Winterbegrünung im Weinbau
von Claudio Niggli
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Das Klima in vielen Weinbauregionen ist durch Sommertrockenheit und Niederschlagsmaxima in den Wintermonaten charakterisiert. Die Hauptwachstumsphase der Reben fällt in die regenarmen und heißen Monate zwischen Frühjahr und Herbst. Ein übermäßiger Bewuchs unter und neben den Reben kann in dieser Zeitspanne zu untragbaren Ernteeinbußen führen, weil die Begrünung dem Boden zusätzlich Wasser und Nährstoffe entzieht und so in Konkurrenz mit der Rebe steht. Da aber Begrünungspflanzen für die Artenvielfalt im Ökosystem Weinberg und die Bodengesundheit unentbehrlich sind, muss für solche Klimazonen eine geeignete Strategie der Konkurrenzvermeidung entwickelt werden. Die Verlagerung des Begrünungswachstums in die Wintermonate ist der Schlüssel hierzu.
Pflanzliches Leben benötigt Wasser, Licht und Wärme. Im europäischen Winter sind zumindest die Sonnenscheindauer und/oder die Temperatur limitierende Faktoren, weshalb viele Pflanzen in einen Ruhezustand übergehen. Einige spezialisierte, wintergrüne Arten können aber selbst bei Temperaturen um den Gefrierpunkt noch Energie durch Photosynthese gewinnen, auch wenn in stark vermindertem Ausmaß. In milden Winterphasen ist es diesen Pflanzen sogar möglich, beachtliche Mengen an Biomasse zu produzieren. Im Weinbau kann man sich diese Fähigkeiten durch gezielte Einsaat von Winterbegrünungsmischungen zu Nutze machen. Rebberge liegen meist an sonnen- und wärmebegünstigten Lagen, was auch einer effizienten Winterbegrünung zu Gute kommt. Die auf diese Art begrünten Rebflächen erscheinen im Kontrast zur sonst kargen Winterlandschaft dann als saftige Oasen.
Im Gegenzyklus der Rebkultur
Die Aussaat einer Winterbegrünung erfolgt früh im Herbst, kurz vor oder gleich nach der Ernte. Da die Rebe zu diesem Zeitpunkt ihren Wachstumszyklus bereits beendet hat, ist der Entzug von Wasser und Nährstoffen durch die langsam heranwachsenden Begrünungspflanzen im Spätherbst und Winter unproblematisch. Im Frühjahr wächst die Begrünung dank des Entwicklungsvorsprungs sehr rasch heran und produziert in kurzer Zeit viel organische Masse.
Während des Austriebes der Rebe sollen die in der Begrünung gespeicherten Nährstoffe dem Boden wieder zugeführt werden, indem sie gewalzt, gemäht oder umgebrochen wird. Im folgenden Zeitraum nimmt nun der Nährstoffbedarf der Rebe kontinuierlich zu, er wird durch den biologischen Abbau der Begrünungsrückstände gedeckt. Damit die Begrünung in der heißen Jahreszeit nicht weiterwächst, müssen einjährige Pflanzen für die Aussaat gewählt werden, welche ihren Lebenszyklus nach einer Herbstsaat im darauffolgenden Sommer beenden.
Verbesserte Wasser- und Nährstoffeffizienz
Die größten Weinbaugebiete Europas liegen in der mediterranen Klimazone. Die Winter sind hier verhältnismäßig mild, die minimalen Tagestemperaturen liegen meist über dem Gefrierpunkt. Die Böden gefrieren höchstens oberflächlich, so dass das Wasser aus Niederschlägen für Pflanzen gut verfügbar ist. Die winterlichen Niederschläge fallen in Südeuropa im Allgemeinen sehr ergiebig aus, wodurch die mittleren Jahresgesamtniederschläge oft erstaunlich hoch sind und sogar höher als in einigen mitteleuropäischen Lagen. Mit den üblichen Jahresgesamtniederschlägen wäre also selbst in den sommertrockenen Gebieten des Mittelmeeres die Wasserversorgung der Reben mit weitflächiger Begrünung mehr als ausreichend. Die Problematik liegt einzig in der Verteilung des Regens übers Jahr.
In manchen Gebieten regnet es im Winter so stark, dass nicht alles Wasser im Boden zurückgehalten werden kann. Überzählige Niederschläge fließen ins Grundwasser oder direkt ins Tal ab. Somit geht ein beachtlicher Teil des Jahresniederschlages verloren und ist im Sommer dann für die Pflanzen nicht mehr verfügbar. Mit einer Winterbegrünung kann die Wassernutzungseffizienz deutlich erhöht werden, denn sie nutzt das Wasser in der Zeit, in der es verfügbar ist. Dank der kräftigen Bodendurchwurzelung kann das Regenwasser besser in den Boden eindringen, sich verteilen und über längere Zeit gespeichert werden.
