Wie Pestizide und Dünger das biologische Gleichgewicht stören
von Claudio Niggli und Samuel Kipfer
Landwirtschaftlich genutzte Flächen, auf denen die gleiche Pflanzenart flächendeckend angebaut wird, bieten paradiesische Voraussetzungen für Schädlinge. Um dies zu verhindern, werden immer mehr synthetische Pflanzenschutzmittel entwickelt und eingesetzt. Mögliche Nebenwirkungen werden dabei meist unterschätzt, da die Nutzpflanzen getrennt von ihrer Umwelt und nicht als Teil eines vielfältig vernetzten Ökosystems betrachtet werden.
Schädlinge sind Nützlinge, die sich zu stark vermehrt haben
Um das Wachstum von Pflanzen überhaupt zu ermöglichen, braucht es die Hilfe von über tausend verschiedene Arten von Bodenorganismen, die mit bloßem Auge meist nicht sichtbar sind. Indem sich jene Bakterien, Pilze, Würmer, Milben, Asseln und viele andere mehr von totem organischem Material ernähren, bewirken sie einen Abbau von komplexen Verbindungen in ihre organischen und anorganischen Bausteine, die so dem Ökosystem Schritt für Schritt wieder verfügbar gemacht werden (siehe: Biodiversitat als landwirtschaftliche Methode Teil 3). Die Pflanze benötigt die einzelnen Nährstoffe, um Zellkomponenten aufzubauen oder Stoffwechselvorgänge zu katalysieren. Einige dieser Organismen leben in enger Symbiose mit der Pflanze und stehen in unmittelbarem Stoff- und Informationsaustausch. Wichtige Beispiele sind die stickstofffixierenden Rhizobien bei Leguminosen, andere Rhizobakterien oder die Mykorrhiza-Pilze. Diese Organismen können das Pflanzenwachstum fördern und auch Wechselbeziehungen untereinander aufbauen [Arturson et al. 2006, Toljander et al. 2006).
Im Erdreich tummeln sich aber nicht nur nützliche Lebewesen. Parasiten, die sich ohne Gegenleistung von der Pflanze bereichern, sind ebenfalls zahlreich. Bei der Weinrebe sind einige Krankheitserreger bekannt, deren Vorkommen nicht selten zu massiven Ernteausfällen führen. Der Pilz Plasmopara viticola, auch berühmt unter dem Namen Falscher Mehltau, gehört zu den am meisten gefürchteten Krankheitserregern im Weinbau. Er überwintert in Form von Sporen auf dem Boden, dringt dann über Blattöffnungen, den Stomata, in pflanzliches Gewebe ein, und führt schließlich zur Zerstörung von Frucht, Trieben und Blattgewebe [Rumbou & Gobbin 2005]. Die Grauschimmelfäule, verursacht durch den Pilz Botrytis cinerea, perforiert die Trauben und erhöht damit die Wasserdurchlässigkeit. Dies führt zu einer Aufkonzentrierung von Zucker, was zwar sich bei der Herstellung von Süßweinen nutzen lässt, doch wenn der Pilz die Trauben zu früh befällt, werden diese nicht mehr reif [Staats et al. 2005].
Schädlinge finden nicht nur über die Blätter, sondern auch an den Wurzeln Eingangspforten, um die Pflanzen zu befallen. So ist für Wurzelfäule zum Beispiel ein Pilz namens Cylindrocarpon destructans verantwortlich. Der Pilz dringt durch die Wurzeln ein und wandert schnell bis in den Pflanzenstock. Vor allem für Jungreben ist er eine ernst zu nehmende Gefahr. Die Reisigkrankheit wiederum wird durch Viren verursacht, die von wandernden Wurzelnematoden übertragen werden. Diese winzigen Würmer stechen mit Hilfe eines Mundstachels die Rebwurzeln an und können durch Saugen an viruskranken Reben Viruspartikel aufnehmen. Beim nachfolgenden Anstich einer gesunden Rebe werden die Viren dann auf deren Wurzeln übertragen. Von den Wurzeln aus verbreiten sich die Viren in der ganzen Pflanze [Freiburg1992]. Fehlen die natürlichen Feinde jener Nematoden, kann sich eine Viruskrankheit, ausgehend von einigen kranken Stöcken, im ganzen Rebbestand ausbreiten.
In einem gesunden Ökosystem haben viele dieser Krankheitserreger ihre Gegenspieler. Sie bekämpfen sich gegenseitig mit unterschiedlichen Mitteln und Mechanismen:
- - Wettbewerb um Nährstoffe
- - Abtötung und Fraß durch höhere Organismen
- - Zellwandabbau beim Kontrahenten zur eigenen Ernährung
- - Störung des Krankheitserregers beim Eindringen in die Nutzpflanze
- - Unterstützung der Pflanze bei der Bildung ihrer eigenen Abwehrstoffe
Immer mehr Studien zeigen, wie Pflanzenkrankheiten durch natürlich vorhandene Organismen, wie z. B. Bakterien und auch Insekten, bekämpft werden können. Diese Art von Pflanzenschutz wird allgemein als Biokontrolle bezeichnet. Auch im Weinbau werden solche Strategien z.B. im Kampf gegen die Graufäule [Elad 1996] oder gegen Wurzelkrankheiten [Gubler et al. 2004] immer bedeutsamer.
