur bei ausreichender und stetiger Versorgung des Bodens mit organischer Substanz gut gedeihen.

Mineralisation

Bakterien können bei ausreichender Feuchtigkeit rasch mit der Zersetzung von niedermolekularen organischen Verbindungen im Pflanzenmaterial beginnen. Sie bilden zusammen mit Einzellern gerne sogenannte Zoogloen, das sind geleeartige Ansammlungen von unzähligen Individuen, die sich an nassem Pflanzenmaterial zu einer Fressgemeinschaft verbinden. Dabei entscheiden sowohl das Ausgangsmaterial als auch Feuchtigkeit, Sauerstoffverfügbarkeit und Temperatur darüber, welche Arten bevorzugt anzutreffen sind. Günstige Abbauprozesse finden eher im aeroben, also sauerstoffreichen Milieu statt, während bei anaeroben Fäulnisprozessen besonders viele Nährstoffe als Treibhausgase entweichen (NH3, N2O, CO2). Kriechende Amöben können enorme Ansammlungen von faulendem Pflanzenmaterial vertilgen, andere Protozoen (Einzeller) machen Jagd auf die Bakterien.  Springschwänze und andere Urinsekten profitieren von der Vorarbeit und tun sich an solchen Aggregaten von halb zersetzter organischer Materie und Mikroorganismen gütlich.

Die Bakterien gehören wie die Pilze zu der Schlüsselgruppe der Mineralisierer. Neben dem direkten Abbau toter Biomasse zersetzen sie auch die  organischen Ausscheidungen (Kot) anderer Organismen, welche in den zahlreichen Zwischenschritten und  Abzweigungen im Nahrungsnetz anfallen, zu niedermolekularen Verbindungen ab. Und nicht zu vergessen: gestorben wird auch im Boden selbst. Die Leichen resp. toten Zellen aller Destruenten und auch deren Prädatoren (Jäger) werden schliesslich zersetzt und die vorübergehend gespeicherten Nährstoffe durch Mikroorganismen wieder freigegeben. Bei der Mineralisation entstehen  anorganische Verbindungen wie Metall-Ionen, Nitrate oder Ammonium. In dieser Form können die Nährstoffe nun wieder durch die Pflanzenwurzeln aufgenommen und durch die Leitbündel transportiert werden.

Biodiversität im Boden ist eine zentrale Voraussetzung für gesundes Pflanzenwachstum und geschlossene, effiziente Nährstoffkreisläufe. Im vierten Teil des Artikels wird es um Symbiosen zwischen Mikroorganismen und Pflanzenwurzeln gehen.

  • Hubert Pomplun
    17.01.2010 14:05

    Hervorragender Artikel. Noch schöner wäre es, wenn Sie Hinweise zur praktischen Nutzanwendung gleich damit verbinden. Z.B.: Bei aerober Zersetzung bleiben mehr wichtige Nährstoffe im Boden erhalten, weil sie nicht abgasen. Folgt daraus, dass man seinen Komposthaufen im Idealfall "ständig" umsetzen sollte, um immer wieder Sauerstoff hineinzubringen oder wäre andererseits die ständige Beunruhigung und mechanische Störung schädlich ?
    MfG

  • hps
    23.01.2010 07:11

    Wir haben wir für die nächsten Wochen auch einen Artikel zur Kompostierung geplant, dann werden wir genauer darauf eingehen. Aber Sie haben ganz recht, in der Anfangszeit der Rotte, also in den ersten 2 Wochen, wenn die Temperatur in der Miete am höchsten, sollte der Kompost täglich umgesetzt und befeuchtet werden. Wenn die Temperatur sinkt, können die Zeiträume zwischen dem Umsetzen größer werden. Nach 6 Wochen sollte der Kompost fertig und geruchlos sein.

  • Fritz Weber
    30.05.2010 14:05

    Meine Frage ist, ob bei "verarmenden" Böden die Erträge nur quantitativ zurückgehen oder auch qualitativ. M.a.W.: Enthalten Feldfrüchte (Gemüse, aber auch Obst) von landwirtschaftlichen Flächen, die seit langem "agroindustriell" bewirtschaftet werden, signifikant weniger Nährstoffe (Vitamine, Mineralstoffe, sekundäre Pflanzenstoffe) als solche, die aus nachhaltig bewirtschafteter Landwirtschaft stammen? Ernährungswissenschaftler bezweifeln das.
    Wenn ja, kann dies durch langjährige seriöse Studien untermauert werden? Bitte um entsprechende Angaben und Links!

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