Einfluss des Sauerstoffs auf die Reifung von Rotwein
von Volker Schneider
Vor der Gärung aufgenommener Sauerstoff wird durch traubenbürtige Enzyme, die Polyphenoloxidasen, auf phenolische Substanzen übertragen, welche nach ihrer Oxidation ausflocken und aus dem System ausscheiden. Dieses Prinzip macht man sich im Rahmen der oxidativen Verarbeitung weißer Moste zunutze mit dem Ziel, durch frühzeitige Eliminierung sensorisch kritischer Phenole die Widerstandsfähigkeit der Weißweine gegenüber der oxidativen Alterung zu verbessern (4; siehe auch: Die Kunst gezielter Oxydation). Die Oxidation wird sozusagen in das Stadium des Mostes vorverlegt. Während der Gärung zugeführter Sauerstoff führt zu keinerlei Oxidation, sondern wird von der Hefe aufgenommen und verbessert ihre Gärleistung und den Endvergärungsgrad (9). Filtrierte Weißweine reagieren sehr sensibel auf eine Sauerstoffaufnahme unter graduellem Verlust ihres fruchtig-floralen Sortenaromas (11). Ganz anders ist die Situation in Rotweinen. Sie halten das den Weißweinen fehlende Tannin bereit, welches die durch den Sauerstoff ausgelösten Reaktionen in eine andere Richtung mit anderen sensorischen Konsequenzen leitet.
Tannin- und Redoxmanagement
Das Tannin der Rotweine entspringt einer chemischen Wechselwirkung zwischen farblosen Phenolen und den rot-blauen Anthocyanen, die während der Vinifikation aus den Trauben extrahiert werden. Der Tanningehalt ist keine statische Größe, sondern unterliegt während der Lagerung strukturellen Veränderungen, die sensorisch oft positiv und seltener negativ bewertet werden. Die wesentlichen Ursachen dieser Veränderungen sind seine Oxidation und Polymerisation. In diese Vorgänge kann man mit önologischen Stilmitteln eingreifen, die man als Tanninmanagement beschreibt. Sie umfassen die qualitative Formung des Tannins durch Förderung oder Hemmung natürlich ablaufender Reaktionen, seine Minderung durch partielle Ausfällung mit eiweißähnlichen Schönungsmitteln oder durch den Zusatz exogener Tannine.
Die Reaktionen von Oxidation und Reduktion spielen im Tanninmanagement eine herausragende Rolle, und genau darauf zielt die önologische Nutzung natürlich ablaufender Reaktionen ab. Eine Möglichkeit dazu ist die Zufuhr von Sauerstoff. Damit stellt sich die Frage nach der idealen Sauerstoffversorgung der Rotweine, sei es passiv wie durch die traditionelle Lagerung in Holz oder aktiv wie durch belüftendes Umpumpen oder Mikrooxigenierung, sowie nach dem Einsatz von SO2 als Reduktionsmittel. Das handwerklich beherrschte Ausbalancieren von Oxidation und Reduktion in Abhängigkeit vom jeweiligen Wein bezeichnet man als Redoxmanagement (11). Es ist wesentlichster Bestandteil des Tanninmanagements.
Sauerstoffaufnahme im Keller
Tabelle 1 gibt einen Überblick über die durchschnittliche Sauerstoffaufnahme durch kellertechnische Eingriffe im Klein- und Mittelbetrieb. Einige der aufgeführten Maßnahmen, die in der Praxis oft unbewusst realisiert werden, führen dem Wein Sauerstoffmengen bis zur Größenordnung einer Sättigungskonzentration (8,5 mg/L O2 bei 20° C) zu.
Tabelle 2 zeigt die für den Ausbau von Rotwein angewandten Methoden aktiver oder passiver Sauerstoffzufuhr sowie deren Vor- und Nachteile.
