Der Wasserhaushalt der Weinrebe

von Claudio Niggli

Die Rebe ist eine außerordentlich leidensfähige Pflanze und gut an längere Trockenphasen angepasst. Für ihre Wachstumsprozesse und die Reifung der Trauben ist ein Minimum an Wasser aber unentbehrlich. Damit eine optimale Balance zwischen Ertrag und Qualität erreicht werden kann, sind  regelmäßige Beobachtung und fundierte Kenntnisse der Anpassungsstrategien der Rebe und des  Wasserhaushalts im Weinberg unentbehrlich.

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Eine ausbalancierte Wasserversorgung von Rebpflanzen ist der entscheidende Faktor für Quantität und Qualität der Trauben. Wobei zuviel Wasser der Weinqualität oft abträglicher ist als zu wenig Wasser. Da der Marktwert der Ernte in hohem Masse von der aromatischen Qualität der Trauben abhängt, kommt der Steuerung des Wasserhaushalts folglich ein ganz besonderer Stellenwert zu. Aufgrund des Klimawandels hat sich in den letzten Jahrzehnten die Wasserdynamik in den Weinbergen zusehends verändert, was das Terroir und die Weinqualität immer stärker beeinflusst (siehe: Klimawandel im Weinbau).

Ausgeprägte Trockenphasen stellen zwar nicht grundsätzlich ein Problem für die Rebe dar, denn sie ist ein genügsamer Organismus. Doch wenn in den entscheidenden Wachstumsphasen zu großer Wasserstress herrscht, wirkt sich dies negativ auf die Qualität und auf die Erntemenge aus. Auch ein Zuviel an Wasser zum falschen Zeitpunkt führt zu verminderter Traubenqualität.  Zudem ist angesichts der drohenden Verknappung der Ressource Wasser in vielen Gebieten eine Bewässerung nicht nachhaltig möglich. Für ein ökologisches Qualitätsmanagment im Weinbau ist eine optimierte Wasserwirtschaft daher von größter Wichtigkeit. Das Gleichgewicht zu finden, ist eine anspruchsvolle Aufgabe, da dieses von unzähligen, in der folgenden Abbildung dargestellten Faktoren beeinflusst wird (Abb.1).

Abb.1 Der Wasserhaushalt im Weinberg wird durch zahlreiche Faktoren beeinflusst

Wasser als Motor pflanzlichen Wachstums

Wasser übernimmt in der Rebe wie in allen Pflanzen eine Vielzahl von Funktionen und stellt auch mengenmäßig das wichtigste Molekül dar. So enthält beispielsweise das grüne Pflanzengewebe meist 80 - 90 % Wasser. Die wässrige Lösung im Pflanzengewebe sorgt für die Regulierung des Zelldrucks (Turgor), der wiederum die Stabilität von unverholzten Pflanzenteilen wie Blättern oder Stengeln aufrecht erhält. Bei Wachstumsprozessen ist neben der Zellteilung oftmals auch die Vergrößerung der Zellen durch Wasseraufnahme beteiligt. Dies gilt insbesondere für die Weinbeere und andere saftreiche Früchte. Praktisch alle Stoffwechselprozesse der Rebe laufen im Wasser des Zellplasmas ab. Wasser ist darüber hinaus direkt bei chemischen Reaktionen in der Pflanze beteiligt, so auch beim Prozess der Photosynthese, bei der mit der Hilfe von Sonnenlicht und Wasser Kohlendioxid zu Zucker aufgebaut wird. Der Sauerstoff, welcher durch die Pflanzen ausgestoßen wird, stammt also ursprünglich aus Wassermolekülen und nicht, wie man annehmen könnte, aus dem CO2.

Wasser dient zudem als Speicher- und Transportmedium für Nährstoffe aus dem Boden. Nur wenn über die Blätter Wasser aus der Pflanze verdunsten kann, entsteht an den Wurzeln der Saugdruck, um frisches, nährstoffreiches Wasser aus dem Boden aufzunehmen. Solange der Transport der Bodennährlösung aus den Wurzeln aufrecht erhalten werden soll, muss also fortlaufend Wasser über die Blätter verdunstet werden. Auch für die Aufrechterhaltung der Photosynthese müssen die Spaltöffnungen (Stomata) zwecks Aufnahme von CO2 und Abgabe von O2 geöffnet sein. Wenn die Spaltöffnungen der Blätter geöffnet sind, verdunstet aber auch Wasser. So kann bei heißtrockenen Bedingungen ein Rebblatt innert 20 Minuten so viel Wasser verdunsten, wie ein Blatt normalerweise in seinen Geweben enthält. Dieser stomatäre Transpiration genannte Prozess kühlt gleichzeitig das Pflanzengewebe ab, das funktioniert also ganz ähnlich wie beim Schwitzen der Säugetiere.