Die Winterbegrünung verhindert, dass Bodennährstoffe durch starke Niederschläge ausgewaschen werden. Die Winterbegrünung fungiert also als wertvoller Puffer und Speicher für saisonale Überschüsse von Wasser und Mineralien, was zu einer Harmonisierung der gesamten Dynamik von Stoffflüssen führt. Zudem hilft der Bewuchs indirekt, die Stoffkreisläufe zu schliessen, weil das Falllaub der Rebe auf bewachsenen Böden weniger verweht wird als auf nackten Flächen. Die Begrünung bricht den Wind nahe der Erdoberfläche und bildet strukturelle Barrieren, in denen das Laub sich verfängt. So kann es durch zersetzende Bodenorganismen in den Nährstoffkreislauf zurückgeführt werden.
Kombination von Winter- und Dauerbegrünung
Winterbegrünungssysteme empfehlen sich insbesondere für extrem sommertrockene Standorte. Je mehr Niederschläge auch in den Sommermonaten zu erwarten sind (Tessin, Burgund, Bordeaux, Baden usw.), desto größer sollte der Flächenanteil sein, auf der Dauerbegrünungen wachsen. Dauerbegrünungen stabilisieren den Boden und die Nährstoffkreisläufe ganzjährig, sie besitzen eine höhere Artenvielfalt und haben einen größeren Einfluss auf die Biodiversität des Ökosystems im gesamten Weinberg. Zudem sind Dauerbegrünungen deutlich billiger, da sie nur aller 5 – 10 Jahre erneuert werden, wohingegen Winterbegrünungen jedes Jahr neu ausgesät werden müssen.
Das Verhältnis von Winter- und Dauerbegrünungssystemen wird in Abhängigkeit von der jährlichen Niederschlagsverteilung eingestellt. Während in extrem sommertrockenen Lagen nur jede 7te Zeile dauerbegrünt und alle anderen Zeilen winterbegrünt werden, können in mitteleuropäischen Lagen jede zweite oder sogar jede Zeile dauerbegrünt werden. Da durch die Winterbegrünung der Humusgehalt der Böden und damit das Wasserrückhaltevermögen der Böden stetig erhöht wird, kann der Anteil der Dauerbegrünung nach und nach erhöht werden. Zur Anlage von Dauerbegrünungssystemen siehe [Niggli 2011].
Die Winterbegrünung als Nährstoffspeicher
Die insgesamt gebildete Biomasse von Zwischenfrüchten beträgt 18.5 - 48 t/ha [Boguslawski 1953, Ehrenpfordt 1962, Kahnt 1986, Klimanek 1987, König 1996]. Ein Gemenge aus Wintererbsen, Winterwicken, Roggen und Raps, wie wir sie in der Delinat-Wintersaat verwenden, sollte in mitteleuropäischen Breiten in normalen Jahren bis Mitte April mindestens 14-16 Tonnen Gesamtbiomasse (Frischmasse) pro Hektar aufbauen können. In wintermildem, mediterranem Klima können bis zu 40 t/ha gebildet werden [Klimanek 1991]. Die Schätzung bezieht sich auf eine Deckung der Weinbergsfläche von 80 %, also jeweils mit Saatabständen zu den Rebzeilen von einem Fünftel des Zeilenabstandes. Die Hochrechnung ist konservativ, denn im Gemenge wird meist eine höhere Biomasse erreicht, als der Durchschnitt der Partner in Reinkultur ergibt.
Die Begrünungspflanzen speichern beachtliche Mengen an wichtigen Nährelementen in ihren oberirdischen und unterirdischen Organen (Abb.1). Legt man den Wert von 14 Tonnen Frischmasse pro Hektar in Mitteleuropa zugrunde, können mindestens 53 kg Stickstoff, 22 kg P2O5 und 76 kg K2O durch die Begrünungsmasse aufgenommen werden [1 und 2]. Dies entspricht ungefähr der Nährstoffmenge, welche die Rebkultur dem Boden entzieht und festlegt [Löhnertz 1988]. Im wintermilden Südeuropa übersteigt die begrünungsgebundene Nährstoffmenge die Gesamtaufnahme durch die Rebkultur. Insgesamt werden durch die Begrünung sogar noch deutlich mehr Nährstoffe mobilisiert. Mit Wurzelexudaten versorgt die Winterbegrünung symbiontische Mikroorganismen, was weitere 30% der Nährstoffe bindet. Durch die Winterbegrünung wird das Auswaschen von Nährstoffen aus dem Boden verhindert und zudem werden Nährstoffe aus dem Regenwasser genutzt. Und schließlich werden auch die während der Saison absterbenden Pflanzenteile wieder als Nährstoffe in den Kreislauf zurückgeführt.
