Kunst der Komplexität - Lob des Nichtverstehens

von Hans-Peter Schmidt

Seit vor 8000 Jahren am Fuße des Kaukasus der erste Tonkrug angestochen wurde, wird der Wein von den größten Poeten besungen und wenn schon nicht besungen, so war er zumindest Pate fast jeder großen und auch kleinen Dichtung. Wein gehört zu den Urelementen der Morgen- wie Abendländischen Kultur und ein jeder hat, auch wenn er sich des Trinkens enthält, ein emotionales Verhältnis zu Wein. Für Weinbau allerdings und die Art wie im Weinberg gearbeitet wird, interessieren sich nur die wenigsten.

Wein, heißt es in der katholischen Kirche, ist das Blut Gottes. Doch befragt man in einem Walliser Bergdorf oder im provenzalischen Contignac den Priester, wie es sein kann, dass im Blut Gottes tausende Pestizidmoleküle schwimmen oder was er davon hält, dass zur Herstellung der Trauben für den Messwein chemische Todesschwadronen unzählige Schmetterlinge, Bienen, Mikroorganismen, Amphibien, ja sogar Gottesanbeter vernichten und den Winzern Parkinson, Krebs und Gedächtnisschwund bringen, zuckt der Priester nur betreten mit den Augenbrauen.

Gelenkt von unserer Alltagserfahrung als Konsumenten, interessieren wir uns mehr für das Produkt als für dessen Produktion, mehr für das Fleisch als für den Ochsen, mehr für den Wein als für den Weinberg. Es entspricht der menschlichen Art, alles Komplexe zu vereinfachen, um es besser zu verstehen und es besser beherrschen zu können. Das ist in der Psychoanalyse nichts anderes als in der Landwirtschaft, nur dass es im Falle der Psychoanalyse weniger Schaden anrichtet. In der Landwirtschaft, wie man sie seit 70, 80 Jahren in Europa und Amerika betreibt, wird das Wachstum eines Kornhalms, Apfelbaumes oder Weinstocks als Algebra von Sonne, Wasser, CO2 und N+P+K - also Stickstoff, Phosphor, Kalium - aufgefasst und alles andere als unnütz wegrationalisiert. Denn nur durch solche Vereinfachung vermeinen wir, das Ergebnis wirklich zu beherrschen. Was wir nicht begreifen, töten wir ab, und was wir begreifen, nutzen wir maßlos aus bis der Maiskolben riesig, das Schwein fett und die Rebstöcke sich unter den Trauben biegen.

So wie Maschinen nicht anders können, als Input mit berechenbarer Logik in Output zu verwandeln, so wird auch Pflanzen und Vieh der Mechanismus aufgezwungen, der sie zu Produzenten unseres fatalen Nutzens macht. Doch in der Landwirtschaft ist es nichts anderes als in der Finanzwelt, wo jeder Profit nur ein vom Schicksal gewährter Kredit ist, den der nächste Crash, wann immer er kommt, erbarmungslos zurückfordert.

Die riesigen Erntemassen pro Hektar, die in endlosen Monokulturen eingefahren werden, laugen die Böden aus, lassen Insekten, Amphibien, Vögel, Blumen, Kräuter aussterben, erzeugen giftige Klimagase und machen Lebensmittel zu Magenkrebsfutter. Wir, unsere Kinder, Kindeskinder zahlen es morgen, genau wie der Hedge-Fond-Manager heute, auf Heller und Pfennig zurück.

Es steht mir fern zu moralisieren oder leichtfertig mit Alpträumen zu jonglieren. Ich will nur illustrieren, was mit jedem Glas Wein und jeder Krume Brot nicht nur symbolisch auf dem Spiel steht. Aussichtslos freilich ist die Lage nur, wenn wir weiter auf Halbwahrheiten pochen, nur weil wir diese besser zu beherrschen meinen, und uns damit abfinden, die Welt zu zerstören, weil einige Autoritäten meinen, die Welt nur so ernähren zu können. Mit der Biodiversifizierung des landwirtschaftlichen Raumes begeben wir uns in agronomische Situationen, in denen wir wissentlich komplexifizieren, anstatt zu vereinfachen, und in denen wir durch wohl bedachte Diversifizierung der Kulturen und Arten wieder ein System ins ökologische Gleichgewicht bringen, dessen hoch komplexe Mechanismen, Vernetzungen und Interaktionen wir nicht im Detail durchschauen und nicht beherrschen können.

