Weizen unter Kirschbäumen - Agroforst in der Schweiz
von Thomas Löliger
Bäume im Ackerland ziehen nicht nur das Auge und Herz an, sondern sind vor allem ein Gebot der wirtschaftlichen und ökologischen Vernunft. Zahlreiche Studien zeigen, was die Vorväter schon immer wussten: Bäume sind die Dirigenten landwirtschaftlicher Ökosysteme. In der Schweiz werden solche Agroforst-Konzepte mittlerweile ernsthaft diskutiert und erste Bauern pflanzen wieder Bäume in ihre Felder.
Edi Hilpert, Bauer in Möhlin/AG, ist einer der wenigen Bauern in der Schweiz, die Obstbäume direkt im Ackerland anpflanzen. In den nächsten beiden Jahren will er weitere 300 Bäume auf seinem 15-Hektar-Betrieb pflanzen. Weichsel-Kirschen, aber auch Zwetschgen-, Birnen- und Hochstammäpfel gehören zu seiner Wahl. Zum Teil sind es schon stattliche Bäume, andere ragen noch kaum über den Wildverbissschutz hinaus. Statt von Agroforstwirtschaft spricht er lieber von einer Obstbaum-Lebensgemeinschaft.
Pioniere wie Edi Hilpert haben sich bei der Pflanzung der Obstbäume vor allem von bäuerlicher Vernunft leiten lassen und nicht erst auf die Auswertung wissenschaftlicher Langzeitstudien gewartet. Inzwischen aber pflichtet auch die Wissenschaft längst den Bauern bei. Im EU-Forschungsprojekt „Silvoarable agroforestry for Europe” (SAFE) wurden von 2001 bis 2005 Interaktionen zwischen Bäumen und Ackerkulturen untersucht. Ein wesentlicher Befund: Durch Bäume im Ackerland kann die Produktivität pro Fläche um bis zu einem Drittel gesteigert werden.
Die Produktionssteigerung steht für Edi Hilpert allerdings gar nicht so sehr im Zentrum. Er versteht sein Engagement vor allem als ein ökologisches. "Bauern muss man immer auch mit dem Herz", findet er. Dazu gehört, dass das eigene Land auch schön aussieht und dass es Lebensraum für möglichst viele Tier- und Pflanzenarten bietet.
Er hat das Glück, dass fast sein gesamtes Land direkt an den Hof anschliesst. Schon früh hat er zwischen den Parzellen Hecken gepflanzt. Vor einigen Jahren entschied er dann, dass eigentlich auch ins Ackerland Bäume gehören. Mittlerweile hat Hilpert sein Land aufgeteilt in diverse, ca. 50 Meter breite Ackerlandstreifen. Dazwischen wächst auf ungefähr sechs Meter Breite jeweils eine Reihe Bäume. Hinzu kommen diverse Hecken, Buntbrachen, Asthaufen und eine Kiesfläche. Zwischen den Bäumen hat Hilpert verschiedene Büsche angepflanzt, zum Beispiel Cornellkirschen oder Sanddorn.
Einiges hat er einfach ausprobiert. Zusätzlich hatte er immer wieder gute Berater an seiner Seite, zum Beispiel von der eidgenössischen Agrarforschungsstelle Agroscope oder von der Agrofutura. Viel praktisches Fachwissen hat er sich so in den letzten Jahren angeeignet. Zum Beispiel würde er heute alle Baumreihen von Osten nach Westen ausrichten. Zum einen wären die Reihen dann hangparallel, womit die Baumreihen noch besser vor Erosion schützen würden und der Wasserhaushalt noch ausgeglichener wäre. Zum anderen wäre es auch für die Biodiversität besser. Diverse Kleinstlebewesen mögen es, wenn sie am Fuße der Bäume den ganzen Tag Sonne haben.
Erziehung mit dem Pflug
Solange die Bäume noch relativ wenig Schatten werfen, ackert er auch in unmittelbarer Nähe der Bäume. Mit einem speziellen Pflug bearbeitet er die obersten 4 bis maximal 10 Zentimeter. Diese schonende Bearbeitung hat mehrere Vorteile. Zum einen hält er so die Mühlmäuse - einer der Hauptfeinde der jungen Obstbäume - im Schach, und zum anderen fördert er ein gutes Bodengefüge. Und ausserdem erzieht er so die Bäume zu tieferer Verwurzelung. Insbesondere Kirschbäume wurzeln sonst relativ oberflächennah. Dank des Pfluges verlegen sie ihre Wurzeln in tiefere Bodenschichten. Das ermöglicht ihm, am Anfang sogar Karotten in Baumnähe anzubauen. Sonst baut er vor allem Nüsslisalat und Zichoriensalat an. Vielerorts wachsen auch Himbeeren. Dank dem leicht sauren Boden gedeihen diese besonders gut.
Wenn man über das Land von Edi Hilpert geht und ihm zuhört, kann man sich durchaus fragen, wieso nicht schon viel mehr Bauern seinem Beispiel folgen. Diese Frage beschäftigt auch das Agroscope Reckenholz-Tänikon ART. Rund 60 Bauern werden zurzeit befragt, ob sie sich vorstellen könnten, Bäume in ihrem Kulturland anzupflanzen. Die Resultate sollten in wenigen Monaten vorliegen. Felix Herzog leitet am Agroscope die Gruppe Agrarlandschaft und Biodiversität. Er hat bereits herausgefunden, dass die Fokussierung auf die Wertholzproduktion, wie es im EU-Projekt SAFE getan wurde, für viele Schweizer Bauern zu einseitig ist. Praktisch alle wollen auch Früchte produzieren, zum Beispiel für Spezialprodukte wie Saft, Konfitüren oder Schnaps.