Die Menge der Hauptnährstoffe, die durch die Begrünung in der Biomasse fixiert werden, entsprechen nach der vorliegenden Modellrechnung dem Gesamtbedarf der Rebe. Das heißt, dass im Winterhalbjahr genügend Nährstoffe mobilisiert werden können, um den Bedarf der Rebe in ihrer Wachstumsphase zu decken (Abb.2). Bei günstigem Winterklima kann die N-Festlegung der Reben durch symbiontisch fixierten Stickstoff abgedeckt werden, wenn man davon ausgeht, dass mindestens 50% des in der Biomasse gespeicherten Stickstoffs wieder pflanzenverfügbar wird [Haas 2003]. Ob schließlich eine Autonomisierung der Nährstoffkreisläufe und eine ausreichende Versorgung der Reben mit allen Nährelementen gelingt, hängt zu einem guten Teil davon ab, wie weit die Begrünungspflanzen auch auf mäßig bis schlecht mobilisierbare Nährstoffreserven im Boden zugreifen können.
Wird die Winterbegrünung im Frühjahr gemulcht oder gewalzt, werden die aufgenommenen Nährstoffe für den Mineralisierungskreislauf frei und in den darauffolgenden Wochen der Rebe zur Verfügung gestellt. Auch nach Abzug von Verlusten durch Auswaschung und Ausgasung (Stickstoff) sollten zumindest in wintermilden Klimata durch die Winterbegrünung genügend Nährstoffe mobilisiert werden können, um den Bedarf der Rebkultur zu decken. Voraussetzung ist eine ausreichende Bodenfeuchtigkeit, welche die Mineralisierung und Aufnahme der Nährstoffe ermöglicht.
Nährstofffreisetzung: Walzen, Mulchen oder Umbrechen?
Wenn die Rebe aus ihrem Winterschlaf erwacht und die Knospen aufbrechen, muss das Wachstum der Winterbegrünung gedrosselt werden, um die gebundenen Nährstoffe zurückzuführen. Da aus der "Zwischenfrucht" keine Ernte entnommen wird, kann die gesamte Biomasse dem System zurückgeführt werden. Die Wahl des Verfahrens hat hierbei einen starken Einfluss auf die Geschwindigkeit der Remineralisation der Biomasse, auf das Bodenleben, auf die Nährstoffverluste und auf die oberirdische Biodiversität. Eine sehr gut geeignete Technik ist der Einsatz einer Lamellenwalze (Rolojack), eines Rolofacas oder von analogen "Knickwalzen". Die Triebe und Halme der Begrünung werden dauerhaft geknickt und der Saftfluss gehemmt oder unterbrochen. Gleichzeitig entsteht eine Mulchschicht, welche den Boden vor Austrocknung schützt. Kleintiere werden grösstenteils verschont, da die Walze viele Zwischenräume hat und das Grüngut nicht zerkleinert wird. Sollte die Begrünung später teilweise noch einmal austreiben, ist ein zweites Walzen im Frühsommer angezeigt. Mulchen oder Mähen der Begrünung führt ebenfalls zu einer schützenden Mulchschicht, die aber tendenziell schneller mineralisiert wird und zu größeren Nährstoffverlusten führt. Wird die Begrünung mit einem Grubber oder einer Fräse umgebrochen, ist eine schnelle Mineralisation der Nährstoffe möglich, zugleich wird aber das Bodenleben gestört, und in den kommenden Monaten wird deutlich mehr Wasser aus dem Boden verdunsten.
Winterbegrünung als Kohlenstoffsenke und Humusquelle
Durch den Biomasseaufbau in Form von oberirdischen Pflanzenorganen und Wurzeln wird der Atmosphäre via Photosynthese CO2 entzogen. Bei einem Roggen-Wicke-Gemisch konnte ein Eintrag von 2.31 t Kohlenstoff/ha gemessen werden, was 8.4 Tonnen CO2 entspricht [Sainju et al. 2005]. Die zugrundegelegte Biomasse entspricht ungefähr der zu erwartenden Produktion in wintermildem Klima. Vom Primärinput entweichen nach Umbruch der Begrünung im Verlauf der Saison rund 30 % in die Atmosphäre, womit eine C-Sequestrierung von 5.9 Tonnen CO2 verbleibt [Ruffo & Bollero 2003]. Dies entspricht dem Äquivalent von 2200 Litern Diesel-Kraftstoff. Ohne mechanische Einarbeitung der Begrünung sind die Verluste während des Abbaus noch einmal deutlich geringer einzuschätzen (Walzen, Mulchen).
