Wenn Pflanzen um Hilfe rufen
von Michael Rostás & Tim Caspar Böhme
Pflanzen sind in der Lage, sich gegen Schädlinge zu wehren. Manchmal setzen sie Gifte ein, um den Angreifer in Schach zu halten. Noch raffinierter sind Strategien, bei denen die Pflanze fremde Hilfe ruft und gezielt Insekten anlockt. Der Biologe Michael Rostás von der Universität Würzburg untersucht die Wechselbeziehungen zwischen Pflanzen und Insekten - und welche Auswirkungen äußere Faktoren wie der Mensch auf diese Systeme haben können.
Herr Rostás, in Ihrer Forschung beschäftigen Sie sich unter anderem mit der Frage, wie sich Pflanzen vor Schädlingen schützen. Was kann eine Pflanze zum Beispiel tun, um sich gegen Raupenbefall zu wehren?
Michael Rostás: Pflanzen haben prinzipiell mehrere Strategien, um ihre Haut zu retten. Entweder tolerieren sie ganz einfach den Befall, können aber Nährstoffe mobilisieren, beispielsweise aus den Wurzeln, die sie dann an die Orte schicken, an denen neues Wachstum stattfindet. Die andere Strategie ist: Sie verteidigt sich. Es gibt direkte und indirekte Verteidigungsstrategien. So besitzen manche Pflanzen Substanzen, die toxisch sind, im Tabak ist es das Nervengift Nikotin, bei den Kreuzblütern gibt es die Glucosinolate bzw. Senföl-Glykoside, also das, was bei Meerrettich oder Radieschen die Schärfe ausmacht. Dies sind fraßabwehrende Substanzen. Das wäre die direkte Verteidigung, bei der die Pflanze den Angreifer direkt abwehrt und davon abhält, ihn zu fressen. Die Substanzen können entweder schon vorhanden sein oder erst gebildet werden, wenn der Befall da ist. Dies wäre eine induzierte Verteidigung wie bei unserem Immunsystem.
Das heißt, die Pflanze reagiert bei einer induzierten Verteidigung auf den Angreifer wie der Mensch bei der Bildung von Antikörpern?
Ja, es ist aber nicht so spezifisch wie unser Immunsystem, wo ganz spezifisch gegen einen Erreger reagiert wird, sondern es ist etwas allgemeiner. Aber die Pflanze erkennt, wenn die Raupe an ihr frisst. Die Erkennung erfolgt dabei zunächst über das spezifische räumlich-zeitliche Muster des Fraßes. Wenn ich die Pflanze rein mechanisch mit einem Skalpell verwunde, dann merkt sie, dass es eine mechanische Verwundung ist, und kann diese vom Raupenfraß unterscheiden. Die Raupe hingegen würde der Pflanze in kleinen Bissen über einen langen Zeitraum hinweg kleine Verwundungen zufügen.
Welche Mechanismen sorgen dafür, dass die Pflanze so genau unterscheidet?
Grob kann man sagen, dass bei blattfressenden Insekten wie Raupen der so genannte Jasmonsäure-Signalweg angeworfen wird. Am Anfang steht die Erkennung des räumlich-zeitlichen Musters. Hinzu kommt eine zweite chemische Komponente, denn im Regurgitat, also dem wieder Heraufgewürgten der Raupe, finden sich Substanzen, so genannte Fettsäureamide, die von der Pflanze als raupenspezifisch erkannt werden. Das wiederum verstärkt ihre Signale, und dabei spielt die Jasmonsäure als Pflanzenhormon eine wichtige Rolle. Diese Jasmonsäure wird dann gebildet und ist mitverantwortlich dafür, dass verschiedene verteidigungsrelevante Gene angeworfen werden. Deren Produkte koennen verdauungshemmende Proteinase-Inhibitoren sein oder auch anlockende Duftstoffe. Mit diesen Dufstoffen beschäftigen wir uns.
Die Delinat Ökologieforschung und Michael Rostás führen ab Anfang Mai eine Reihe von Versuchen im Weinberg durch, um zu zeigen, dass durch die Erhöhung der Biodiversität und der damit einhergehenden Erhöhung der Populationen von Schlupfwespen, Hummeln und Bienen die Ausbreitung des gefürchteten Traubenwicklers begrenzt werden kann. Weitere Informationen zu diesen Versuchen finden Sie in dem Ithaka-Artikel: Bienen als Pflanzenschützer (hps)
Sie haben zu Beginn von direkten Abwehrformen gesprochen. Ist die Duftstoffinduktion der Pflanze eine indirekte Verteidigungsstrategie?
