Wie schmeckt das Terroir?
von Michael Zurru
Wenn wir eine gute Flasche Wein öffnen, den Wein atmen lassen, um ihn dann - perfekt temperiert - in passenden Gläsern zu genießen, so ist das nicht nur Ausdruck von Stil und Kultur, sondern wir holen uns auch ein Stück der Gegend nach Hause, die diesem Wein ihren Ausdruck verlieh.
Die naturgegebenen Faktoren einer bestimmten Region, also die Böden, die Lage und die Klimabedingungen, prägen den Charakter und den Wert des Weines ebenso wie der Winzer und die Rebsorte. Und gerade die ersten drei Faktoren sind es, die die französische Bezeichnung Terroir in einem Wort zusammenfasst. Die Weinbergsböden mit ihrem jeweiligen Ausgangsgestein sind dabei die am wenigsten veränderlichen Faktoren.
Seit vielen Jahren versuchen Önologen und Geowissenschaftler, den Einfluss des Bodens auf den Charakter der Weine klar zu bestimmen. Doch immer wieder treffen wir als Weingenießer auf Widersprüche in der Beurteilung, wie sich diese Unterschiede im Geschmack ausdrücken. Häufig liest man die Meinung, dass „der Einfluss des Bodens" nur „minimal" sei, denn „die Geschmacksprofile unserer Weine seien weitaus vielfältiger und farbiger als die geologischen Karten der Anbaugebiete". Die beiden Aussagen weisen darauf hin, dass das Mikroklima und der Wasserhaushalt als Standortfaktoren die Weinqualität stärker prägen als die Böden.
Eine rein auf die Bodenart bezogene Definition von Terroir wäre mit einem ganzheitlichen Weinverständnis daher auch unvereinbar. Der Elsässer Mineraloge und Weinkenner Claude Sittler weist in einer Publikation (3) darauf hin, dass „Terroir" gar nicht mit nur einem Wort übersetzbar ist, was ja auch der Grund ist, weshalb sich das französische Wort zum internationalen Begriff entwickelt hat. Terroir ist Klima, Boden, vorherrschende Biodiversität, die Geschichte des Weinbergs und die Tradition des Winzers. „Terroir" beschreibt das höchst komplex gewobene Netz, das sich zwischen all diesen Faktoren spannt.
Die Verbindung zwischen Rebe und Boden spielt allerdings trotzdem eine ganz entscheidende Rolle für die Mineralität und Aromen des Weines. Um dies genauer zu definieren, hat Claude Sittler eine Methode eingeführt, die die Minerale im Wein zunächst über den Geschmack (organoleptisch) identifiziert. Aus den so ermittelten Charaktereigenschaften eines Weines lassen sich dann anhand eines von Sittler eingeführten Dreiecksdiagramms Rückschlüsse auf verschiedene Standortfaktoren der Reben ziehen.
Den drei Ecken des Dreiecks Sand, Ton und Kalk weist er in dem Diagramm die Geschmacksmerkmale Lebhaftigkeit (sauer), Mächtigkeit (adstringierend) und Reichhaltigkeit (weichvollmundig) zu. Je weiter man sich von den drei Ecken zum Zentrum des Dreiecks bewegt, desto ausgewogener sind die drei Geschmacksparameter. Man gelangt also zu einem harmonischen Gleichgewicht, das mit den entsprechenden Terroireigenschaften übereinstimmt. Je nach dem, wie sich die Bodensubstrate einer Lage zusammensetzen, unterscheiden sich auch Porosität, Wasserhaushalt und Bodenklima, insbesondere in Lagen mit gleicher Hangneigung und Sonnenexposition.
Unser Geschmackssinn verrät uns folglich nicht nur die Rebsorten-typischen Aromen, sondern er ermöglicht uns auch Aussagen darüber, ob z.B. ein Riesling eher spritzig-lebendig (Quarzitschiefer) oder mehr erdig-kräftig (kalkhaltige Tonmergel) ist.
