Was macht der Schwefel im Wein?

von Volker Schneider

99,5% aller Winzer behaupten, ohne SO2 ließe sich kein trinkbarer Wein keltern. Aber was machen die berühmt berüchtigten Sulfite tatsächlich im Wein? Kann man wirklich nicht auf sie verzichten? Und wie lassen sich zumindest die Mengen des Schwefels im Wein reduzieren.

Um es vorweg zu sagen: Wein wird nicht mit Schwefel, sondern bestenfalls mit Schwefeldioxid (SO2) behandelt. Beim elementaren Schwefel handelt es sich nämlich um ein gelbes Pulver, dessen Verbrennung erst das in der Weinbereitung eingesetzte Schwefeldioxid ergibt. In der Flüssigkeit reagiert es zum größten Teil zur schwefligen Säure. Diese liegt teilweise gebunden in ihren Salzen vor, die man Sulfite nennt. Die Begriffe Schwefeldioxid, SO2, schweflige Säure und Sulfite sind im Allgemeingebrauch teilweise austauschbar, während die triviale Bezeichnung "Schwefel“ völlig an den realen Gegebenheiten vorbeigeht.

Die konservierende Wirkung der Dämpfe brennenden Schwefels auf den Wein war bereits den Hochkulturen des Altertums bekannt und wurde spätestens seit dem Mittelalter in den mitteleuropäischen  Weinbaugebieten genutzt. Seit dieser Zeit, und insbesondere seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts, unterlag der Einsatz von Schwefeldioxid zunehmenden Beschränkungen, wobei die zulässigen Höchstgehalte schrittweise herabgesetzt wurden. Dies war nur möglich, weil durch eine verbesserte technische Ausstattung der Betriebe und vertiefte önologische Fachkenntnisse das Schwefeldioxid gezielter und sparsamer eingesetzt werden konnte. Die zunehmende Beschränkung der zulässigen Höchstwerte an SO2 erfolgte vor allem aus toxikologischen Erwägungen. Die sachliche Rechtfertigung solcher Überlegungen steht allerdings auf schwachen Beinen, denn ohnehin werden im menschlichen Körper durch den Abbau von Nahrungseiweißen pro Tag ca. 2000 mg SO2 gebildet, die enzymatisch zu Sulfat umgewandelt und als solches mit dem Urin ausgeschieden werden. Der tägliche Konsum einer Flasche Wein mit durchschnittlich 100 mg SO2 erhöht die natürliche Umsetzung von SO2 im Körper um nur 5%, woraus sich kaum toxikologische Probleme ergeben sollten. Mit großer Sicherheit ist dies jedenfalls nicht für ein Unwohlsein am Folgetag verantwortlich.

EU-Deklarationspflicht

Die seit 2005 auch in der EU geltende Deklarationspflicht für Schwefeldioxid auf Weinetiketten richtet sich vor allem an Allergiker. In der Tat reagiert ein geringer Prozentsatz der Bevölkerung, darunter besonders Asthmatiker, empfindlich auf die orale Aufnahme von Schwefeldioxid. Sie müssen auch andere Lebens- und Genussmittel wie Trockenfrüchte, eingelegtes Gemüse oder Kartoffelpulver meiden, welche ebenfalls Schwefeldioxid als Konservierungsstoff enthalten. Wenn Winzer die SO2-Gehalte ihrer Weine so gering wie möglich halten, versuchen sie dies vor allem vor dem Hintergrund, dass sie ihren Wein als ein möglichst naturbelassenes Produkt verstehen. Per Definition wird Wein durch die Vergärung des Saftes frischer Trauben erhalten. Besonders die biologisch oder organisch arbeitenden Winzer orientieren sich stark an dieser ursprünglichen, puristischen Definition von Wein und reduzieren die Anwendung exogener Behandlungs- und Zusatzstoffe auf ein Minimum. In diesem Zusammenhang steht die Anwendung von schwefliger Säure immer wieder auf dem Prüfstand. Die Frage ist, welche Aufgaben sie erfüllen soll, wann und wie viel davon zugesetzt werden muss, wie man die eingesetzten Mengen reduzieren kann und ob Qualitätsweine ohne jeglichen SO2-Zusatz möglich sind.