Wasserfluss durch Druckdifferenzen

Der größte Teil des von der Pflanze aufgenommenen Wassers stammt aus dem Boden und wird über die feinen Wurzelhaare aufgenommen. Auch über Blätter und Spross kann Wasser aufgenommen werden, aber im Verhältnis zu dem aus dem Boden aufgenommenen ist die Menge meist nur sehr gering. Die Ausnahme bilden einige spezialisierte Pflanzenarten in Klimata mit sehr langen Trockenzeiten oder in Lebensräumen, in denen kaum Wurzelwachstum möglich ist.  Da das Wasser von der Wurzel zu den Blättern entgegen der Schwerkraft transportiert wird, muss ein genügend großer Unterschied des Wasserpotentials von Boden und Rebe herrschen. Das Wasserpotential charakterisiert den Wasserzustand eines Systems, wobei das Wasserpotential des Bodens höher sein muss als das der Pflanze und dieses wiederum höher als das der Luft. So kann ein Druckgradient zwischen diesen drei Systemen entstehen, durch den Wasser in der Pflanze aufsteigen kann.

Die Rebe kann ihr Wasserpotential erniedrigen, indem sie die Spaltzellen öffnet und dadurch vermehrt Wasser über die Spaltöffnungen in den Blättern verdunsten kann. Dies ist nur möglich, weil die Atmosphäre wiederum meist ein niedrigeres Wasserpotential aufweist, als in der Rebe herrscht. Die Ausnahme bilden Phasen, in denen die Lufttemperatur niedrig und die Luftfeuchtigkeit hoch ist, wie zum Beispiel in den frühen Morgenstunden im Sommer. Kurz vor Sonnenaufgang ist der Wasserdruck im Boden, den Wurzeln, den Blättern und der Atmosphäre ungefähr gleich. Die Pflanze befindet sich also in einem Gleichgewichtszustand und es findet kein Wassertransport von den Wurzeln in die Blätter statt.

Ist der Wasserdruck im Boden jedoch sehr hoch bei gleichzeitig hoher Luftfeuchtigkeit, kann Wasser aus dem Blattgewebe austreten und sich am Blattrand sammeln. Das sieht dann wie Taubildung aus, ist aber die sogenannte Guttation, ein Phänomen, welches bei Frauenmantel bisweilen schön zu beobachten ist.  Das Wasserpotential im Boden hängt vom Wassergehalt in der Bodenmatrix ab: je feuchter der Boden, umso höher der Wasserdruck. Sinkt der Wasserdruck im Boden zu stark ab, sinkt der Druckgradient zwischen Pflanze und Boden, so dass die Rebe zu welken beginnt.

Die Rebe als Trockenkünstlerin

Die Weinrebe zeichnet sich durch verschiedene Eigenschaften aus, welche es ihr ermöglichen, den Wasserverbrauch zu drosseln und auch in Phasen ohne Niederschläge noch produktiv zu sein. Durch ihr tief reichendes Wurzelwerk gelingt es ihr, Feuchtigkeit nicht nur aus allen Bodenschichten zu beziehen, sondern auch Grundwasser oder absickerndes Hangwasser zu erreichen (Abb.2). Die Blätter, das Hauptorgan der Verdunstung, sind durch feine Filzhaare geschützt, welche die Wirkung der Sonneneinstrahlung eindämmen und Luftströmungen über dem Blatt bremsen, wodurch die Transpiration vermindert wird. Auch die dünne Wachsschicht (Cuticula), welche das Blatt überzieht, kann durch ihre wasserabweisende Struktur unproduktive Transpiration verringern.  Zudem besitzt die Weinrebe einige physiologische Steuerungsmechanismen, welche ihr einen effizienten Umgang mit der Ressource Wasser erlauben. Bei suboptimaler Versorgung wird als erstes die Neubildung von Zellen eingeschränkt, was bedeutet, dass die Rebe kaum oder nur noch langsam weiter wächst. Nimmt der Wasserstress zu, werden weitere aufbauende Prozesse im Stoffwechsel gedrosselt. Erst bei noch stärkerem Wasserstress werden die Spaltöffnungen vermehrt geschlossen und die Photosynthese-Aktivität reduziert. Das heißt, dass bei gemäßigt suboptimaler Wasserversorgung (rund 60 % bezogen auf das nutzbare Maximum) zwar kaum mehr Wachstum möglich ist, aber trotzdem noch Assimilate wie Zucker produziert und in die Trauben eingelagert werden können. Die Pflanze stellt ihre Investitionen von Wachstum auf die Ausbildung und Reifung der Trauben um.

Abb.2 Die Rebe entwickelt im Boden ein reich verzweigtes und teifgreifendes Wurzelsystem.

