Weingärten mit Erdbeeren, Kürbissen und Hühnern zwischen den Reben

von Hans-Peter Schmidt

Eigentlich ist der Boden zwischen den Reben viel zu schade, um ihn ungenutzt zu lassen. Statt bekämpften Gräsern könnten Erdbeeren, Kartoffeln, Kürbisse, Salbei oder Brokkoli dort wachsen. Der Winzer könnte auf seinem heiligen Terroir nebenbei zum Gärtner werden. Allein es rechnet sich nicht. Oder doch?

Noch vor 100 Jahren war es durchaus üblich, in Weinbergen drei Ernten pro Jahr einzufahren. Im Frühjahr pflückte man Salate, Petersilie und Schnittlauch. Im Frühsommer Zwiebeln, Erdbeeren, Kirschen, Aprikosen. Und ab der zweiten Sommerhälfte bis in den Herbst Tomaten, Bohnen, Kartoffeln, Kürbis, Brokkoli und schließlich Wein. Im Weinberg, wenn er nicht völlig erodiert ist oder in der Halbwüste liegt, wächst eigentlich fast alles, was einen Koch und Feinschmecker begeistert. Die Mischkulturen sorgen für Biodiversität, die Insekten lieben es, die Düfte überwältigen, das Auge schmaust, die Schädlinge werden von der reichen Durchmischung der Kultur verwirrt und von ausreichend natürlichen Feinden in Schach gehalten. Eine perfekte Welt, die allen zum Glück geneigt. Außer dem Winzer, der vor lauter Kümmern und Jäten den Rücken nicht mehr gerade bekommt. Denn zwischen den engen Rebzeilen ist fast alles Handarbeit. Zudem muss man ständig achten, wohin man tritt, um kein zartes Pflänzchen zu zerdrücken. Beginnt man am einen Ende des Weinbergs mit der Arbeit, ist man am anderen Ende schon wieder zu spät. Unmöglich, alles rechtzeitig zu schaffen, und dann das viele Gemüse und Obst auch noch rechtzeitig auf den Markt zu bringen. Für einen Hektar eines solch intensiven Mischgartens wären in den Spitzenzeiten fünf Arbeiter nötig, allein um die Erdbeeren in der Morgenstunde zu ernten. Um auf einem Hektar den engen Raum zwischen den Reben mit Gemüse zu bebauen und zu pflegen, braucht es mehr als doppelt so viel Zeit wie auf einem Hektar ohne Reben, von dem man mit geeigneten Maschinen und Düngern das Doppelte an Ernte herauszuholen kann.

Bild 1 - 3: Roggen und Erbsen sind eine hervorragende Winterbegrünung und ergeben im Juni exzellenten Mulch zum Bodenschutz- und Aufbau. Sie können aber auch als Futtermischung geerntet werden. Erdbeeren sind nicht nur ein exzellenter Bodendecker (Bild  in der Mitte: Frühjahr), sondern lädt Gäste und Arbeiter zu gelegentlichem Naschen ein. Der kommerzielle Anbau zwischen den Reben lohnt sich hingegen kaum.

Wenn der Boden knapp und die Lebensmittel teuer sind, mag sich das lohnen, aber wenn Bauland 200mal teurer als Landwirtschaftsland ist und Lebensmittel weniger als 8% der Lohntüte beanspruchen, muss man als Winzer die Mischkulturen strategisch sehr geschickt und effizient bewirtschaften, um sich nicht vom Idealismus in die roten Zahlen schieben zu lassen.

Über 50 Sekundärkulturen getestet

Wir haben am Delinat-Institut in den letzten Jahren gut 50 Sekundärkulturen zwischen den Rebzeilen sowie in den Saumzonen probiert und auf ihre Eignung im Weinbau untersucht. Dabei wurden Parameter wie Konkurrenz zur Rebe, Nährstoff- und Wasserbilanz, Anforderungen an den Boden, Bodenbearbeitung, Pflanzenschutz, Schädlingsdruck, Mechanisierung und Wirtschaftlichkeit untersucht. Doch egal wie gut eine Kulturpflanze zur Rebe passt, entscheidend für ihren Erfolg ist vor allem, wie sich die Arbeit in den allgemeinen Ablauf der Rebarbeiten eingliedern lässt und ob man bei ehrlicher Berechnung des gesamten Aufwandes letztlich keinen Verlust macht.

Bild 4: Rosen zur Parfümgewinnung sind eine hervorragende Sekundärkultur.