Bindung von SO2 ist für hohes Gesamt-SO2 verantwortlich

Die schweflige Säure erfüllt drei verschiedene Aufgaben im Wein. Diese umfassen

  1. eine mikrobiologische Stabilisierung
  2. einen Schutz vor Oxidation und
  3. eine Bindung geruchlich aktiver Nebenprodukte der Gärung.

Damit SO2 diese Funktionen im Wein erfüllen kann, muss es in freier Form vorliegen. Dies ist allerdings immer nur teilweise der Fall. Ein variabler und oftmals größerer Anteil ist bereits an Weininhaltsstoffe gebunden. Beide Formen – freies und gebundenes SO2 – ergeben in der Summe das  gesamte SO2. Darauf beziehen sich die gesetzlichen Grenzwerte. Um das Gesamt-SO2 möglichst gering zu halten, besteht ein berechtigtes Interesse, den Anteil des gebundenen SO2 zu minimieren. Es ist weitgehend nutzloser Ballast. Der Weg zu seiner Minderung kann nur darin bestehen, jene Weininhaltsstoffe zu mindern, die für seine Bindung verantwortlich sind. Dazu stehen verschiedene Möglichkeiten, überwiegend kellertechnischer Art, zur Verfügung. Um ihre Wirkung zu verstehen, ist eine nähere Betrachtung der Bindungspartner unabdingbar.

Zeitpunkt der Schwefelung

Wird SO2 bereits vor der Gärung zu Trauben, Maische oder Most gegeben, fasst die Hefe dieses als toxisch auf und versucht, sich ihm zu entledigen. Dazu bildet sie eine entsprechende Menge an Acetaldehyd, um es abzubinden. Das an Acetaldehyd gebundene SO2 ist gegenüber der Hefe wirkungslos. Wenn in einem typischen Fall vor dem Gärstart 50 mg/l SO2 eingesetzt werden, scheiden davon ca. 25 mg/l durch Oxidation zu Sulfat aus dem System aus. Die verbleibenden 25 mg/l werden an Acetaldehyd gebunden und belasten auf jeden Fall die SO2-Bilanz des fertigen Weines. Auch noch nach Abschluss der Gärung kann die Hefe Acetaldehyd bilden, wenn der unfiltrierte Wein Sauerstoff aufnimmt. Verantwortlich dafür ist die enzymatische Oxidation von Ethanol durch das hefebürtige Enzym Aldehyddehydrogenase. Liegt noch genügend suspendierte Hefe im jungen Wein vor, kann sie zutretenden Sauerstoff in ihre Zellen absorbieren und so der Reaktion entziehen. Ist jedoch nach einigen Monaten ihre Fähigkeit zur Sauerstoffzehrung erschöpft, verwendet sie ihn zur Synthese von Acetaldehyd. Sowohl der biochemische Status der Hefe als auch die Menge des aufgenommenen Sauerstoffs nach der Gärung ist von erheblicher Bedeutung für den SO2-Bedarf bei Weißweinen. Im filtrierten Wein ist nach Zutritt von Sauerstoff auch eine rein chemische Oxidation von Ethanol zu Acetaldehyd bekannt. Sie wird durch phenolische Substanzen katalysiert und ist in den phenolarmen Weißweinen nicht relevant, spielt jedoch eine Rolle bei der semi-oxidativen Lagerung und der Mikrooxygenierung von Rotweinen. In tanninreichen Rotweinen wird das so gebildete Acetaldehyd gleichzeitig wieder abgebaut durch Bindung an das Tannin. Auf Grund dieser Reaktion weisen Rotweine tendenziell sogar weniger Acetaldehyd und weniger gebundenes SO2 als Weißweine auf. Insgesamt hat die rein chemische Bildung von Acetaldehyd keine Bedeutung für das Bedürfnis der Weine, SO2 zu binden.