Leichter Wasserstress ist also im qualitätsorientierten Weinbau nicht nur unproblematisch, sondern in phänologischen Phasen , in denen keine Zunahme von Blattmasse mehr nötig ist, sogar anzustreben. Dabei ist auch zu beachten, dass nicht alle Rebsorten gleich reagieren und sich bezüglich ihrer Leidensfähigkeit unterscheiden. Manche Sorten sind besonders effizient bei der Ausschöpfung der Wasserreserven des Bodens und zeigen in Trockenzeiten schwach abnehmende Produktivität, wie z.B. die Syrah (anisohydrisch). Bei gelegentlichen Regenfällen im Sommer können also verhältnismäßig hohe Erträge erreicht werden. Andere Rebsorten wie die Grenache gehen sehr sparsam mit den Wasserreserven um und können lange Trockenzeiten überstehen, sind dabei aber weniger produktiv (isohydrisch).

Wasserstress: Eine Gratwanderung

Die effektiv benötigten Niederschlagsmengen und damit die Beurteilung des Stressregimes hängen von vielen Faktoren ab, von denen besonders die weinbaulichen sehr entscheidend sind. Bei Maximalerträgen in dichten Pflanzungen können bis zu 900 mm Jahresniederschlag durch die Reben produktiv genutzt werden (Créspy 2012). Bei lockeren Pflanzungen und mäßigem Wasserstress im Qualitätsweinbau geht man von 400 mm/a aus, die für die Reben benötigt werden. Bei starkem Wasserstress und Minimalerträgen für große Weine kann eine lockere Rebpflanzung auch mit 200 mm/a noch wirtschaftlich produzieren. Die Verfügbarkeit des gemessenen Niederschlags wiederum ist ebenfalls von vielen Faktoren abhängig (Abb.3). Die hier aufgeführten Näherungen der benötigten Wassermengen der Reben  gelten für unbegrünte Parzellen und durchschnittliche "Normalstandorte".

Abb.3 Vereinfachte Darstellung der Wasserflüsse im begrünten Weinberg. In kursiv die Hauptfaktoren, welche quantitativ Einfluss nehmen.

Alle bekannten Faktoren (Abb.1 und 3) zu integrieren und eine Hochrechnung zum Wasserregime zu erstellen, würde sehr komplexe und flexible Modelle erfordern und ist praktisch nicht umsetzbar. Viele Faktoren können kleinräumig schwanken, so dass im Extremfall jede einzelne Parzelle eine andere Dynamik zeigt. Woran also erkennt man, wie stark der "Leidensdruck" der Reben tatsächlich ist?

Wird das Wachstum bei Trieben und Blättern verlangsamt, kann man davon ausgehen, dass die Rebe zumindest unter leichtem Wasserstress steht. Das allererste mit bloßem Auge zu erkennende Anzeichen für Wasserstress ist das Eintrocknen der Rankenspitzen. Bei erhöhtem Stress wird das Wachstum dann ganz eingestellt und die ältesten Blätter beginnen zu vergilben. Hält der Stress an, werden die Blätter gelb und fallen ab. Sind die Symptome so offensichtlich, ist die Schwelle zu "gesunder" Wasserknappheit schon überschritten. Tritt er in der Phase des Traubenwachstums ein, kann dies zu stark verminderter Beerengröße und einer frühzeitigen Einleitung der Reife führen (Notreife). Eine solch verkürzte Reife führt zu einer unausgeglichenen Zusammensetzung der Inhaltsstoffe in den Beeren und ergibt unausgewogene Weine, die oft hart wirken. Wasserstress nach dem Weichwerden der Trauben führt bei vorgängig guter Wasserversorgung zum Einschrumpfen der Trauben und erzeugt aufkonzentrierte, marmeladige Weine, denen die Frische fehlt.

Wenn die Spitzen der Ranken eintrocknen, ist dies das erste Zeichen für erhöhten Wasserstress. Für Gegenmaßnahmen wäre in dem Moment noch Zeit. Für die hier abgebildete Rebe besteht kein Wasserstress.

Die Technik bietet mehrerer Möglichkeiten, den Wasserstress in einer Rebanlage quantitativ zu errechnen oder zu messen. Indirekte Methoden sind beispielsweise die Messung der Bodenfeuchtigkeit oder die Berechnung der Transpiration durch meteorologische Daten mithilfe entsprechender Modelle. Diese Informationen können aber nur als grobe Anhaltspunkte heran gezogen werden, da sie nicht alle relevanten Faktoren einbeziehen. Näher an der Realität und hilfreicher sind Erhebungen direkt an der Rebe.

Im nächsten Teil der Serie zum Wasserhaushalt im Weinberg wird auf die verschiedenen Möglichkeiten eingegangen, wie sich der Wasserstatus einer Rebkultur messen und durch agronomische Maßnahmen lenken lässt.

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Literatur

Crespy, A.: Eléments pour la gestion du stress hydrique en viticulture. Revue des Oenologues 143, Avril 2012.

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