Lebensraumvielfalt im Weinbau

von Claudio Niggli

Die Zivilisation gilt als Zerstörer der Biodiversität. Doch mit bewusster Landschaftsgestaltung könnte die Artenvielfalt sogar wieder zunehmen. Vielfältig strukturierte Land-, Forst- und Gartenflächen lassen wertvolle Lebensräume für viele Pflanzen- und Tierarten entstehen. Auch Winzer können mit gezielten Bewirtschaftungsmaßnahmen die Vielfalt der Lebensräume und damit die Biodiversität fördern. Das Ökosystem im Weinberg wird dabei robuster, was schließlich auch einen direkten Einfluss auf die Qualität der Trauben ausübt.
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Biodiversität im Kulturraum

Landwirtschaftlich genutzte Flächen können eine immense Pflanzen- und Tiervielfalt beherbergen, wenn die Nutzung extensiv, vielseitig und nachhaltig ist. Die Natur kann also unter bestimmten Voraussetzungen durchaus vom kulturellen Wirken des Menschen profitieren. Viele der heute im Weinbau und in der übrigen Landwirtschaft selten gewordenen Tier- und Pflanzenarten sind sogenannte hemerophile Arten. Das sind Kulturfolger, die sich überhaupt erst durch die vom Menschen bewirkte Umgestaltung der Landschaft auf diesen Flächen angesiedelt haben. Sie konnten sich in der Antike und im Mittelalter im Zuge der Aktivitäten des Menschen durch Bewirtschaftung und Siedlungsbau stark ausbreiten. Als Folge von Waldrodungen, Weidewirtschaft sowie Obst-, Wein- und Ackerbau wurden neue Lebensräume in großem Umfang geschaffen. Zahlreiche Arten, deren natürliche Habitate den landwirtschaftlichen Flächen ähnlich sind, konnten von den menschgemachten Veränderungen stark profitieren.

Ökologen gehen davon aus, dass die Artenvielfalt in Mitteleuropa nie so groß war wie in der Mitte des 18. Jahrhunderts, da in dieser Zeit die landwirtschaftliche Strukturvielfalt am höchsten war, noch keine Flurbereinigungen durchgeführt wurden waren, keine Monokulturen existierten und noch keine synthetischen Biozide als Pflanzenschutzmittel eingesetzt wurden. Viele Tier- und Pflanzenarten konnten in dieser Zeit ihre Lebensräume ausweiten und ihre Populationen vergrößern. Beispiele für bis heute sehr erfolgreiche Kulturfolger sind Wachtel, Haussperling, Rabenkrähe, Aurorafalter, Reh, Fuchs, Kornblumen, Klatschmohn oder Löwenzahn.

Die Tier- und Pflanzenarten, die heute noch von der landwirtschaftlichen Tätigkeit profitieren, sind allerdings zu Ausnahmen geworden. Die Gleichformung der Landwirtschaft und Siedlungsbereiche führten zu einem immer stärkeren Rückgang der Biodiversität. Im Zuge der beginnenden Intensivierung der Landwirtschaft im letzten Jahrhundert waren die Lebensbedingungen der Kulturfolger drastischen Änderungen unterworfen. Inzwischen sind auch die naturbelassenen Lebensräume fast verschwunden, wodurch es kaum noch Rückzugsmöglichkeiten gibt. Deshalb sind viele Tier- und Pflanzenarten, welche noch im 19. Jahrhundert häufig und weit verbreitet waren, heute im Aussterben begriffen oder stark gefährdet. Dazu gehören in der Schweiz zum Beispiel Rebhuhn, Steinkauz, Feldhamster, Kleiner Moorbläuling, Grosses Wiesenvögelchen, Weinbergtulpe, Blutströpfchen, Acker-Schwarzkümmel.