Der Einfluss von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln auf das Wechselspiel der Bodenorganismen
In landwirtschaftlichen Monokulturen, in denen das Ökosystem durch mangelnde Biodiversität gestört ist, ist der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln unabdingbar. Da zudem die Nährstoffkreisläufe gestört sind und dem Boden mehr Nährstoffe entzogen, als ihm organisch (z.B. durch Gründüngung oder Kompost) wieder zurückgeführt werden, kommen erhebliche Mengen von mineralischen und synthetischen Düngemitteln zum Einsatz. Dabei ist es häufig bequemer, vorgefertigte, industriell hergestellte Wirkstoff-Präparate anzuwenden, als sich die Erkenntnisse über die komplexen Zusammenhänge von Ökosystemen anzueignen.
Durch Optimierung der eingesetzten Pflanzenschutzmittel und Dünger wird zwar versucht, Nebenwirkungen zu minimieren [Levitan 1997], ihr direkter und indirekter Einfluss auf das landwirtschaftliche Ökosystem wird jedoch nur unzureichend untersucht. Oft fehlen standardisierte Vorgehensweisen. Negative Auswirkungen sind oft erst Jahre später und teilweise auch ausserhalb des Einsatzgebietes zu erkennen. Werden Bodenproben direkt mit bestimmten Konzentrationen verschiedener Pestiziden behandelt, kann der Effekt spezifischer betrachtet werden. Es zeigt sich, dass Mikroorganismen unterschiedlich stark auf die zugesetzten chemischen Verbindungen reagieren. Eine Reduktion der Artenvielfalt und die Veränderung ihrer funktionalen Zusammensetzung sind vielfach die Konsequenz [Engelen et al. 1998]. Während einige Arten keine Überlebenschance haben, entwickeln andere Anpassungsmechanismen und geben dank der erhöhten Überlebenschancen diese Eigenschaften an Nachkommen weiter ("Auslese der Stärksten"). Diese Resistenzbildung ist vor allem dann ein Problem, wenn sich die eigentlich bekämpften Krankheitserreger auf die stetige Gefahr bestimmter Pestizide einstellen und so nicht mehr wirksam bekämpft werden können. Durch die fehlende Konkurrenz und schnellen Vermehrungsraten kann sich solch ein Parasit schnell ausbreiten und zu einer kaum noch zu bekämpfenden Epidemie ausweiten [Lopresti 2004].
Auch die wechselseitigen Beziehungen zwischen Bakterien, Pilzen und Pflanzen werden durch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln gefährdet. Durch Düngung werden die Pflanzen jederzeit ausreichend mit Nährstoffe versorgt. Das führt dazu, dass die Pflanzen nicht mehr in symbiotische Partnerschaften investieren. Spezialisierte Symbionten wie Mykorrhiza-Pilze oder Rhizobien werden sich unter solchen Bedingungen von der Pflanze abkoppeln oder gänzlich verschwinden. Dies verstärkt nicht nur die Notwendigkeit von weiteren Düngegaben, sondern macht die Wurzeln auch anfälliger gegen Parasiten, da Rhizobakterien und Mykorrhizen ihre Wirtspflanze nicht länger verteidigen.
Die Abhängigkeit von Düngemitteln wird weiter verschärft, wenn die Umwandlung von totem organischem Material in pflanzenverfügbare Nährstoffe durch die Schädigung der zersetzenden Pilzen, Bakterien und Würmer gestört wird. Rhizobien, also jene Bakterien, welche Stickstoff aus der Luft fixieren und an die Pflanzen liefern, können nicht nur durch Dünger, sondern auch durch Pestizide in ihrer Leistungsfähigkeit beeinträchtigt werden [Fox et al. 2007]. Der regelmäßige Einsatz von Herbiziden, wie er im Weinbau verbreitet ist, beeinflusst die Bodenmikroorganismen nicht nur direkt durch die Schadstoffe, sondern auch dadurch, dass den Bodenorganismen durch den fehlenden Bewuchs die Nahrungsgrundlage entzogen wird und bestimmte Pflanzen als symbiotische Partner ausfallen [Whitelawe-Weckert et al. 2004].