Bindung von SO2 durch andere Gärungsnebenprodukte

Über das Acetaldehyd hinaus sind alle weiteren Carbonylverbindungen in der Lage, SO2 zu binden. Diese Bindungsformen sind jedoch weniger fest und stehen in einem Gleichgewicht mit dem freien SO2. Sie stellen ein Reservoir dar, aus dem ständig freies SO2 nachgeliefert wird, wenn das vorhandene verschwindet, z. B. durch langsame Oxidation während der Lagerung. Insofern sind sie weniger Ballast als das an Acetaldehyd fest gebundene SO2. Zu diesen schwächeren Bindungspartnern des SO2 zählen besonders Pyruvat und Ketoglutarat. Sie sind ebenfalls Nebenprodukte des Gärungsstoffwechsels und können durch einen Zusatz von Thiamin (Vitamin B1) erheblich gemindert werden. Eine Aufstockung des Thiamingehaltes führt stets zu einer Minderung des SO2-Bedarfs und ist fast zwingend in Mosten aus faulem Lesegut, in denen Botrytis den natürlichen Thiamingehalt weitgehend aufgezehrt hat. Sowohl Acetaldehyd als auch Pyruvat und Ketoglutarat werden während eines biologischen Säureabbaus (BSA) weitgehend durch die beteiligten Bakterien abgebaut. Dies ist ein weiterer Grund, warum Rotweine mit ihrem praktisch obligatorischen BSA tendenziell weniger gebundene und damit auch weniger gesamtes SO2 als Weißweine aufweisen. Eine erhöhte SO2-Bindung ist stets in Weinen aus botrytisfaulen Trauben zu verzeichnen. Dabei ist es nicht so sehr der Botrytispilz selbst, der die erhöhte SO2-Bindung verursacht. Auf den befallenen Beeren siedeln Hefen, die den aus dem beschädigten Gewebe austretenden Most zu vergären beginnen  und die bereits genannten SO2-bindenden Gärungsnebenprodukte bilden. Darüber hinaus finden sich Bakterien ein, welche Zucker auf oxidativem Weg abbauen und daraus zahlreiche SO2-bindende Ketoverbindungen herstellen. Nur in sehr süßen Weinen des Typs der Beerenauslese spielt der Zucker (Glucose) eine Rolle als Bindungspartner für die schweflige Säure.

Bindung von SO2 durch Acetaldehyd

Der wichtigste dieser Bindungspartner ist der Acetaldehyd. 1 mg davon bindet 1,45 mg SO2. Erst wenn das Acetaldehyd vollständig an SO2 gebunden ist, kann SO2 in freier Form übrig bleiben. Freies SO2 und freies Acetaldehyd schließen sich somit gegenseitig aus. Das charakeristische Merkmal freien Acetaldehyds ist sein Eigengeruch, der als Luftton umschrieben und in fruchtigen Weinen als fehlerhaft gilt. Acetaldehyd entspringt dem Stoffwechsel der Hefe und ist ein Nebenprodukt der alkoholischen Gärung. Seine Bildung erfolgt in Abhängigkeit von den Gärbedingungen. Je schleppender und repressiver die Gärung verläuft, desto mehr akkumuliert davon im Wein mit der Folge eines entsprechend höheren SO2-Bedarfs zu seiner Absättigung. Unter optimalen Gärbedingungen können Werte von 3 mg/l und weniger erreicht werden. Verläuft die Gärung jedoch schleppend, können vielfach höhere Werte auftreten. Die häufigsten Ursachen schleppender Gärungen sind eine zu niedrige Gärtemperatur, eine zu geringe Nährstoffversorgung der Hefe, eine gärschwache Hefe oder eine sehr hohe Mostgradation. Besonders wenn restsüße, in der Gärung steckengebliebene oder abgestoppte Weine später erneut in eine unterschwellige Nachgärung geraten, entstehen höchste Mengen an Acetaldehyd. Solche Nachgärungen sind für das Phänomen der so genannten "Schwefelfresser“ verantwortlich. Dabei handelt es sich um Weine, die erst dann freies SO2 aufweisen, wenn ihr Gesamt-SO2 jenseits der gesetzlichen Grenzwerte liegt.