Biodiversität und Ökosystemleistungen

Durch den Verlust an Arten und naturnahen Lebensräumen schwindet die Kapazität der Ökosysteme, die auch für den Menschen unbedingt nötigen Leistungen wie z.B. den Schadstoffabbau, Nährstoffrezyklierung oder die Regulierung von Klima, Überflutungen, Krankheiten, Wasserqualität und Bestäubung zu erbringen. Wird eine bestimmte Schwelle der Artenvielfalt eines Ökosystems unterschritten, oder verschwindet ein wichtiges Glied im Netzwerk, kann ein bestehendes Ökosystem sogar kollabieren.

Die Natur hat also als Dienstleister einen direkten Nutzen und ihre Effizienz hängt von der Biodiversität ab. Je komplexer die Umwelt gestaltet ist, umso höher ist die Biodiversität. Damit also die Ökosystemleistungen optimal ausgeschöpft werden können, ist eine vielfältige Strukturierung des Kulturraumes anzustreben. Blick von den Weinbergen des Delinat-Instituts oberhalb von St. Leonard (Wallis). Photo: Patrick Rey

Die Wichtigkeit der Biodiversität als Grundlage für Ökosystemleistungen kann an einigen weiteren gut untersuchten Beispielen veranschaulicht werden. Die Effizienz der Bestäubung von fruchttragenden Kulturpflanzen und damit die Erntemenge steigt mit der Anzahl an Wildbienenarten [Hoehn et al. 2008]. Die Verfügbarkeit von Stickstoff im Boden und damit auch das Pflanzenwachstum hängen von der Vielfalt an Bodenlebewesen ab [Phillips et al. 2003]. Auch die biologische Schädlingskontrolle gehört zu den wertvollen Funktionen der Natur in der Landwirtschaft, wobei die Leistung von der Vielfalt und Anzahl natürlicher Gegenspieler abhängt [Schmidt et al. 2003]. Hierbei konnte gezeigt werden, dass die Zahl der Nützlinge direkt von der Komplexität des landwirtschaftlichen Lebensraumes abhängt [Langellotto & Denno 2004].

Ein aktuelles Beispiel für die Bedeutung der Ökosystemdienstleistungen sind die zahlreichen Erdrutsche und Einstürze von Trockenmauern als Folge der kräftigen Winterniederschläge 2011/2012 in den Walliser Weinbergen. Eine gezielte Begrünung hätte mit ihrem Wurzelwerk den Hang verankern und solche Erosionen verhindern können. Je vielfältiger die Begrünung und dementsprechend die Wurzelstrukturen sind, umso besser ist auch deren Schutzwirkung.

Wie können Lebensräume vielseitig gestaltet werden?

Landschaftliche Vielfalt

Auf Satellitenaufnahmen von Weinberggebieten lässt sich sehr schön beobachten, wie unterschiedlich die Landschaften strukturiert sein können. Weitläufige Monokulturen, wie in den Rebbergen von Chamoson (VS), präsentieren sich als eine Kulturwüste, die an Tristesse kaum zu überbieten ist (Abb.1). Im Kontrast dazu zeigt sich lediglich 30 km weiter die Weinbergslandschaft von Ayent als vielfältige Mischung unterschiedlich bewirtschafteter und auch brachliegender Flächen. Innerhalb des über Ayent fotografierten Perimeters von 170 ha (Parallelprojektion) befinden sich verschiedene Habitate wie Rebberge, Wälder, Felsensteppen, Wiesen, Weiden, Buschland und Siedlungen. Die Teilflächen sind zudem durch Waldstreifen, Wiesenborte, Flussläufe und andere Randstrukturen miteinander verbunden. In Weinbaugebieten gebirgiger Regionen ist dank der Topographie oft noch eine höhere großräumige Vielfalt gegeben. Zum einen können im steilen Gelände nicht alle Flächen bewirtschaftet werden, zum anderen sind durch die rasch wechselnden Verhältnisse nicht überall dieselben Kulturpflanzen optimal angepasst: je nach Neigung, Untergrund, Exposition und Höhenlage eignen sich jeweils andere Kulturen. Besonders steile Flächen können gar nicht oder nur extensiv bewirtschaftet werden.

Abb.1 Links die reich strukturierte Weinbergs-Landschaft oberhalb St. Léonard, rechts die Weinberge von Chamoson (die weiß umrandeten Flächen werden in Abb.2 dargestellt).