Reaktionen des Sauerstoffs
Die durch die Aufnahme von Sauerstoff ausgelösten Reaktionen sind in Abbildung 1 schematisch dargestellt. Tannin ist der primäre Sauerstoffakzeptor in Rotwein, während andere Inhaltsstoffe wie schweflige Säure und Alkohol nur einen untergeordneten, wenngleich variablen Anteil des während Ausbau und Reifung aufgenommenen Sauerstoffs konsumieren. Das Tannin besitzt die Fähigkeit, relativ große Mengen von Sauerstoff sowie Nebenprodukte der Oxidation (Acetaldehyd, höhere Aldehyde) zu binden. Aus diesem Grund sind Rotweine ungleich besser vor Oxidation geschützt als Weißweine.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Bildung geringer Mengen von Acetaldehyd durch eine gekoppelte Oxidation von Ethanol (22). Acetaldehyd akkumuliert nicht im Wein, sondern wird in das polymerisierende Tannin eingebunden. Dabei funktioniert es insbesondere als Bindeglied, die so genannte Ethyl-Brücke, zwischen je einem Anthocyan- und einem Tanninmolekül (18). In der Folge entstehen tiefdunkle und stabile Farbpigmente, welche gegenüber der ausbleichenden Wirkung der schwefligen Säure geschützt sind.
Die französische Schule der Önologie stellt die Bedeutung von Sauerstoff, intermediärem Acetaldehyd und der sich daraus ergebenden Ethyl-Brücke für den Ausbau der Rotweine in den Vordergrund (2, 3, 16). Aus diesem Verständnis heraus leitet sich die Technik der Mikrooxygenierung ab. Die australische Schule hingegen postuliert die Möglichkeit einer Reifung ohne Sauerstoff und sieht die Bedeutung intermediär gebildeten Acetaldehyds als nicht essenziell (17). Offensichtlich kann die Reifung von Rotwein tatsächlich ohne Sauerstoff ablaufen, wird aber durch solchen beschleunigt.
Einfluss der Feinhefe
Aus den Untersuchungen zur Reduktionskraft der suspendierten Feinhefe in nicht filtrierten Weißweinen ist bekannt, dass diese erhebliche Mengen an Sauerstoff zehren und so der Oxidation von Weininhaltsstoffen entziehen kann (1, 12). Im übertragenen Sinn gilt diese Wirkung der postfermentativen Hefe auch in Rotwein. Abbildung 2 vermittelt einen Eindruck, wie die Filtration die Verteilung des Sauerstoffs auf die unterschiedlichen Weininhaltsstoffe beeinflusst.
In unfiltrierten Rotweinen wird über die Hälfte des aufgenommenen Sauerstoffs durch die Feinhefe verarbeitet. Entfällt der reduzierende Effekt der Feinhefe nach der Filtration, reagiert entsprechend mehr Sauerstoff mit Tannin, SO2 und Anthocyanen. Filtrierte Rotweine reagieren schneller und empfindlicher auf Sauerstoff als trübe Jungweine. Sie reifen schneller und anders. Dieser Unterschied ist für die praktische Arbeit im Keller von herausragender Bedeutung.
Einfluss von schwefliger Säure, Tannin und Anthocyanen
Mittels einfacher analytischer Ermittlung des Gesamtphenolgehaltes kann man die Summe von Tanninen und Anthocyanen erfassen. Nach separater Bestimmung des Anthocyangehaltes ergibt sich dessen Anteil am Gesamtphenolgehalt und ein Index für das Tannin-Anthocyan-Verhältnis (14).
In einer Reihe von Experimenten wurden die sensorischen Konsequenzen unterschiedlicher Sauerstoffaufnahme in Abhängigkeit von Rotweintyp, schwefliger Säure und anderen önologischen Faktoren nach Filtration und Einstellung eines vergleichbaren Gehaltes von 30 mg/l freier SO2 durch trainierte Verkoster ausgewertet. Dabei standen Adstringens und Bitterkeit für die geschmacklichen Parameter, während das Aromaprofil auf die Attribute "Buntfrüchte“ und "trockene Kräuter“ reduziert wurde. Trockene Kräuter repräsentieren oxidative Alterung und Firne in der Nase, Buntfrüchte stehen für das sortenspezifische Primäraroma. Zur vereinfachten Wiedergabe werden die Ergebnisse in Prozent vom Mittelwert dargestellt.