Bindung von SO2 durch gärfremde Inhaltsstoffe

Eine der erwähnten Ketoverbindungen ist das Xyloson. Es entsteht aus der von Natur aus im Most enthaltenen oder zugesetzten Ascorbinsäure durch Oxidation zu Dehydroascorbinsäure, die in Gegenwart von SO2 zu Xyloson umgesetzt wird. Xyloson ist die Ursache für den höheren SO2-Bedarf von Weinen, denen vor oder nach der Gärung Ascorbinsäure zugesetzt worden ist. In Rotweinen greifen die Anthocyane in das komplizierte Gleichgewicht zwischen freien und gebundenen SO2 ein. Anthocyane lagern SO2 an und bilden so farblose Addukte, die fast ebenso stabil sind wie die Bindung zwischen Acetaldehyd und SO2. Im Gegensatz zur Acetaldehyd-SO2 werden diese Addukte beim Ansäuern jedoch schnell wieder gespalten, sodass bei der jodometrischen Bestimmung des freien SO2 das an Anthocyane gebundene SO2 als freies SO2 erfasst wird. Auch im Verlaufe der Reifung des Rotweins wird SO2 aus dieser Bindung freigesetzt, wenn der Anthocyangehalt durch Polymerisation mit dem Tannin abnimmt, wobei Pigmente mit geringerer Affinität zu SO2 entstehen.

Wege zur Einsparung von schwefliger Säure

Wie in den vorangegangenen Ausführungen dargelegt, sind erhöhte Gehalte an Gesamt-SO2 in erster Linie auf erhöhte Konzentrationen SO2-bindender Gärungsnebenprodukte zurückzuführen. Erst wenn deren SO2-Bindungsbedürfnis gesättigt ist, bleibt SO2 in der gesuchten freien Form übrig. Nur freies SO2 schützt gegen Oxidation, mikrobiologischen Verderb und vor dem charakteristischen Geruch nach freiem Acetaldehyd. Der erste Schritt zur Einsparung von schwefliger Säure liegt logischerweise in einer Minderung der SO2-bindenden Gärungsnebenprodukte durch Optimierung der Gärbedingungen. Dazu gehören eine adäquate Nährstoffversorgung der Hefe, eine optimale Temperaturführung während der Gärung, die Vermeidung unterschwelliger Nachgärungen in unvollständig vergorenen Weinen, der Verzicht auf Schwefelung vor der Gärung und, in Abhängigkeit vom angestrebten Weintyp, ein anschließender BSA. Auf diesem Weg können im günstigsten Fall Weine erzeugt werden, deren freies SO2 mehr als 50 % des gesamten SO2 beträgt, zum Beispiel 25 mg/l freies bei 40 mg/l gesamten SO2.