Die meisten einjährigen Gemüsepflanzen benötigen in der Hauptwachstumsphase eine regelmäßige Bewässerung, die so dosiert verabreicht werden muss, dass es nicht zu ungewünschten Nährstoffmobilisierungen und Überwässerung für die Rebe führt. Tomaten und Auberginen zum Beispiel, die sich eigentlich sehr gut zwischen den Reben eignen, müssen mindestens jeden zweiten Morgen mit Tröpfchenbewässerung in Wurzelnähe bewässert werden. Zwischen den Reben wird der Platz sehr eng, wenn in jeder zweiten Zeile ein Spalier Tomaten eingezogen wird. Da passt kein Traktor mehr zwischen die Zeile und es ist folglich alles Handarbeit. Um die Begrünung um die Tomaten nicht auswuchern zu lassen, muss für eine ausreichende Mulchschicht (Strohabdeckung) oder für die Abdeckung mittels Hanfmatten gesorgt werden. Erreichen die Tomaten und Auberginen, die durch die Laubwand der Reben stärker beschattet sind als auf einem reinen Gemüsefeld, schließlich ihre Reife, liegen die Marktpreise am Tiefpunkt und aufgrund der Sommerhitze ist die Haltbarkeit gering. So schön also Tomaten und Auberginen zwischen Reben das Auge der Besucher entzücken und tatsächlich auf den Weinbergböden ausserordentlich schmackhaft werden können, für den Winzer ist es unmöglich, diese kostendeckend zwischen seinen Reben anzubauen. Dies lohnt sich höchstens, wenn das dem Weinberg angeschlossene Restaurant mit eigenem Gemüse Eigenwerbung betreiben kann, wie z.B. auf Chateau Duvivier in der Provence oder auf San Vito in der Toskana.

Kartoffelpflanzung im Frühjahr. Ein dicke Mulchschicht erspart das Jäten bis zur Ernte. Achtung: steinige Böden ergeben deformierte Kartoffeln, die nicht markttauglich sind.

Während Tomaten und Auberginen erst reif werden, wenn die Pflanzenschutzspritzungen im Weinberg beendet sind und Kartoffeln und Kürbisse im Zweifelsfall die gleichen Pflanzenschutzmassnahmen brauchen, lassen sich Himbeeren, Erdbeeren, Johanissbeeren, Aromakräuter und Wintergetreide nur in Rebgärten kultivieren mit resistenten Weinsorten, die keine Pflanzenschutzspritzungen bedürfen oder nur solche mit sanften Mitteln wie Kräutertee, Kompostextrakte, Molke, Gesteinsmehl und/oder Backpulver.

Zwischenkulturen auf fetten Böden

In fetten, für die Reben ohnehin zu wüchsigen Böden wie häufig in den nördlicheren Weinbaugebieten oder im Veneto können die Sekundärkulturen genutzt werden, um für gewünschte Konkurrenz zu den Reben zu sorgen und Nährstoffe sowie Wasser zu entziehen. Hier eignen sich übliche Feldfrüchte wie Kartoffeln, Getreide oder Kürbisse. Während Kürbisse und Melonen mit überschaubarem Aufwand auch mit Handarbeit zwischen den Reben herangezogen werden können, müssen für Kartoffeln und für Getreide die Maschinen so umgebaut werden, dass die Kulturstreifen in jedem zweiten Zeilenzwischenräumen effizient bearbeitet und geerntet werden können. Trotzdem wird es mit dem Anbau auf freiem Feld nicht konkurrieren können, sofern das Hauptziel nicht eben darin besteht, zu hohe Wüchsigkeit der Böden durch die Sekundärkulturen zu bremsen.

Traditionelle Zwischenkulturen an Trockenstandorten in Südeuropa

Gibt es überhaupt Sekundärkulturen, die sich wirklich ökologisch und ökonomisch lohnen? In Südeuropa werden traditionell Oliven und Reben an gleichen Standorten angebaut. Sie haben in etwa die gleichen Anforderungen an den Boden, müssen nicht bewässert werden, erfordern vergleichsweise wenig Pflege und keine neuen Maschineninvestitionen, die Ernte fällt nicht in die Zeit der Weinlese oder in andere arbeitsintensive Perioden, das Produkt kann auf dem Hof verarbeitet werden und ist in Form von Öl lange lagerfähig, das Endprodukt kann sich durch seine besondere Qualität auszeichnen und an die gleichen Kunden wie der Wein vermarktet werden. Womit auch schon die wichtigsten Kriterien für die Anlage von Sekundärkulturen im Weinberg zusammengefasst wären.

Oliven, Orangen, Wein und Favinobohnen sind eine gelungene Kombination bei Massimo Maggio auf Sizilien.