Je nach geologischem Untergrund haben Weinbergsböden mal ein eher mageres, mal ein eher üppiges Vorkommen an Mineralen. Das häufig sehr tiefe Wurzelwerk der Reben dringt während des Wachstums in mehrere Meter tiefe Schichten vor. Alte Rebstöcke in vorwiegend trockenen Gebieten weisen in Steillagen mitunter eine bis zu 15 Meter tiefe Wurzelmatrix auf. Zudem binden Wildkräuter und Gräser an der Oberfläche weitere Nährstoffe, die dann über Niederschläge in tiefere Bereiche gelangen können. Je feinkörniger die Bodensubstrate im Bereich der Rebwurzeln sind, desto eher gehen die dort vorkommenden Minerale in Lösung und werden somit von den Reben aufgenommen. Dabei sind die chemische Zusammensetzung der verschiedenen Minerale und Substrate (z.B. Löss) in unseren gemäßigten Breiten von erheblicher Bedeutung für die Auswahl der jeweiligen Rebsorte. Denn diese unterscheiden sich teilweise erheblich in ihren Standortbedürfnissen.
Allgemein steigt die Qualität der Weine mit dem Alter der Reben, und genau diesem Faktor müssen wir eine größere Bedeutung beimessen. Die Rebe holt sich das, was sie zum Leben braucht, aus dem Boden. Dieser Prozess benötigt mehrere Jahre, bis die ersten Weine größerer Güte daraus hervorgehen. Dem jeweiligen Boden kommt dabei die Funktion eines bedarfsgerechten Nährstoffspeichers zu. Je weniger wir folglich mit der chemischen Keule und mit tiefgreifenden physikalischen Maßnahmen die natürlichen Bodenbedingungen verändern, desto eher werden wir mit charakterlich ausgeprägten und sortentypischen Weinen höchster Qualität belohnt. Denn es gibt sie bewiesenermaßen: diese von Sittler beschriebene „Kapillarität vom Boden ins Glas"[i]. Wein ist schließlich nicht einfach nur Rebensaft, er ist auch Essenz der Erde!
[i] Sittler, C., 1995: Wein auf Stein oder vom Stein zum Wein - Beziehungen von Rebsorte zu Gesteinslage und Wein-Eigenart im Gebiet Barr-Andlau (Elsass, Frankreich).- In: Jber. Mitt. Oberrhein. Geol. Ver., N.F. 77, S. 223 - 240.
Otto Lehnert
15.02.2009 08:29
Danke für den überschaubaren Bericht!
Die Wurzeln der alten Rebstöcke reichen ja mehrere Meter tief in die Erde.
Da in früheren Jahren, so um 1960 - 1980, als "Bioweine" noch nicht etabliert waren, mit wahnsinnigen Methoden und Mengen von Spritzmittel die Weinberge geschändet wurden, frage ich micht, ob diese Mittel bzw. deren Rückstände jetzt das Wurzel-Aufnahme-Zentrum erreichen und diese über die Weinstöcke in die Trauben gelangen?
Oder, wie lange dauert der "Schadstoff-Abbau" im Weinberg?
Mit freundlichen Grüßen,
Otto Lehnert
hps
15.02.2009 09:20
Man kann davon ausgehen, dass die meisten Pestizide mittlerweile abgebaut bzw. ins Grundwasser!! ausgewaschen sind. Allerdings wurden auch im Weinbau Organochlorpestizide (OCP) und Wurzelherbizide eingesetzt, deren Spuren sich, wie Sie recht vermuten, noch immer in den entsprechenden Weinbergen nachweisen lassen. Anders als z.B. bei Kürbisgewächsen, wo die OCP in die Früchte gelangen, reichern sich diese Giftstoffe nicht in den Trauben an (Delinat führt übrigens sehr scharfe Pestizidkontrollen ihrer Bioweine durch, um sicher zu gehen, dass sich weder Pestizide noch deren Stoffwechselprodukte in den Weinen befinden). Ein nachträglicher Einfluss der Pestizide auf Wachstum und Gesundheit der Rebe sowie auf die Assimilation von Bodenmineralien ist äußerst wahrscheinlich, doch gibt es darüber noch keine fundierten Untersuchungen. In unserem Forschungsprojekt Biokohle werden wir in den nächsten drei Jahren eine Vielzahl von Bodenproben verschiedener Weinberge auf Pestizidrückstände analysieren und untersuchen, inwiefern diese durch den Einsatz von Biokohle unschädlich gemacht werden können. Hans-Peter Schmidt