Während die Maßnahmen zur Optimierung der Gärkinetik hinreichend bekannt sind, herrscht große Unsicherheit über den Einsatz von SO2 bereits vor der Gärung. Wohlwissend, dass ein solcher Einsatz den Ballast an gebundenem SO2 im fertigen Wein erhöht, wird er in weiten Kreisen propagiert und durchgeführt. Die Rechtfertigung erfolgt mittels zweier Argumente: - Verlust von Aroma durch Oxidation des Mostes bzw. der Maische. Dabei werden die von oxidierten Mosten bekannten sensorischen Erscheinungen fiktiv auf den Wein übertragen. Dieser Trugschluss ist auf eine völlige Unkenntnis der Unterschiede zwischen der Oxidation des Mosts und der des Weins zurückzuführen. Die Oxidation weißer Moste wirkt der Oxidation des Weins sogar entgegen unter Ausfällung oxidierbarer Phenole und Stabilisierung der Aromatik. (siehe auch: Die Kunst gezielter Oxidation) - Bildung von flüchtiger Säure und / oder Ethylacetat durch wilde Hefe oder Bakterien. Die Schwefelung soll eine Unterdrückung schädlicher Mikroorganismen und eine Selektion positiver Hefen herbeiführen. Dies mag bei mikrobiologisch kompliziertem Lesegut oder Spontangärungen gerechtfertigt sein. Übersehen wird dabei, dass die im Most befindlichen, schädlichen Mikroorganismen ausschließlich aerober Natur sind. Ihre Aktivität bedarf der Anwesenheit von gelöstem Sauerstoff. Dieser wird den Mikroorganismen augenblicklich entzogen, sobald der Most in Gärung gerät. Ein rascher Gärstart durch kräftige Beimpfung zur Verkürzung der kritischen Latenzzeit ist der sicherste Weg zur mikrobiologischen Stabilisierung vor der Gärung.

Wie viel freies SO2 benötigt ein Wein?

Ein weiterer Weg zur Einsparung von SO2 besteht in der Lagerung und Abfüllung mit geringeren Gehalten an freiem SO2. Dieses Vorgehen tangiert sowohl die mikrobiologische Stabilität als auch die Widerstandsfähigkeit der Weine gegenüber oxidativer Alterung. Der Teil der freien schwefligen Säure, der als mikrobiologisch aktiv und gleichzeitig geruchlich wirksam vorliegt, ist das tatsächlich als Gas gelöste SO2. Die anderen Zustandsformen der freien schwefligen Säure sind das Sulfit-Ion (SO3- -) und das Bisulfit-Ion (HSO3-). Der als SO2-Gas vorliegende Prozentanteil der freien schwefligen Säure SO2 ist ganz erheblich vom pH-Wert abhängig, wie aus Abbildung 1 hervorgeht. Weine mit niedrigem pH-Wert sind hinsichtlich ihrer mikrobiologischen Stabilität klar bevorteilt, weil der mikrobiologisch aktive Anteil der freien schwefligen Säure mit abnehmendem pH logarithmisch zunimmt. Dieser Zusammenhang ist bei der Lagerung unfiltrierter Weine relevant, verliert jedoch seine Bedeutung bei kalter Lagerung oder nach steriler Abfüllung. grafik1 Schwieriger ist die Frage nach dem Oxidationsschutz zu beantworten. Oxidation setzt die Aufnahme von Sauerstoff voraus, wie sie zum Beispiel durch den Flaschenverschluss stattfindet. Ein Teil des Sauerstoffs reagiert mit der freien schwefligen Säure, die dabei zu Sulfat oxidiert wird und aus der SO2-Bilanz ausscheidet. Ist die freie schweflige Säure schließlich völlig verschwunden, ist der Wein ungeschützt der weiteren Oxidation ausgesetzt, und der typische Geruch nach freiem Acetaldehyd tritt auf. Unter dem Aspekt des Oxidationsschutzes ist es weniger relevant, wie hoch die freie schweflige Säure ist, als wie stabil sie ist. Nach der Abfüllung hängt ihre Stabilität von der Gasdichtigkeit des Flaschenverschlusses ab. Schraubverschlüsse mit Zinnfolie als Einlage schließen annähernd hermetisch gegenüber Luftsauerstoff ab und erlauben die Abfüllung mit geringen Mengen freier SO2. Die meisten synthetischen Stopfen verhalten sich beim gegenwärtigen Stand der Entwicklung entgegengesetzt. Sie erfordern ein höheres Niveau an freier SO2 beim Abfüllen. Naturkorken sind hinsichtlich ihrer Durchlässigkeit stark unterschiedlich und liegen zwischen beiden Extremen. Auf jeden Fall müssen freies SO2, Flaschenverschlüsse und Lagerbedingungen aufeinander abgestimmt sein.