Gibt es andere Kulturen, die sich ähnlich eignen? Auf Sizilien stehen bei Maggio Vini hunderte Orangenbäume in und um die Weinberge. Bei Kilopreisen von 20 Eurocents lassen sich freilich kaum die Erntehelfer bezahlen, es sei denn man verfeinert die Orange zu einer gewürzten, halbbitteren sizilianischen Delikatesse und verarbeitet die Kerne zu Orangenöl. Bei Maggio Vini werden zudem die weitflächig zwischen den Reben angepflanzten Aromakräuter geerntet und künftig mit Mittelmeersalz zu exzellenten Kräutersalzen verarbeitet. Trotzdem braucht es viel Idealismus und Geschäftssinn, um mit der Verarbeitung derartigen Sekundärkulturen erfolgreich zu werden.

Außerordentlich interessant ist das Züchten von Trüffeln, wie es z.B. in Chateau Duvivier in diesem Frühjahr erneut versucht wurde. Hierbei werden fünf bis acht Meter breite Gehölzstreifen zwischen verschiedenen Rebparzellen angelegt und die Wurzeln der Jungbäume (hauptsächlich Steineichen und Haselnuss) mit Trüffelpilzen inokuliert. Nach drei bis vier Jahren, während denen es zunächst noch gelegentliche Bewässerung braucht, können die ersten Trüffel mithilfe von Trüffelhunden oder Trüffelschweinen geerntet werden. Bezüglich Biodiversität sind solche Gehölzstreifen eine wunderbare Aufbesserung des Ökosystems Weinberg, und Trüffel erfüllen alle Anforderungen an eine Sekundärkultur mit hohem wirtschaftlichen Nutzen.

Früchte, die sich zu verarbeiten lohnen

Erste Versuche zeigen, dass auch in nördlicheren Weinbaugebieten Trüffel angebaut werden können. Weitere interessante Sekundärkulturen, die die obigen, für den Olivenanbau genannten Kriterien auch in nördlicheren Regionen erfüllen, sind Apfelbäume, Quitten, Pflaumen, Aronia, Sondorn und Johanisbeeren. Deren Früchte können unter Nutzung der vorhandenen Kellerkapazitäten zu Cidre, Aroniawein, Sandornsaft, Cassis oder Fruchlikör verarbeitet und gegenüber den gleichen Kunden vermarktet werden.

Lang bevor die Reben überhaupt austreiben, kann die Erde zwischen den Reben schon tonnenweise Kohlenstoff aus der Atmosphäre entziehen, die Bodenlebewesen ernähren und Getreide produzieren. Nicht nur mit dem bloßen Auge lassen sich hier auf Mythopia die Grenzen zu den Nachbarn ausmachen, man kann sie auch riechen und hören. 

Hühner im Weinberg

Eine sehr spannende Sekundärkultur, die wir seit einigen Wochen am Delinat-Institut austesten, ist die Haltung von freilaufenden Hühnern mit mobilen Ställen. Die Hühner werden in den fahrbaren Ställen aller drei bis vier Wochen von einer Parzelle zu nächsten gefahren. Solar gesteuert geht morgens die Stalltür automatisch auf und schließt sich in der Abenddämmerung, so dass die Hühner tagsüber die üppige Begrünung zwischen den Reben bewirtschaften. So werden nicht nur die Arbeitszeit und der Treibstoff für die Bodenbearbeitung eingespart, sondern zugleich Eier von natürlich ernährten Hühner gewonnen und für gleichmässige Düngegaben gesorgt. Von den derzeit 35 Hühnern erhalten wir täglich 30 Eier, die sie in der Regel im Stall legen. Geschützt vor Füchsen, Hunden und Dachsen werden die Hühner durch einen unter Strom gesetzten Netzzaun. Mit einem durchschnittlichen Legehennenstal von 15.000 Hennen ist das wirtschaftlich natürlich nicht zu vergleichen, aber die vielfältigen Sekundärnutzen wie Begrünungsunterhalt, Düngungung, Erhöhung der mikrobiellen Vielfalt im Weinberg, Humusaufbau und nicht zuletzt die unschätzbaren Lehrstunden für nachhaltigen Umgang mit Tieren und Ressourcen lässt die Rechnung wahrscheinlich trotzdem aufgehen. Wir können in Mythopia, wo sich die Weinberge des Delinat-Instituts befinden, pro Hektar etwa 150 Hühner so halten, dass sie beständig im Grünen leben und sich ernähren. Pro Monat und Hektar sind das immerhin Einnahmen von rund 3000 CHF, mehr als manche Winzer mit ihren Trauben verdienen. Wir werden Ende des Jahres über unsere weiteren Erfahrungen mit der Hühnerhaltung im Weinberg berichten und ebenso über die Zwergschafe, die wir ebenfalls seit einigen Monaten zwischen den Reben weiden lassen.

Hühner liefern nicht nur Eier, sondern ersparen die Motorsense und den Kauf von Düngern.