Betrachtet man einen mittleren Weinberg von etwa 30 ha als ein Ökosystem, so funktioniert dieses wie ein großer, vielzelliger Organismus, dessen vernetzten Zellen eben nicht nur als Konkurrenten wirken, sondern Symbiosen, Kooperationen, Ergänzungen bilden. Als Wissenschaftler, ebenso wie als Bauer und überhaupt als Mensch unterliegen wir jedoch der Tendenz, um nicht zu sagen, dem Trieb, diese natürlichen Symbiosen und Kooperationen der Arten gleich wieder zu funktionalisieren und den Nutzen des einen für das andere aus dem Gesamtkontext herauszulösen.

kaefer2So hat man zum Beispiel schon vor langem erkannt, dass Marienkäfer Blattläuse vertilgen, und um vollständig der Blattläuse Herr zu werden, hat man also Marienkäfer gezüchtet, was wiederum dazu führte, dass nicht mehr genug Nahrung für die Marienkäfer vorhanden war, so dass ein Arten interner Selektionsdruck ausgelöst wurde und neue degenerierte Marienkäferformen entstanden, die nicht mehr nur Blattläuse sondern auch vieles andere fressen und sich schließlich ihrerseits, wie es mit den asiatischen Marienkäfern momentan der Fall ist, zu einer Schädlingsplage auswuchsen.

Landwirtschaftliche Produktion bedeutet immer eine Einschränkung der natürlichen Vielfalt, doch ist das natürliche System flexibel genug, sich daran anzupassen, solang der Landwirt intelligent genug ist, die Vielfalt der Sekundärkulturen und Ausgleichsflächen ebenso zu fördern wie er die Primärkulturen pflegt. Jedes natürliche System funktioniert nach dem alten griechischen, chinesischen, ägyptischen Prinzip: Das rechte Maß liegt in der Mitte zwischen dem Zuviel und Zuwenig. Ein System, sei es ein Körper oder ein Weinberg, ist nur dann stabil, wo die Mechanismen funktionieren, die das rechte Maß halten. Blattläuse haben im Ökosystem eine ebenso wichtige Funktion wie Marienkäfer, Traubenwickler eine ebensolche wie Bienen, Schmetterlinge wie Mehltaupilze. Es kommt nur darauf an, dass alles im heuschrecke-im-blattrechten Maß bleibt und sich nichts zur Epidemie auswächst, die dann tatsächlich nur mit Chemie, das heißt mit systemexternen Mitteln bekämpft werden kann. Krankheit ist für den Körper wie für den Weinberg oder den Bienenstock, wenn etwas aus dem Gleichgewicht gerät.

Leider ist jedoch auch der biologische Landbau zurzeit noch viel zu weit davon entfernt, landwirtschaftliche Kultureinheiten als höchst vielfältiges Ökosystem zu begreifen und zu pflegen. Wenn in biologisch Weinbergen keine Bienen schwirren, keine Schmetterlinge flattern, keine Vögel nisten, keine Heuschrecken springen, und nur höchst selten oder allzu viele Marienkäfer krabbeln und Nattern von zu tief eingestellten Mulchern zerrissen werden, dann ist BIO nicht mehr als ein zertifiziertes Alibi.

Um die Gesundung der Natur in den Rebbergen einzuleiten und ihre CO2-Bilanz auszugleichen, ist ein Umdenken in einigen zentralen Prinzipien des Weinbaus und nichts weniger als eine zweite Biorevolution von Nöten. In vollem Bewusstsein, sich an dieser entscheidenden Wegkreuzung nicht gegen die eigenen Ideale entscheiden zu dürfen, müssen Biowinzer und Biobauern mit Unterstützung von Wissenschaft und Staat den Weg für eine ökologisch nachhaltige, klimaneutrale Rebkultur mit hoher Biodiversität ebnen.

[Photos von Patrick Rey, Arbaz]

  • Peter Straub
    26.01.2009 19:20

    Nur denjenigen ist der Aufwand für einen Ertrag zu gross, die ihre Arbeit geringschätzen oder sie gar hassen. Der wesentlichste Ertrag allen Arbeitens ist die Arbeit selbst. Nur so wird Qualität für alle statt nur für Ausbeuter erschwinglich.

  • Wolfgang Wachter
    03.05.2009 19:17

    Auch die mit heutigen Mitteln behandelte Trauben zeigen bei der Gärung eine hörbare Seele. Während des Gärprozesses erzählt der Most seine Geschichte. Nur, wer dies bewußt miterlebt hat, kann die Seele des Weines ergründen. Hat der Most vergoren erkennt man mit einer inneren Ausgeglichenheit und in einem Kellermilleu bei Kerzenlicht mit jedem Schluck das Innenleben des Weines.

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