Nepal: Direktmarketing für Bergbauern
von Hans-Peter Schmidt &Bishnu Hari Pandit
Eine der Faustregeln der Industriegesellschaft ist so alt wie unglaublich: Im Schnitt bekommt der Bauer nur 10% dessen, was ein landwirtschaftliches Produkt im Laden kostet. Ob es die 16 Cent pro Kilo spanischer Orangen, die 21 Cent fürs Kilo Weizen, die 30 Cent für die Trauben einer Flasche Wein, die 70 Cent fürs Pfund Kaffee oder die 1,20 € pro Kilo Kakaobohnen sind, nennenswerter Gewinn wird mit landwirtschaftlichen Produkten erst generiert, wenn sie den Hof verlassen haben.
Während die Unternehmen der industriellen Landwirtschaft durch Optimierung der Arbeitsprozesse, Mechanisierung und schiere Menge gleichwohl profitabel (wenn auch nicht ökologisch) operieren können, ist es für Kleinbauern vor allem im globalen Süden quasi unmöglich, für den Welt- oder Supermarkt zu produzieren und mit Würde davon zu leben. Umso wichtiger ist jede Initiative, die die Anzahl der Zwischenhändler minimiert. Um dies zu erreichen, muss der Erzeuger von landwirtschaftlichen Produkten in möglichst direkten Kontakt zu den Konsumenten gelangen.
Dank der Anbindung ans mobile Internet könnte heute jeder Bauer und jede Erzeugergemeinschaft selbst im kleinsten Dorf des globalen Südens seine Produkte direkt dem Konsumenten in der nächsten Stadt, der Hauptstadt und sogar im Ausland anbieten. Wenn sich lokale Vertriebsnetze verschiedener Dörfer und Regionen verknüpfen, könnten durch Sammeltransporte die Logistikkosten überschaubar gehalten werden. Dafür braucht es allerdings die Unterstützung von innovativen Medien- und Marketingfachleuten, die in der Regel nicht in Kontakt mit der Welt der Bergbauern stehen und auch nicht die gleiche Sprache sprechen. Zudem sind die Bauern sind skeptisch, wenn sie ihre Produkte für neue Vermarktungswege aus der Hand geben sollen, ohne gleich schon dafür bezahlt zu werden. Genau auf dieser Situation beruht das System der bäuerlichen Ausbeutung und ist auch der Grund, warum es so schwer zu zerschlagen ist.
Nachdem das Ithaka Institut in Nepal während der letzten sechs Jahre zunächst die Anlage von Waldgärten und die Kahlbergbewaldung förderte, Baumschulen anlegte und die konservierende Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte wie Trockenfrüchte, essentielle Öle, Gewürze und Kräutertees initiierte, hatten wir immer auch die Sorge im Kopf, wie es gelingen wird, aus den vielfältigen Waldgartenprodukten ein Einkommen für die Bauern zu generieren. Auf dem Papier klingt es einfach, wenn man für jedes Produkt die Weltmarkpreise abruft und dann auf fünf, zehn oder hundert Hektar hochrechnet. Auch lässt sich, wenn es nicht klappt, natürlich leicht die Schuld auf die Ungeschicklichkeit anderer schieben.
Es ist klar, dass man die Waldgärtner in den Bergen nicht mit den Problemen allein lassen kann. Wir haben Marketingworkshops organisiert, um der Thematik in einem ersten Schritt zu begegnen. Die Ergebnisse waren allerdings unbefriedigend, weil die Vorträge und Diskussionen zu abstrakt und theoretisch gewesen sind und die erforderlichen praktischen Bezüge nicht hergestellt werden konnten. Es hilft nichts, wenn Experten erklären, wie etwas gemacht werden soll, wenn sie es nicht selbst vorführen können.
Beim Pflanzen und Pflegen der Waldgärten waren die Bauern in unseren Partnerdörfern im Bergland von Nepal in ihrem Element. Auch die Bedienung der neuen Geräte zum Trocknen, Mahlen und Destillieren oder das Anlegen von Baumschulen ließ sich mit Workshops und Betreuung unsererseits erfolgreich gestalten. Aber das nun erforderlich werdende Gestalten von Verpackungen, Labels und Beschriftungen, das Programmieren der Webseiten, das zuverlässige Abarbeiten von Bestellungen und der Aufbau der Transportwege klingt schon in der reinen Vorstellung so kompliziert, dass Aufgeben als einfachste Option erscheint. Aber wir geben nicht auf, unsere Partner in Nepal geben nicht auf, und die Bauern werden ihren Vertrauensvorschuss nicht bereuen. Gemeinsam ist es uns gelungen, über 100.000 Bäume für Waldgärten zu pflanzen, nun sollte auch die Vermarktung der Produkte gelingen.
Wir beginnen Schritt für Schritt. Zunächst mit vier Produkten: Essentielles Zimtöl, getrocknete Bananenchips, organische Pflanzenkohledünger und Himalaya Kräutertee. Wir engagieren einen lokalen Designer für die Gestaltung und Beschriftung der Verpackungen, programmieren eine Webseite und organisieren den Transport in die drei Städte Bandipur, Pokhara und Kathmandu. Lokale Partner werden dort die Distribution übernehmen. Es wird nicht zu umgehen sein, dass es ein Zwischenhändler Transport und Distribution übernimmt. Für die Qualitätskontrolle braucht es eine Erzeugergemeinschaft und klare Kriterien. Es wird sich nicht ohne einen Mastermind realsieren lassen, der alle einzelnen, sich ineinander verschränkende Schritte überschaut. Und es wird, zumindest in den ersten Jahren nicht anders gehen, als dass die Bauern am Tag der Lieferung ihrer Produkte bereits eine erste Bezahlung erhalten. Es wird genügen, wenn es 50% des Erzeugerpreises ist und die restliche Zahlung nach der erfolgten Wertschöpfung durch Verarbeitung und Marketing erfolgt, aber es funktioniert nicht, von den Bauern zu verlangen, nach der Ernte noch längerfristig in Vorleistung zu gehen.
Es ist ein Wagnis und auf die Mithilfe von Menschen angewiesen, die sich durch die schiere Herausforderung und den zu erwartenden Erfolg motivieren. Auch lässt es sich nicht ohne Projekt- und anfängliche Spendengelder realisieren, da die Bauern nicht in die Zukunft, sondern nur in die Gegenwart investieren können. Aber wenn das Internet im Bergland Nepals nur dazu taugen sollte, Bedürfnisse zu wecken, die sich nicht erfüllen lassen, anstatt die Bedürfnisse nach gesunder Nahrung mit den Bedürfnissen nach einem fairen Lohn für die landwirtschaftliche Arbeit zu vereinen, wäre eine weitere Chance für mehr Gerechtigkeit vertan.
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