Es ist naheliegend, dass ein Gebiet mit unterschiedlichen Lebensräumen wie Wald, Wiese und Acker mehr verschiedenen Organismen eine Lebensgrundlage bieten kann als eine komplett bewaldete Fläche gleicher Größe. Man darf aber die verschiedenen Biotopfragmente nicht als in sich geschlossene Systeme verstehen. Viele Tierarten, besonders die verhältnismäßig mobilen Vögel, sind auf ein Leben in mehreren Habitat-Typen spezialisiert. So findet zum Beispiel bei manchen Arten die Nahrungssuche nicht in demselben Biotop statt wie die Aufzucht der Jungen. Dies ist einer der Gründe, warum ein kleinräumiges Nebeneinander von Lebensräumen mehr ist, als nur die Summe der einzelnen Fragmente.

Eine weitere Tatsache ist von besonderer Wichtigkeit: Flächen von typischen, gut charakterisierbaren Lebensräumen sind nicht immer scharf voneinander abgegrenzt. Die Übergänge zwischen Vegetationstypen zeigen sich oftmals fließend. Diese Übergangszonen sind besonders wertvoll für die Artenvielfalt, auch wenn sie flächenmäßig vergleichsweise wenig ins Gewicht fallen. Ein schmaler, ungemähter Streifen an der Grenze von offenem Kulturland zum Wald beherbergt beispielsweise Pflanzenarten, die weder in der Wiese daneben, noch im Waldesinneren gefunden werden können. Der Waldrand ist ein Biotop, dessen Anteil und Qualität zunehmen, wenn eine Waldfläche fragmentiert wird.

Ein abwechslungsreiches Landschaftsmosaik erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sich Tiere zwischen den potentiell geeigneten Habitaten bewegen und sich neue Lebensräume erschließen. Dies ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn der angestammte Standort einer Art sich so verändert, dass die Überlebensbedingungen nicht mehr gegeben sind und ein Standortwechsel vollzogen werden muss. Für solche Migrationsbewegungen spielen vernetzende Elemente wie Hecken, Waldstreifen, Brachen und extensive Wiesenstreifen eine sehr wichtige Rolle. Offene, weite Flächen ohne Nahrungsgrundlage, in denen die Tiere zudem natürlichen Feinden ausgesetzt sind, werden gemieden. Eine Vernetzung der Biotope fördert auch die genetische Durchmischung der Teilpopulationen, was eine bessere Anpassung an Veränderungen der Umwelt ermöglicht und bei Tieren einer möglichen Inzucht entgegenwirkt.

Auch die Pflanzen, die als Individuen ja stationär sind, können sich mithilfe ihrer Samen ausbreiten, wenn die Habitate nicht zu weit voneinander entfernt liegen, mosaikartig durchmischt und über naturnahe Strukturen vernetzt sind. Wird jedoch ein Weinberg über Jahrzehnte mit Herbiziden behandelt, sind von den meisten ursprünglich angestammten Pflanzenarten keine Samen oder Zwiebeln mehr im Boden vorhanden. Nach einer Umstellung auf ökologischen Anbau fehlt dann folglich die Basis zur Entwicklung einer reichhaltigen Flora. Liegt aber eine artenreiche, naturnahe Fläche in der Nähe der Parzelle (z.B. ein unbewirtschafteter Trockenhang), wird die Rebfläche nach und nach wieder von natürlichen Florenelementen besiedelt. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit hängt hierbei stark von der jeweiligen, arttypischen Strategie der Samenausbreitung ab. Die Ackerdistel kann sich mit ihren windverbreiteten Samen beispielsweise sehr rasch über weitere Distanzen neue Lebensräume erschließen, was sie zu einem gefürchteten Unkraut macht. Bei vielen seltenen Weinbergsbegleitern sind Ausbreitungsgeschwindigkeit und -distanz viel geringer, was auch eine der Ursachen für ihre Seltenheit ist.