Abbildung 3 zeigt den Einfluss von schwefliger Säure auf die sensorischen Folgen der Oxygenierung eines Blauen Portugiesers, dem insgesamt 17 mg/l O2 nach der Filtration zugeführt wurden. Der Wein steht stellvertretend für einen leichten Rotwein geringen Gesamtphenol- und Anthocyangehaltes. Gegenüber der sauerstofffrei gelagerten Variante führte die Oxygenierung, sei es mit oder ohne SO2, zu einer signifikanten Intensivierung von Bitterkeit, Adstringens und trockenen Kräutern unter starker Minderung von Buntfrüchten. Die durch die Sauerstoffaufnahme hervorgerufenen negativen Veränderungen in der Aromatik waren in Anwesenheit von freier SO2 deutlich geringer. Die wesentlichste Aufgabe der schwefligen Säure besteht hier darin, die bei der Oxidation des Tannins entstehenden Peroxide (Abb. 1) abzufangen, die andernfalls der Aromatik abträglich werden.
Abbildung 4 zeigt die Resultate des gleichen Experiments mit einem Dornfelder als Vertreter kräftiger Rotweine mit hohem Gesamtphenol- und Anthocyangehalt. Die Oxygenierung führte zu deutlich geringeren aromatischen Veränderungen, die durch die gleichzeitige Anwesenheit von SO2 nicht wesentlich beeinflusst wurden. Effekte der Oxygenierung auf die Adstringens blieben aus. Der hohe Phenolgehalt schützte den Wein vor den negativen Folgen der Oxidation, wobei sich die Bedeutung der SO2 als Reduktionsmittel deutlich verringerte (3, 21).
Es wird offensichtlich, dass Rotwein nicht gleich Rotwein ist. Der Gesamtphenolgehalt, das Tannin-Anthocyan-Verhältnis, schweflige Säure und Feinhefe sind die entscheidenden Parameter, welche über Möglichkeiten und Grenzen des oxidativen Ausbaus entscheiden. Filtrierte Rotweine sollten vor einer Sauerstoffaufnahme, wie sie zum Beispiel durch ein belüftendes Umpumpen oder im Holzfass eintritt, bereits eine zumindest geringe Menge freier schwefliger Säure enthalten. Ihre Aufgabe besteht im Abfangen intermediärer Peroxide, deren Akkumulation zu Lasten des Fruchtaromas geht.
Die kontrollierte Zufuhr von Sauerstoff zum geschwefelten Wein entspricht dem Lehrsatz des oxidativen Ausbaus im reduktiven Milieu. Nur im jungen Rotwein kann die schweflige Säure fallweise durch hohe Gehalte von Anthocyanen und suspendierter Feinhefe ersetzt werden. Rotweine mit geringem Gesamtphenol- und Anthocyangehalt vertragen nicht mehr Sauerstoff, als sie während Abstich, Ausbau und Filtration unvermeidbar aufnehmen (8). Abbildung 5 zeigt das Ergebnis einer sensorischen Auswertung verschiedener Rotweine, denen unter experimentellen Bedingungen jeweils 0, 10 und 20 mg/L O2 über einen Zeitraum von drei Monaten zugeführt wurden. Die sensorische Analyse berücksichtigte alle relevanten geruchlichen und geschmacklichen Parameter. Die Unterschiede zwischen den Sauerstoff-Varianten eines Weins wurden als Summe der relativen Standardabweichungen aller Parameter verrechnet und als Sauerstoff-Sensibilität ausgedrückt.
Es bestätigt sich ein enger Zusammenhang zwischen dem Gesamtphenolgehalt und dem Ausmaß der sensorischen Veränderungen, die eine gegebene Sauerstoffaufnahme hervorruft. Die Ansprüche an Reife und Sauerstoffzufuhr sowie die Fähigkeit zur positiven Alterung werden in erster Näherung durch die Summe von Tannin und Anthocyan vorgegeben, wie sie durch den Gesamtphenolgehalt ermittelt wird. Je geringer dieser Wert, desto empfindlicher sprechen die Weine auf Sauerstoff an und umso weniger benötigen und vertragen sie davon bei ihrem Ausbau (15).