Der Weinberg ist tatsächlich zu schade, um nur Wein zu produzieren. Damit aber Mischkulturen im Weinberg nicht nur romantisches Ideal bleiben, braucht es innovative Lösungen, geschärften Geschäftssinn, neue, speziell für Mischkulturen ausgelegte Maschinen und nicht zuletzt die unbezahlbare Freude an der Arbeit mit der Natur im Weinberg.

Ökologische Intensivierung durch Vielfalt

Die Arbeit mit Tieren und Pflanzen ist die wohl wertvollste Tätigkeit für das innere Gleichgewicht des Menschen. Nicht die Stallhaltung natürlich und nicht die geraden Linien der Monokultur. Aber das Schaffen von agronomisch nutzbaren Lebensräumen, in denen sich die Tiere und Pflanzen ergänzen, Nährstoffkreisläufe schließen, die Tiere sich wohlfühlen und entfalten, die Pflanzen in Vielfalt heranwachsen und der Mensch nur sanft steuernd und schützend eingreift. Die Tiere sind halb wild und die Menschen auch und so die Pflanzen. Nichts ist Abfall, sondern nur Teil einer sich schließenden Kette von einander auf- und abbauenden Ereignissen. Auf einem Hektar Weinberg können sich 150 Hühner frei bewegen und ernähren, 15 Tonnen Äpfel eingebracht werden, fünf Bienenstöcke Honig produzieren, jährlich über 3 Tonnen Kohlenstoff gespeichert werden, unzählige Blumen blühen, jeden Tag zwischen April und Ende Oktober Früchte und Gemüse geerntet werden, Schmetterlinge und Grashüpfer Gäste der Augen sein, die Agrochemie Pleite gehen lassen. Zwischen den Tieren, die nie geschlachtet werden, seiner täglichen Arbeit nachgehen. Sich um die Tiere kümmern, ohne sie zu berühren, ein stummes Verständnis und Respekt voreinander aufbauen, sich gegenseitig beobachten und einschätzen und sich nicht zu verletzen. Darin ankert tief empfundene Verbundenheit mit dem Dasein.

Zwergschafe mähen nicht nur den Rasen, sondern kümmern sich auch rührend um das Entblättern der Traubenzone. Für Vegetarier hingegen sind Schafe keine Einnahmequelle.

Die Futtergabe, der Schutz, die Hygiene, der Auslauf müssen ebenso wie die Bewässerung und Bodenpflege für die Pflanzen beständig im Bewusstsein gehalten werden, keine einzige Vernachlässigung der Obhutspflicht ist entschuldbar. Ein ungeschriebener Vertrag mit den Tieren und den Pflanzen existiert, um ihre Vitalität und Ausdruckskraft des Daseins zu erhalten. Das Leben der Tiere, für deren Futter man zwischen den Reben sorgt, anstatt den Boden mit Giften nackt zu spritzen, schenkt ein Bewusstsein für die natürlichen Zusammenhänge.

  • Hanna Kleine-Weischede
    09.12.2013 09:52

    Liebes Team vom Ithaka-Institut! Toll, Hühner im Weinberg. Wir hatten auch schon daran gedacht, weil wir gerne die Hühner so frei wie möglich halten wollen. Aber da an unser "Miniweingut" direkt ein anderes angrenzt, haben wir bisher davon abgesehen, da dessen Besitzer fürchtet, dass die Hühner die Trauben anpicken. Welche Erfahrungen habt Ihr gemacht?? Wann kommt der Folgeartikel? Ein einfacher Elektrozaun hält wirklich Fuchs & co ab? Davon haben wir nämlich einen Menge hier :-) (die graben nicht drunterher?)
    Ich hoffe, bald mehr von Euch lesen zu können (und nochmehr, einmal in die Schweiz zu fahren!).
    Bis bald also und liebe Grüsse aus dem Sauternais
    Hanna Kleine-Weischede
    ass. Domaine de la Chapelle, Preignac, Frankreich

    • hps
      17.12.2013 09:22

      Salut Hanna, der nächste Artikel zur Tierhaltung im Weinberg wird in der Vorweihnachtswoche erscheinen. Dort geht es auch um die Gefahr, das Hühner Trauben picken und was die Füchse dazu sagen.

  • Fronsac
    26.04.2015 20:40

    gegen Füchse hilft kein Elektrozaun, sowieso brauchen die Hühner einen Stall, der muß fuchssicher verschlossen sein.
    cordialement
    Jörg Brehme

  • Weinhandel Schickert
    03.05.2015 14:19

    Diese Anbauweise entspricht der Anbau-Kultur unserer Großeltern. Sie pflanzten nicht nur GEmüse und Beerensträucher unter Obstbäumen sondern ließen auch die Tiere "gemischt" herumlaufen. Da durften die Hühner zwischen den Kühen und Kälbern im Auslauf herumlaufen.

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