Landschaftliche Heterogenität als Folge von kleinräumiger Fragmentierung ist aber nicht in jedem Falle positiv für die Biodiversität. Die Ansprüche an die Mindestgröße eines Habitats sind je nach Art ganz unterschiedlich. Größere Säuger, wie der Rothirsch oder der Luchs, welche stark an ein bestimmtes Habitat gebunden sind und viel Fläche brauchen, leiden unter einer zu starken Fragmentierung. Für diese Arten ist es essentiell, dass auch große, zusammenhängende Lebensräume bestehen bleiben und miteinander vernetzt werden.

Heterogenität im Weinberg

Landschaftliche Vielfalt alleine reicht nicht aus, um eine hohe Diversität langfristig aufrecht zu erhalten. Die ökologische Diversität und die Verteilung der einzelnen Kultur- und Brachflächen in einem Weinbaubetrieb sind von essentieller Bedeutung. Auch hier ist eine Mosaikstruktur aus verschiedenartig strukturierten Lebensräumen anzustreben. Am Beispiel der schematisierten Forschungsweinberge des Delinat-Instituts lässt sich das Prinzip gut veranschaulichen (Abb.2). Die verschiedenen Begrünungssysteme der Rebparzellen, die Strukturaufwertungen wie Hecken und Bäume sowie die (semi)-natürlichen Vegetationstypen wurden farblich voneinander abgegrenzt. Im Vergleich dazu wurde eine ebenfalls 2 ha große Fläche aus den Weinbergen von Chamoson nach demselben Prinzip dargestellt (Die Ausschnitte entsprechen den weiß umrandeten Flächen in Abb.1). Die Unterschiede in Bezug auf die Heterogenität sind eklatant; sie würden sich bei einer Erhebung der Biodiversität erwartungsgemäß sehr deutlich quantifizieren lassen.

Es kann allerdings sein, dass in der kargen, monokulturell angelegten Fläche einige wenige Vogel-, Pilz- oder Insektenarten vorkommen, die in ökologisch ausgewogenen Flächen wie unterhalb von Ayent nicht anzutreffen sind. Die Anwesenheit einzelner hemerophiler Arten darf allerdings nicht, auch wenn diese Arten teilweise sehr selten sein mögen, als Argument für den Erhalt ökologisch katastrophaler Zustände herhalten. Unter Naturschützern ist dies leider allzu häufig noch der Fall, wenn zum Beispiel für den Erhalt der Heidelerchen die Verwendung von Herbiziden auf 50% der Rebflächen empfohlen wird.

Abb.2 Schemata der Struktur von je 2 ha Weinbergen: links der Weinberg des Delinat-Instituts, der nach der Charta für Biodiversität angelegt wurde, rechts ein konventioneller Weinberg (die weiß umrandeten Quadrate werden in Abb.3 dargestellt).

Heterogenität in der Parzelle

Die Heterogenität innerhalb von einzelnen Parzellen ist ebenfalls von Bedeutung für das Agrarökosystem. Eine intensiv bewirtschaftete Rebparzelle ist eine Einöde. Wenn regelmäßig Herbizide und andere Biozide eingesetzt werden, leben hier außer Reben und ihren Schädlingen kaum noch andere Lebewesen. Diese Monotonie kann durch Begrünungsstrategien und Bodenpflege sowie durch die Anlage von Hotspots, Sekundärkulturen und Hecken aufgebrochen werden (Abb.2). So kann eine vielseitig strukturierte Rebfläche sogar den biologischen Reichtum einer ökologischen Ausgleichsfläche übersteigen.

Abb.2 Schemata der Struktur von je 120 m2 Rebparzelle. Links die begrünte Charta-Parzelle mit Sträuchern, Hecken, Weinbergspfirsichen und Begrünung, rechts eine konventionelle Parzelle mit nackten Böden wie sie mehrheitlich im Wallis kultiviert wird.