Die wasseranziehenden Eigenschaften der Mineraldünger gefährden insbesondere die einzelligen Bodenlebewesen oft erheblich. Zumindest in der Streuschicht und im obersten Bodenhorizont werden Bakterien und Pilzfäden durch Düngesalze, wie Ammoniumnitrat oder Kaliumphosphate, in unmittelbarer Umgebung der Düngerpartikel "verbrannt" resp. ausgetrocknet. Ein salziges Umfeld entzieht den Zellen Wasser, was je nach Konzentration zum Tod der Mikroorganismen führt. Dies ist übrigens der gleiche Effekt, den man sich beim Einpökeln von Fisch und Fleisch zu Nutze macht. Während totes, nicht in Salz eingelegtes Muskelgewebe bei Raumtemperatur sehr rasch zersetzt wird, bleibt „gedüngtes“ Fleisch, auch ungekühlt, lange genießbar.
Es ist des Weiteren anzunehmen, dass die Zersetzung von Reblaub und -holz durch den Einsatz von Fungiziden gestört wird, weil Rückstände oder auch Stoffwechselprodukte der Fungiziden die mikrobielle Aktivität hemmen [Wainwright 1977]. Nach unseren Beobachtungen verbleiben Rebblätter, welche mit synthetischen Fungiziden behandelt wurden, nach dem Laubfall bedeutend länger unzersetzt auf der Erdoberfläche liegen, als es in ökologisch bewirtschafteten Parzellen der Fall ist. Teilweise lassen sich die Rebblätter sogar noch im Frühjahr auf den kahlen Rebbergböden finden. Grund für die langsamere Zersetzung sind allerdings nicht nur die Fungizide auf den Blättern, sondern auch die unterschiedliche Bodenpflege. So führt eine artenvielfältige Begrünung des Rebbodens zu einer erhöhten biologischen Aktivität in der Streuschicht, was den Abbau der Blätter beschleunigt.
Der zweite Teil des vorliegenden Artikels beschäftigt sich mit dem Einfluss von Pflanzenschutzmitteln auf die mikrobielle Artenvielfalt auf den Blättern und Früchten. Biodiversität in und auf den Blättern der Rebe
F. Peter
23.01.2011 11:24
Guten Tag,
in dem Bericht heist es, daß durch die gestörten Nährstoffkreisläufe in Monokulturen der Einsatz von mineralischen oder synthetischen Dünger notwendig ist.
Der Ausgleich durch organische Dünger sei bei Monokulturen nicht möglich. Es gibt viele Beweise, daß es möglich ist, mit organischen Düngern auszugleichen.
Mit organisch-Eiweiß-gebundenen Nährstoffen wird nichts
im Boden getötet. Synthetische/künstlich hergestellte Düngern sind tote Stoffe. Mit toten Stoffen ist es nicht möglich lebende Pflanzen und lebenden Boden optimal und
Gesund zu ernähren. Das ergibt sich ja auch aus dem Bericht.
Bei der Anwendung von synthetischen Spritzmitteln werden selten die Auswirkungen für den Mensch bedacht. Beim Ausbringen werden eventuell die Sicherheitsvorschriften beachtet, oder der Hubschrauber hat die Arbeit verrichten. Bei der Laubarbeit wird dann nicht mehr an den Kontakt mit den Wirkstoffen gedacht. Für die menschliche Gesundheit bestimmt nicht förderlich.
Die bessere Möglichkeit ist der Einsatz von z.B.
Algenprodukten auf Boden und Blatt. Stärken und Stabilisieren, Gleichglang der Nährstoffelemente zu fördern ist wesentlich besser.
Gruß
F. Peter
hps
23.01.2011 12:32
Sehr geehrter Herr Peter,
ich gebe zu, dass die erwähnte Stelle etwas mißverständlich formuliert war: Da [...] dem Boden mehr Nährstoffe entzogen, als ihm organisch wieder zurückgeführt werden, kommen erhebliche Mengen von mineralischen und synthetischen Düngemitteln zum Einsatz. Wir sind natürlich ganz und gar Ihrer Meinungen, dass dem Boden mit Komposten und anderen organischen Düngern hinreichend Nährstoffe zurückgeführt werden können, und haben dies schon in vielen Ithaka-Artikeln näher beschrieben. Wir haben den erwähnten Satz nun etwas umformuliert, um die Aussage deutlicher zu fassen. Vielen Dank für den Hinweis, hp schmidt
XAR61
24.02.2011 17:51
Ganz neu ist das mit den Pestiziden nicht, es ist aber schön und lobenswert, dass dieses leidliche Thema wieder ausgegraben wurde. Es sollte eigendlich jedem einleuchten, dass man, wenn man Unkrautex oder andere Gifte nutzt, eben alles plattmacht und uns zu guter letzt auch noch das Steak vom Teller unserer Nahrungskette klaut. Da ich nicht vom Fach bin, könnte ich mir vorstellen, das die Natur eine ähnliche Lösung zur Renaturierung wie einst beim "Magdeburger Modell (Teichentgiftung oder ähnlich) auch für den Boden parat hält. Es ist selbstverständlich auch falsch, wenn man mit dem Finger auf den anderen zeigt, nur weil der den Fehler des anderen auch gemacht hat, wir sollten lernen das Gute dem anderen zu gönnen, anstelle uns über dessen Leid zu freuen.