Lange Durststrecke
Ein grosses Problem bei Agroforst-Systemen ist der lange Zeitraum zwischen Pflanzung und erstem Ertrag. Meist müssen die Landwirte in den ersten 10 Jahren mit einem Verlust rechnen. Bevor die Bäume in die Ertragsphase kommen fallen viele Anschaffungs- und Pflegekosten an. Dieses Problem stellt sich auch für Hilpert. Trotz allen Herzbluts, das er für die Sache einbringt, muss es sich auch für ihn unter dem Strich rentieren. Aus diesem Grund bleibt auf seinem Bauernhof im Moment der Gemüseanbau die Haupteinnahmequelle. Beitragszahlungen für diverse ökologische Ausgleichsflächen sowie der Anbau von Beeren sind weitere Standbeine. Er hofft aber, dass dereinst auch die Früchte der Bäume eine Einnahmequelle sein werden. Den grössten Teil des Obstes hofft er als Saft verwerten zu können. Weitere Spezialprodukte sind ebenfalls denkbar.
Für Felix Herzog von Agroscope ist darum klar: Wenn man Agroforst-Systeme fördern möchte, braucht es eine Anschubfinanzierung zum Beispiel durch Pflanzprämien. Diese kann helfen, die Durststrecke der ersten Jahre zu überbrücken. Im Gegensatz zur EU sind die Rahmenbedingungen in der Schweiz recht gut. Beitragszahlungen für Bäume lassen sich innerhalb der bestehenden Gesetze recht gut aushandeln, ist Herzog überzeugt. Edi Hilpert kann das nur bestätigen. Der örtliche Natur- und Vogelschutzverein sowie das Schweizer Vogelschutz SVS haben sich im letzten Jahr zu 2/3 an den Anschaffungskosten von 40 Bäumen beteiligt. Ausserdem bekommt er 45 Franken pro Baum und Jahr. Im Gegenzug musste er sich verpflichten, für mindestens 18 Jahre auf die beschriebene Art weiter zu wirtschaften. Die Zeit läuft ein Jahr vor seiner Pensionierung aus. Die Nachfolge für seinen Hof ist im Moment noch völlig offen. Dann, wenn die Bäume in vollem Ertrag stehen, muss er eventuell aufhören. Ob ihm das keine Probleme bereite? Nein, meint er. Im Moment stimme es für ihn. Und was dann sein werde, werde man sehen. Als Bauer habe man ja häufig die Möglichkeit, nach der Pensionierung auf dem Hof irgendwie weiterzuarbeiten.
Mischwirtschaft mit vielen Standbeinen
Die lange Durststrecke zu Beginn ist auch für Franco Weibel, Fachgruppenleiter Anbautechnik Pflanzenbau an der Forschungsanstalt für biologischen Landbau FiBL, ein Problem bei agroforstwirtschaftlichen Methoden. Er analysiert gerade zusammen mit einer Diplomandin die Fehler eines gescheiterten Agroforst-Bauernhof in Bayern. Auf 15 Hektar Land wurde hier während gut fünf Jahren agroforstlich produziert. Angebaut wurden Wildkräuter als Unterwuchs, welche jährlich Saatgut zum Verkauf hätten liefern können. Dazu Hagenbutten-Sträucher und Wildapfelbäume, welche nach 5 bis 15 Jahren Erträge geliefert hätten. Im sechsten Jahr wurde dieses Bewirtschaftungssystem aber aufgegeben. Die Untersuchung zeigte, dass auf Grund der fehlenden Erfahrungswerte einige falsche Berechnungen angestellt wurden. Problematisch war auch, dass man zu fest auf den Ertrag aus den Strauchkomponenten setzte, welcher sich als nicht realisierbar herausstellte. Der Unterwuchs hingegen wurde nicht in die Gesamtrechnung aufgenommen. Gerade hier hätte man aber Erfahrungswerte gehabt und die Unterkulturen hätten ein stabiles Grundeinkommen ermöglicht. Darum ist Weibel überzeugt: „Landwirte, welche ihren Betrieb auf Agroforst umstellen wollen, brauchen eine sehr gute Planung, kompetente Beratungs-Ansprechpartner und ein detailliertes pflanzenbauliches sowie betriebswirtschaftliches Konzept. Allein eine Wunschvorstellung genügt nicht.“ Wichtig ist für ihn, dass die Rentabilität auch in der investitions- und arbeitsintensiven Etablierungsphase gesichert ist, sowohl durch die einjährigen Kulturen, als auch durch Nebeneinkünfte wie Direktzahlungen, lokale oder regionale Naturschutzbeiträge, und vor allem auch durch die höhere Anziehungskraft auf die Kunden für den direkten Hofverkauf.
Die Zeit ist reif
Trotz zahlreicher noch offener Fragen sind sowohl Felix Herzog als auch Franco Weibel überzeugt, dass die Zeit für Agroforstwirtschaft reif ist. Beide verfolgen die Entwicklung schon seit Jahren und haben das Gefühl, dass sich langsam etwas bewege. Trotzdem gehen sie davon aus, dass Agroforstwirtschaft in der Schweiz eine Nische bleiben wird. Gerade für innovative Bauern könne sie aber sehr interessant sein. Edi Hilpert ist einer von ihnen. Als er 1982 seinen Betrieb auf Bio-Landbau umstellte, war er einer der ersten, nur ein Jahr nach der Gründung von BioSuisse. Gut möglich, dass er mit seinem heutigen Engagement ein zweites Mal zu den Vorreitern einer großen Bewegung zählen wird.
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