Boden- und Begrünungspflege beeinflussen die Struktur des Weinberges maßgeblich. Auch hier bringt ein Nebeneinander von Walzen, Mähen, Mulchen und Grubbern die größte Heterogenität und fördert aufgrund der verschiedenen Lebensraumansprüche von Pflanzen und Tieren die Biodiversität. Auch sehr kleinräumige Schwankungen der Bodenverhältnisse, der Sonneneinstrahlung oder der Luftfeuchtigkeit sind in ihrer Wirkung nicht zu unterschätzen. Die Artenzusammensetzung und damit auch die Struktur der Begrünungsflora hängen von diesen Faktoren ab und können sich dementsprechend lokal auch innerhalb derselben Fläche verändern. Diese kleinräumige Heterogenität in der Vegetation, welche durch wechselnde Umweltfaktoren bedingt ist, kann durch artenreiche Begrünungssaaten und den Verzicht auf bodenwendende Bearbeitung gefördert werden. Je mehr Pflanzenarten in einer Saatmischung enthalten sind, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine Pflanzenart dabei befindet, welche an eine bestimmte Kombination von Umweltfaktoren besonders gut angepasst ist.

Maßnahmen für gezielten Artenschutz in Weinbergen

Eine Erhöhung der Lebensraumvielfalt führt automatisch zu einer höheren Biodiversität. Doch für einzelne, besonders gefährdete Arten oder Gruppen sind häufig gezielte Maßnahmen nötig. Solche Tier- und Pflanzenarten sind nicht nur schützenswert aufgrund Ihrer Seltenheit, sondern stellen oft wichtige Glieder für die Stabilität des Ökosystems dar.

Eine extensive Rebkultur bietet Lebensgrundlage für zahlreiche hemerophile Vogelarten, die durch Überweidung und die Ausbreitung des Weinbaus im Wallis heimisch geworden sind. Untersuchungen von Sierro und Arlettaz haben gezeigt, wie in Walliser Weinbergen durch gezielte Maßnahmen die typischen, teils stark gefährdeten Vogelarten des Wallis gefördert werden können [Sierro & Arlettaz 2003].

Der Bluthänfling (Carduelis cannabina) ist in den Rebbergen des Wallis eine der häufigsten Arten und weit verbreitet. Er ernährt sich von Sämereien vorzugsweise in der Krautschicht und ist dementsprechend von einem reichen Angebot an Blütenpflanzen abhängig. Die Zaunammer (Emberiza cirlus), eine in der Schweiz seltene und gefährdete Vogelart, ist auf niedrige Hecken und Dorngebüsche angewiesen. Die Heidelerche (Lullula arborea) als typischer Vogel von Magerweiden besiedelt Weinberge mit geringer Hangneigung, welche teilweise begrünt sind. Auch der gefährdete Wiedehopf (Upupa epops), der Wendehals (Jynx torquilla) und der Gartenrotschwanz (Phoenicurus phoenicurus) sind auf eine partielle Begrünung angewiesen. Diese Arten verfüttern an ihre Jungen bevorzugt Insekten, welche sie auf der Bodenoberfläche, in der Streuschicht oder im Boden finden. Herrscht allerdings zwischen den Reben eine ganzflächige, dichte Begrünung vor, wird diesen Arten die arttypische Nahrungsbeschaffung erschwert. Optimal für diese Vogelarten wäre ein ausgewogenes Verhältnis zwischen begrünten Bereichen, welche Biomasse als Nahrungsgrundlage für Herbivore produzieren, und offenen oder karg begrünten Flächen [Schaub et al. 2008, Schaub et al. 2010].

Für die Praxis heißt dies, dass der Winzer zumindest während der Wachstumsphase für genügend offene Bodenstellen sorgen sollte. Eine gute Möglichkeit dafür stellt die Anlage eines reduzierten Dauerbegrünungssystems dar, wobei jede zweite oder dritte Gasse im Frühjahr oberflächlich bearbeitet wird. Eine andere, häufig angewendete Methode ist die Bodenbearbeitung im Unterstockbereiche. Ein solches System kann in niederschlagsarmen Anbaugebieten auch bezüglich der Wasserkonkurrenz von Vorteil sein.