Einfluss von Ellagtannin
Bei Ellagtanninen handelt es sich um traubenfremde Tannine, die sowohl aus Hölzern als auch aus Früchten wie Galläpfeln extrahiert werden können. Sie entsprechen den Tanninen, die der Wein bei der Lagerung in neuer Eiche aufnimmt und stellen auch den überwiegenden Anteil der kommerziell angebotenen Tannine. Sie sind anderer chemischer Natur als das traubenbürtige Tannin und haben die Eigenschaft eines Oxidationspuffers. Sie fangen den Sauerstoff aus einer zu intensiven Oxygenierung ab und bringen ihn nach und nach in das Oxidationsgeschehen ein (5, 6, 20).
Abbildung 6 verdeutlicht den Effekt von Ellagtannin auf das Verhalten eines tanninarmen Rotweins, hier Blauer Portugieser, dem 8,5 mg/L O2 zugeführt wurden. Ohne Ellagtannin kam es zu einer deutlichen Verstärkung von Adstringens, Bittere und trockenen Kräutern unter gleichzeitigen Verlusten von Buntfrüchten. Nach vorgängiger Dosage von 150 mg/L Ellagtannin fielen diese Oxidationsschäden ungleich geringer aus mit gleichzeitigen Vorteilen für die Farbe. Die Tannindosage führte unter den Bedingungen der Oxygenierung in bemerkenswerter Weise sogar zu einer Minderung von Adstringens und Bittere.
Ellagtannine sind nicht stabil. Werden sie als Geschmacksverstärker zugesetzt, verliert sich ein großer Teil ihrer anfänglichen Adstringens durch oxidativen und hydrolytischen Zerfall. Während ihrer Anwesenheit im Wein nehmen sie Einfluss auf die Entwicklung des traubenbürtigen Tannins (5, 20). Daraus kann sich im Einzelfall eine Minderung der Adstringens trotz temporärer Erhöhung des Tanningehaltes ergeben. Dieses Phänomen ist von der Entwicklung von Barriqueweinen her bekannt. Barriques aus neuer Eiche liefern dem Wein Ellagtannin und erleichtern damit den semi-oxidativen Ausbau, wie er unter solchen Bedingungen typisch ist. Die Lagerung in altem Holz bietet diese Möglichkeit nicht. Bereits nach einjähriger Belegung sind 80-90 % des aus Barriques extrahierbaren Ellagtannins ausgelaugt (19).
Es ist bezeichnend, dass die besonders in den Weinbauländern der Neuen Welt eingesetzte Mikrooxygenierung meist in Verbindung mit Eichenholzchips durchgeführt wird. Diese liefert nicht nur Aromakomponenten aus dem Holz, sondern auch Ellagtannin in Mengen, welche die Oxidation und Polymerisation des originären Traubentannins hin zu geschmacklich weniger aggressiveren Formen leitet (20).
In Abwesenheit von Ellagtannin führt die Umsetzung von Sauerstoff über das kellertechnisch unvermeidbare Ausmaß hinaus selten zu weicheren Tanninen. In robusten Rotweinen mit hohem Gesamtphenolgehalt und ausgeglichenem Tannin-Anthocyan-Verhältnis bleibt sie meist ohne Einfluss auf die Adstringens, während sie diese in farbarmen Rotweinen sogar erhöht (7, 8). Die klassische Beobachtung, wonach eine durch semi-oxidative Bedingungen geförderte Polymerisation des Tannins zu weicheren Weinen führt, gilt nur für einen längeren Ausbau im Barrique oder mit Eichenholzchips und ist nicht ohne weiteres auf im Tank gelagerte Rotweine der fruchtigen Art zu übertragen.
Die Technik der Mikrooxygenierung
Unter Mikrooxygenierung versteht man die langsame und kontinuierliche Zufuhr von Sauerstoff in geringsten Mengen über einen Zeitraum von mehreren Monaten. Die Entwicklung dieser Technologie war die Antwort auf eine defizitäre natürliche Sauerstoffaufnahme der Rotweine, die sich aus einer Tendenz zu immer größeren Produktionsvolumen und dem Verfall traditioneller handwerklicher Praktiken ergab.