Besonderheiten der Herstellung SO2-freier Weine

Punktuell kommt es in der Weinbranche zu Bestrebungen, Weine ohne zugesetztes SO2 herzustellen. Unter Einhaltung gewisser Vorsichtsmaßnahmen und Einsatz entsprechender Techniken kann dieses Vorgehen funktionieren, ohne dass derart hergestellte Weine wesentlich vom gewohnten Geschmacksbild abweichen. Dabei ist zunächst zu beachten, dass alle Hefen gewisse Mengen an SO2 bilden. Vorläuferstufe ist das in allen Traubensäften natürlicherweise anzutreffende Sulfat, welches in ziemlich gleichmäßiger Konzentration um 200 mg/l vorliegt. Die SO2-Bildung ist in erster Linie von dem zur Gärung kommenden Hefestamm abhängig, aber auch die Mostzusammensetzung hat einen gewissen Einfluss. Abbildung 2 zeigt die Unterschiede zwischen 18 verschiedenen Reinzuchthefen in vier Mosten.  grafik2 Die Herstellung so genannter "schwefelfreier“ Weine, welche nicht der Deklarationspflicht unterliegen, erfordert den Einsatz einer Hefe, welche weniger als 10 mg/l SO2 bildet. Von den kommerziellen Reinzuchthefen sind dazu nur wenige Stämme in der Lage. Das Verhalten von Spontangärungen ist nicht bekannt und wenig kalkulierbar, weil der zur Dominanz kommende Hefestamm in der Praxis unbekannt ist. Darüber hinaus müssen die Gärbedingungen so gestaltet werden, dass praktisch kein Acetaldehyd gebildet wird. In freier, nicht an SO2 gebundener Form würde er den bereits erwähnten Luftton hervorrufen. Bis zu 3 mg/l Acetaldehyd sind akzeptabel, weil sie durch gleichzeitig gebildetes SO2 abgebunden werden. Ein BSA kann zur Minderung von Acetaldehyd sinnvoll sein, ist aber nicht zwingend. Zur Vermeidung von Oxidationsschäden ist nach der Gärung, und insbesondere nach der Filtration, die weitere Verarbeitung unter absolut inerten Bedingungen erforderlich. Dazu stehen die aus dem Brauwesen bekannten, aber für den Winzerbetrieb aufwendigen Techniken des absoluten Luftabschlusses zur Verfügung. Sie umfassen eine Evakuierung aller Behälter, Leitungen und Maschinen mit Stickstoff. Auch störend hohe Kohlensäuregehalte können mittels Stickstoff ausgetrieben werden. Zur Endfiltration empfehlen sich Membranen von 0,2 µ, weil jeglicher Keimschutz durch SO2 entfällt. Gasdichte Schraubverschlüsse fügen sich in das Konzept der inerten Weinbehandlung ein. Zusätzlich hat sich bei Weißweinen eine deutlich oxidative Mostverarbeitung bewährt, weil sie einen zusätzlichen Beitrag zum Schutz des späteren Weins vor Oxidation leistet. Eine wesentliche Abweichung von diesen Vorgaben führt zu signifikanten Abweichungen vom gewohnten Geschmacksbild frisch-fruchtiger Weißweine und stellt ihre Haltbarkeit in Frage. Rotweine erfahren unter den beschriebenen, inerten Bedingungen fast keine Reifung, wie sie für diese Weinart erwartet wird. Ihr Tannin vermag jedoch relativ große Mengen von Sauerstoff und Acetaldehyd schadlos zu binden. Insofern ist eine tendenziell oxidativere Verarbeitung ungeschwefelter Rotweine möglich. Wie weit diese getrieben werden kann, ohne dass ein Luftton oder Braunstich auftritt, ist von ihrem Gehalt an traubenbürtigen Tanninen, Anthocyanen sowie von holzbürtigen Ellagtanninen abhängig. Zusätzliche Grundlagenforschung ist auf diesem Gebiet mehr als sinnvoll.