Der verbleibende Kohlenstoff wird in organischer Form gespeichert und hilft, Humus im Boden aufzubauen. Im Zuge der zunehmenden biologischen Aktivität wird die Bodenstruktur nachhaltig verbessert. Dies wirkt sich positiv auf das Wasserrückhaltevermögen und die Nährstoffdynamik aus, wovon die Rebkultur schließlich profitieren kann.
Anlage der Winterbegrünung
Die Wahl der Winterbegrünungspflanzen
Einjährige Pflanzen: Da die Begrünungspflanzen ihr Wachstum im Sommer einstellen sollen, drängt sich die Verwendung von sogenannten winterannuellen Arten auf. Diese entwickeln im Herbst und Winter vorerst vegetative Organe, also Blätter und Sprosse. Im Frühjahr, bei zunehmendem Licht und Temperaturen, gehen sie dann in die generative Phase über, bilden also Blüten und Samen aus. Danach sterben sie ab.
Winterhärte: Es muss darauf geachtet werden, dass die Pflanzen im jeweiligen Weinbauklima im Winter nicht absterben. Abfrostende Arten können bei früher Herbstsaat theoretisch auch verwendet werden, sie bilden aber kaum ausreichend stabile Biomasse, um im Sommer des Folgejahrs eine gute Mulchschicht zu garantieren.
Wuchskraft: Es sollten Pflanzen gewählt werden, welche im Winter und Frühjahr besonders viel Biomasse produzieren, da vor dem Sommer eine genügend mächtige Mulchschicht als Verdunstungsschutz angelegt werden soll. Zudem gilt: je mehr Biomasse, umso mehr Nährstoffe können in den Kreislauf eingespeist werden. Raps und Rübsen wachsen schon früh im Jahr und legen rasch an Substanz zu.
N-Düngung: Leguminosen leben in Symbiose mit Wurzelbakterien und können die Kultur mit Stickstoff versorgen. Winterwicke, Inkarnatklee und Wintererbse sind gut geeignet.
Vielfalt: Je mehr Arten in einer Winterbegrünungsmischung enthalten sind, umso vielseitiger ist die Durchwurzelung des Bodens und die Mobilisierung von Nährstoffen. Zudem können mehr verschiedene Lebewesen vom vielfältigen Bewuchs profitieren (Insekten, Bodenorganismen). Eine Mischung aus Getreide, Leguminosen und Kreuzblütlern ist zu empfehlen. Das Getreide dient als Stützfrucht für rankende Leguminosen und sorgt für einen cellulose- und ligninreichen Mulch, der langsam abgebaut wird, was einen deutlich verbesserten Verdunstungsschutz im Sommer gewährleistet und den Humusaufbau fördert.
Kompatibilität: Die verschiedenen Winterfrüchte haben unterschiedliche Samenkorngrössen und verschiedene Optima bezüglich der Saattiefe. Zudem sollte darauf geachtet werden, dass nicht Dunkel- und Lichtkeimer gemischt werden. Je mehr verschiedene Winterfruchtgruppen zusammen kommen sollen, umso schwieriger wird es, eine für alle Arten akzeptable Saattiefe zu finden. Zwangsläufig muss man bei Mischsaat von Leguminosen, Getreiden und Kreuzblütlern einen suboptimalen Kompromiss suchen.
Aussaat
- Saatbeetvorbereitung: Bei bestehender Begrünung empfiehlt sich ein Aufbrechen mit dem Grubber oder der Fräse.
- Saatbreite: Das Saatgut wird von Hand oder mit einer geeigneten Maschine in der Fahrgasse ausgebracht, wobei zu den Reben etwa 20 cm Abstand gehalten werden sollte.
- Einarbeiten: Nach der Aussaat sollten die Samen mit einer Egge eingearbeitet werden. Eine Mischsaat aus Roggen, grobkörnigen Leguminosen und Raps sollte ca. 2 cm unter der Erde zu liegen kommen.
- Walzen: Um die Saat zu schützen, sollte die Erde mit einer Walze angedrückt werden.
- Ergänzend zur Winterbegrünung sollte in einem Teil der Fahrgassen (je nach Trockenstress der Anlage z.B. jede 2., 3., 5. oder 10. Fahrgasse) eine Dauerbegrünung eingerichtet werden.
Basismischung Winterbegrünung
Vielfältige Winterbegrünungsmischungen und auch Dauerbegrünungsaaten für Mittel- und Südeuropa können bei
Camena Samen in Lauenau (Deutschland) oder über das Delinat-Institut (Schweiz) bezogen werden.
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