Bei der Mikrooxygenierung wird reiner Sauerstoff aktiv über semipermeable Schläuche oder Fritten aus gesintertem Edelstahl zugeführt (Abbildung 7). Damit soll die natürliche Sauerstoffaufnahme in Holzfässern oder gaspermeablen Reifetanks aus Polyethylen imitiert und sogar noch besser kontrolliert werden. In der Tat ergibt sich damit eine interessante Bereicherung der verschiedenen Verfahren aktiver Sauerstoffzufuhr, ohne die klassischen Verfahren der Belüftung (Tabelle 2) zu entwerten. In der Praxis wird dabei eine frei wählbare Sauerstoffmenge von 1-10 mg /L / Monat über einen Zeitraum von drei bis sechs Monaten nach dem BSA dosiert. Im Idealfall wird der Sauerstoff so schnell abgebunden, wie er zudosiert wird, sodass eine wesentliche Anreicherung gelösten Sauerstoffs verhindert wird. Somit ergibt sich die Intensität der Dosage aus der Geschwindigkeit, mit der der Wein den Sauerstoff zu binden vermag. Sie ist vom Zustand und Entwicklungsstadium des einzelnen Weins abhängig. Ein Anstieg des Gehalts an Acetaldehyd zeigt an, dass mehr Sauerstoff zugeführt wurde, als der Wein zu binden vermag.
Seit die Mikrooxygenierung die Zufuhr exakt kontrollierbarer Sauerstoffmengen erlaubt, wurde besonders deutlich, wie unterschiedlich die Rotweine auf eine Sauerstoffzufuhr ansprechen. Die widersprüchlichen Erfahrungen mit dieser Technik resultieren aus der schier unüberschaubaren Vielzahl von Variablen, die in das sensorische Ergebnis eingehen. Die wichtigsten davon sind Tannin- und Anthocyangehalt, ihr Verhältnis zueinander, Feinhefe, schweflige Säure, Ellagtannin sowie Intensität und Dauer der Sauerstoffdosage. Bei Rotweinen mit zu wenig Tannin besteht eine Tendenz zur Überoxidation und Bräunung, bei solchen mit einseitig hohen Anthocyangehalten ist die Mikrooxygenierung wirkungslos. Die angestrebte Umwandlung der anfänglich harten und unreifen Tannine in solche mit samtig-weicher Adstringens ist nur möglich, wenn sowohl genügend Tannin als auch Anthocyan vorliegen und in einem ausgeglichenen Mengenverhältnis zueinander stehen.
Nicht ohne Grund sind in der Fachliteratur keine allgemein gültigen Aussagen zu Durchführung, Sauerstoffmenge und sensorischen Ergebnissen der Mikrooxygenierung zu finden. Ein allen Weinen gemeinsames Phänomen ist bestenfalls eine Farbintensivierung durch erhöhte Bildung polymerer Pigmente sowie die Minderung eventuell vorliegender grün-grasiger oder reduktiv-böckseriger Aromanoten. Offensichtliche Widersprüche ergeben sich nicht zuletzt aus einem unpräzisen Sprachgebrauch, wenn sensorische Begriffe wie Vollmundigkeit, Adstringens, Körper, Struktur, Abrundung und Nachhaltigkeit beliebig gegeneinander ausgetauscht werden (13). Grundsätzlich ist die Sprache das größte Problem in der Sensorik.
Da jeder Rotwein anders beschaffen ist, bleibt die aktive Sauerstoffzufuhr wie durch Mikrooxygenierung ein Verfahren, welches hohe Anforderungen an chemisches Verständnis, Beobachtungsgabe, handwerkliches Können und Erfahrung stellt. Die komplizierte Materie erlaubt keine vereinfachten Rezepte. Manche Weine vertragen viel Sauerstoff, andere nur wenig, und bei vielen wird das Ideal bereits durch die kellertechnisch unvermeidbare Sauerstoffaufnahme erreicht. Die Entscheidung über Durchführung und Intensität einer Oxygenierung muss im Einzelfall durch den Winzer getroffen werden, unabhängig davon, ob konventionelle Methoden der Belüftung oder moderne Verfahren der Mikrooxygenierung zum Einsatz kommen.