In maschinell bearbeiteten Weinbergen sind Bodenbrüter wie die Heidelerche allerdings ohnehin sehr stark gefährdet, da sich ihre Gelege eben in den Bodenzonen befinden, die dann der Bodenbearbeitung ausgesetzt sind. Dies hat manch Ornithologen schon zu Freunden des Einsatzes von Herbiziden gemacht. Sofern es mit der weinbaulichen Praxis vereinbar wäre, könnte alternativ der Boden auch erst vor und/oder nach der Brutzeit bearbeitet werden.

Bei der Anlage von Dauerbegrünungssystemen ohne Bodenbearbeitung empfiehlt es sich, die Begrünung zu walzen, da so die Blütentracht für Insekten erhalten bleibt. Auf diese Weise entsteht eine dichte Lebendmulchschicht, die ein sehr wertvolles Biotop für Insekten, Käfer, Eidechsen, Würmer, Vögel und andere darstellt. Der Nachteil besteht allerdings darin, dass für einige Vogelarten kein Zugang zu nackten Bodenschichten bleibt.

Soll die Begrünung gemäht werden, stellt die alternierende Mahd eine wichtige Förderungsmassnahme dar, wobei der zweite Schnitt 6-8 Wochen später als der erste erfolgen sollte. In dieser Zeitspanne bleibt der Boden in den gemähten Flächen für die erwähnten Vogelarten zur Nahrungssuche zugänglich, bevor die Vegetation wieder zu hoch wächst.

Aus Sicht des Artenschutzes ist auch die gezielte Förderung der spontanen Flora im Weinberg anzustreben. Grasdominierte Begrünungsmischungen produzieren kaum Nektar, sondern nur Wind-Pollen und sind aufgrund ihrer geringen Artenzahl für die meisten Tiere wenig interessant. Viele der typischen Weinbergspflanzen sind besonders selten und gefährdet, aber in kommerziellen Saatmischungen nicht enthalten. Sie sind eine wichtige Lebensgrundlage für viele, teils sehr spezialisierte und deshalb besonders verletzliche Tierarten. Durch gezielte Bewirtschaftungsmaßnahmen und Verzicht auf Herbizide können sie gefördert werden. Eine annähernd stabile Vegetation aus spontanem Aufwuchs kann in trocken-heißen Weinbergen oftmals bereits durch regelmäßiges Entfernen oder Abmähen der Problemunkräuter und unerwünschten Sträucher geschaffen werden. Durch eine partielle, oberflächliche Bodenbearbeitung können Zwiebelpflanzen wie Traubenhyazinthe (Muscari neglectum), Milchstern (Ornithogalum umbellatum) oder Weinberg-Lauch (Allium vineale) und einjährige Pflanzen wie das Acker-Veilchen (Viola tricolor) gefördert werden. Auch zahlreiche niedrigwüchsige Kräuter der natürlichen Trockenhänge und Felsensteppen sind gut an die Bedingungen im Weinberg angepasst und zur Rebkultur relativ konkurrenzarm. Dazu gehören beispielsweise die Kleine Hauhechel (Ononis pusilla), der Weisse Mauerpfeffer (Sedum album) und Thymian (Thymus spp.).

Abb.4 Eine alternierende Dauerbegrünung auf Château Duvivier (Süd-Frankreich)

Konfliktpotential: Agronomie und Biodiversität

Gezielte Maßnahmen zur Förderung der Artenvielfalt sind im nachhaltigen Weinbau manchmal nur schwer oder gar nicht mit anderen ökologischen oder agronomischen Zielen zu vereinbaren. Auf der einen Seite steht der Anspruch, dass im Weinberg Lebensraum für möglichst viele verschiedene Lebewesen geschaffen werden soll, inklusive der typischen Kulturfolger. Auf der anderen Seite ist es das erklärte Ziel, dass die Erosion vermindert, die Nährstoffkreisläufe geschlossen und die Bodenfruchtbarkeit optimiert werden sollen. Diese Ökosystemleistungen werden einerseits zwar durch eine allgemeine Erhöhung der Biodiversität verbessert, andererseits ist dafür aber auch die Förderung bestimmter funktioneller Gruppen/Arten (z.B. Leguminosen zur N-Fixierung) für die Systemoptimierung unentbehrlich.