Zusammenfassung

Eine Reduzierung des Einsatzes von SO2 erfordert zunächst eine Optimierung der Gärbedingungen, um die Synthese SO2-bindender Gärungsnebenprodukte zu mindern. Dazu zählt insbesondere Acetaldehyd, das in seiner freien, nicht an SO2 gebundenen Form, einen charakteristischen Eigengeruch aufweist, welcher in Weinen der fruchtigen Art als fehlerhaft beschrieben wird. Verzicht auf Schwefelung vor der Gärung ist ein zweiter Schritt. Die Abfüllung mit geringeren Gehalten an freiem SO2 ist nur möglich, wenn die Sauerstoffaufnahme durch den Flaschenverschluss berücksichtigt wird. Die Herstellung ungeschwefelter Weine erfordert besonders im Weißweinbereich absoluten Sauerstoffabschluss nach der Gärung, analog dem inerten Vorgehen im Brauereigewerbe, um Sortentypizität und Haltbarkeit nicht zu gefährden. Ungeschwefelte Rotweine sind durch ihren höheren Tanningehalt weniger empfindlich gegenüber Sauerstoff.

  • Ulrike Schentzinger
    16.05.2010 14:59

    Nicht ganz einfach zu lesen, da es sich um sehr viele chemische Abläufe handelt. Aber für mich äußerst informativ. Es hat mein Verständnis, was hier bei den Gärprozessen entscheidend ist, verbessert. Danke.

  • Greimel Martin
    17.05.2010 06:01

    Mich hätten noch die gesundheitlichen Aspekte von Schwefel (SO2) bzw. jenen Stoffen die er bindet (bzw. bei Nichtschwefelung nicht bindet) interessiert.

  • Gregor Gwerder
    19.05.2010 13:27

    Darum fände ich es nach wie vor informativ, wenn nicht gar vielsagend, wenn in der Kellerkarte der Delinat-Weine neben dem freien SO2-Gehalt auch der Gesamtgehalt an Schwefeldioxid (freie und gebundene SO2) deklariert würde. Das liesse doch einige Rückschlüsse zu ...
    Gerne hätte ich noch etwas mehr über die möglichen gesundheitlichen Auswirkungen des SO2 gelesen (doch das war ja nicht Titelthema). Den gegensätzlichen Beteuerungen zum Trotz glaube ich dennoch, dass ich einen stark geschwefelten Wein nach zwei Gläsern (sofort) "im Kopf" spüre, und zwar wirklich wegen des SO2-Gehalts und nicht etwa wegen eines Zuviel an Histaminen oder Fuselölen. Bei anderen geschwefelten, sorry ich meine natürlich "geschwefeldioxideten" Genussmitteln passiert mir das nie.

    Die Beiträge von Volker Schneider unter "Das Neueste von Ithaka" laufen für mich unter "Das Beste von Ithaka", obgleich mir einige Erklärung zu "hoch" sind. Nach dem Lesen des Beitrags "Die Kunst gezielter Oxydation" ist für mich Hobbywinzer klar, dass ich nach der nächsten Lese den (gesunden) Most (3/4 Johanniter, 1/4 Solaris) nicht mehr einbrennen werde. Denn in der Tat machte sich bisher in meinen Weissweinen nach drei, spätestens vier Jahren ein gehöriger Alterston bemerkbar. Ich bin schon jetzt gespannt ...
    Beste Grüsse und herzlichen Dank an Volker Schneider.

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