Experimentelle Ermittlung des Sauerstoffbedarfs
Naturgemäß besteht ein berechtigtes Interesse, den optimalen Sauerstoffbedarf der Rotweine selbst zu ermitteln. Ein entsprechender Test kann auf einfache Weise in Flaschen von 750 mL mit Schraubverschluss durchgeführt werden. Solche Flaschen weisen ein durchschnittliches Randvoll-Volumen von 770 mL auf.
Zwei solcher Flaschen werden mit einem Probenschlauch unterschichtig befüllt. Dazu führt man den Schlauch bis zum Boden der Flasche und befüllt diese mit dem in den Wein eingetauchten Schlauchende von unten nach oben. Mit ansteigender Füllhöhe zieht man den Schlauch langsam hoch, ohne dass der Wein durch die Luft stürzt, bis die Flasche schließlich randvoll befüllt ist. Eine dieser Flaschen wird sofort verschraubt; sie dient später als unbehandelter Standard.
Der zweiten Flasche werden mittels einer Pipette 20 mL Wein entnommen, bevor sie ebenfalls mit einer Schraubkappe dicht verschlossen wird. In dem Kopfraum von 20 mL Luft steht eine Sauerstoffmenge zur Verfügung, die 7,8 mg/L O2 entspricht. Analog ergeben sich so 3,9 mg/L O2 bei 10 mL Kopfraum und 16,2 mg/L O2 bei 40 mL Kopfraum. Grundlage der Berechnung ist die Tatsache, dass Luft 20,8 vol-% Sauerstoff enthält und 1 mL Sauerstoff ein Gewicht von 1,43 mg aufweist.
Zur erleichterten Aufnahme des Sauerstoffs wird wöchentlich umgeschüttelt. Nach Ablauf von drei bis vier Wochen erfolgt der sensorische Vergleich mit dem unbehandelten Standard.
Das Dekantieren der Rotweine vor dem Genuss ist ein durch Konsumenten und Gastronomie praktiziertes Verfahren der Belüftung. Der beschränkende Faktor bei diesem Vorgehen ist, unabhängig von der Menge des aufgenommenen Sauerstoffs, die Geschwindigkeit der chemischen Umsetzung desselben im Wein. Pro Stunde werden ca. 0,1 mg/L O2 durch den Wein gebunden, um sensorisch wahrnehmbare Reaktionen hervorrufen zu können. Somit reagiert im Beobachtungszeitraum von annähernd einem halben Tag zu wenig Sauerstoff, um geschmacklich erkennbare Veränderungen des Tannins hervorzurufen. Die durch diese Art der Oxygenierung herbeigeführte "Öffnung" des Weins spielt sich ausschließlich auf der Ebene der in wesentlich geringeren Konzentrationen vorliegenden Aromastoffe ab. Das Geruchsbild verändert sich, aber der Geschmack wird nicht weicher.
Zusammenfassung
Rotwein verträgt und erfordert eine höhere Aufnahme von Sauerstoff als die oxidationsempfindlichen Weißweine. Damit verfolgt man eine geschmackliche Harmonisierung durch die Umwandlung des anfänglich harten und unreifen Tannins in solches mit samt-weicher Adstringens, eine geruchliche Komplexierung sowie eine Stabilisierung der Farbe. Die dazu erforderlichen Sauerstoffmengen sind extrem variabel. Tanninreiche Rotweine und insbesondere solche mit einem ausgeglichenen Tannin-Anthocyan-Verhältnis erfordern mehr Sauerstoff als leichte Rotweine mit wenig Tannin oder Farbe. Die gleichzeitige Anwesenheit von Feinhefe, schwefliger Säure oder Ellagtannin partizipieren an dem aufgenommenen Sauerstoff und wirken einer Überoxidation entgegen. Gesamtphenol- und Anthocyangehalt sind elementare Kenngrößen zur Beurteilung des Sauerstoffbedarfs und Oxidationsverhaltens der Rotweine.
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