Gerade wenn es um die Erhaltung der für die Weinberge typischen Tiere und Pflanzen geht, steht der ökologische Weinbau manchmal vor einem Dilemma. Die traditionelle Weinbergsflora ist an eine oberflächliche Bodenbearbeitung und steinigen, mageren Untergrund angepasst. Doch die stark degradierten Böden im Wallis können mit einer ausdauernden und ganzflächigen Begrünung am effektivsten wieder aufgebaut, biologisch aktiviert und vor Erosion geschützt werden. Eine Anreicherung des Bodens mit organischer Substanz bis in tiefere Schichten ist nur mit einer starkwüchsigen Dauerbegrünung möglich. Eine positive Nährstoff- und Humusbilanz kann mit einer ganzflächigen, schwach wüchsigen Hackflora im Sinne der traditionellen Rebkultur kaum erreicht werden. Gleiches trifft auch auf die im Klimafarming angestrebte positive CO2-Bilanz durch effiziente Kohlenstoffsequestrierung im Boden zu. Jedes Aufbrechen des Bodens bringt zudem Nährstoffverluste mit sich und stört das Bodenleben.

Ein denkbar guter Kompromiss ist die Anlage von größeren Hotspots mit offenen Bodenbereichen inmitten der Rebparzellen. Diese sind für gefährdete hemerophile Vögel attraktiv und ein gutes Instrument im gezielten Artenschutz. Dies lässt sich durch einzelne, offene Rebzeilen ergänzen, die außerhalb der Brutzeit oberflächlich bearbeitet werden. Diese vereinzelten offenen Rebzeilen sollten jeweils verschoben werden, so dass die Gefahr von Humusabbau und Erosion gering bleibt.

Zahlreiche weitere Elemente zur Förderung der strukturellen Diversität landwirtschaftlicher Flächen sind Teil der Delinat Charta für Biodiversität. Hierzu gehören das Pflanzen von Hecken und einzelner Randbüsche, das Pflanzen von Bäumen, die Anlage von Strukturelementen wie Steinhaufen und Trockenmauern, die Pflege von Sekundärkulturen und einige weitere wichtige Elemente, die in ihrer Gesamtheit und Vernetzung die ökologische Qualität eines Weinbergs die eines bloßen Naturschutzgebietes übertreffen lassen.

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Literatur

Hoehn P, Tscharntke T, Tylianakis JM, & Steffan-Dewenter I: Functional group diversity of bee pollinators increases crop yield. Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, 275(1648), 2283-2291. (2008)

Langellotto GA, Denno RF: Responses of invertebrate natural enemies to complex-structured habitats: a metaanalytical synthesis. Oecologia 139:1–10. (2004)

Phillips DA, Ferris H, Cook DR, Strong DR: Molecular control points in rhizosphere food webs. Ecology 84: 816–826. (2003)

Schaub M, Martinez N, Tagmann-Ioset A, Weisshaupt N, Maurer ML, Reichlin TS, Abadi F, Zbinden N, Jenni L & Arlettaz R: Patches of bare ground as a staple commodity for declining ground-foraging insectivorous farmland birds. PloS ONE 5: e13115. (2010)

Schaub M, Zbinden N, Martinez N, Maurer M, Ioset A, Spaar R, Weisshaupt N & Arlettaz R: Vögel brauchen lückige Vegetation zur Nahrungssuche. Schweizerische Vogelwarte, Sempach 4. S. (2008)

Sierro A & Arlettaz R: L`avifaune du vignoble en Valais central: évaluation de la diversité à l`aide de transects. Nos Oiseaux 50: 89-100. (2003)

Schmidt M, Lauer A, Purtauf T, Thies C, Schaefer M & Tscharntke T: Relative importance of predators and parasitoids for cereal aphid control. Proc. R. Soc. Lond., B, 270, 1905–1909. (2003)

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