Die Dufstoffinduktion ist eine induzierte indirekte Verteidigung. Sie ist induziert, da die Duftstoffe erst produziert werden, wenn die Raupe frisst, und indirekt, weil sie den Angreifer nicht direkt schädigt. Man braucht eine dritte Partei. Das wäre in diesem Fall die Schlupfwespe. Die Schlupfwespe erkennt das Signal, das die Pflanze aussendet, und wird angelockt. Wir haben meinetwegen ein Schlupfwespenweibchen, das auf der Suche ist nach einem geeigneten Wirt, den sie parasitieren kann, wo sie also ihr Ei reinlegen kann, und die Wespe hat jetzt das Problem, dass sie in diesem Meer von Pflanzen, von dem sie umgeben ist, die richtige Pflanze finden muss, auf der sich ihr Wirt findet. Die Pflanze hilft ihr dabei.
Nun ist es nicht nur so, dass die Pflanze durch den Raupenbefall Duftstoffe produziert, sondern die Raupe hinterlässt auch Spuren für die Wespe. Wie funktioniert das?
Genau. Wenn die Schlupfwespe die Pflanze gefunden hat, auf der sie höchstwahrscheinlich eine Raupe vorfindet, die sie parasitieren kann, landet sie nicht direkt neben der Raupe, sondern erst einmal auf der Pflanze, auf der sich die Raupe befindet. Dort muss sie weiter suchen. Sie nutzt dann noch einmal chemische Signale, um zu bestätigen, dass dort wirklich eine Raupe ist. Wenn sie auf solche Signale trifft - das können zum Beispiel Substanzen im Kot sein, den die Raupe hinterlassen hat -, wird sie anfangen, ihr Suchverhalten zu verstärken und sich vermehrt an dem Ort aufhalten, wo sie die Signale angetroffen hat. Wie wir zeigen konnten, hinterlässt die Raupe auch Fußspuren auf der Blattoberfläche.
Was genau passiert da? Wie Sie schreiben, finden sich diese Spuren auf der Wachsschicht des Blatts.
Alle Pflanzen haben als oberste wasserabweisende Schicht eine Wachsschicht, das ist die Epicuticula, und die dient in erster Linie als Barriere, um Austrocknung zu vermeiden. Die Wachsschicht ist apolar, also wasserabweisend, und hat zudem die Eigenschaft, dass sie die apolaren Substanzen, die die Raupe abgibt, gut adsorbiert. Die Raupe hat auch eine Epicuticula aus apolaren Substanzen, die denen der Pflanze gar nicht so unähnlich sind. Diese Kohlenwasserstoffe, die die Raupe umhüllen, haften an der Pflanzenoberfläche.
Und das hilft der Wespe, die Raupe zu finden?
Genau, diese Kohlenwasserstoffe kann die Wespe erkennen. Wir konnten zeigen, dass die Wespe auch zwei Tage, nachdem die Raupe auf der Blattoberfläche gelaufen ist, immer noch in der Lage ist, sie zu erkennen. Wenn sie auf diese Kohlenwasserstoffe trifft, ändert sie ihr Verhalten. Sie fängt an, mit ihren Antennen auf der Stelle, an der sie die Stoffe wahrnimmt, herumzutrommeln. Die Antennen sind die Geruchs- und Geschmacksorgane der Wespe, darin befinden sich Chemorezeptoren, mit denen sie sowohl Duftmoleküle als auch wenig flüchtige Geschmacksmoleküle wahrnehmen kann. Sie trommelt also mit ihren Antennen in einer höheren Frequenz und wird sich länger in dem Bereich aufhalten.
Bisher haben wir über normal funktionierende Pflanzen gesprochen. Sie beschäftigen sich aber auch mit der Frage, welchen Einfluss der Mensch auf diese Wechselbeziehungen hat.
Man kann diese Anlockung der Schlupfwespen durch die Pflanze salopp als „cry for help" bezeichnen. Die Pflanze ruft ihre Bodyguards zu Hilfe. Ökologisch gesehen handelt es sich um einen symbiotischen Mutualismus, also um eine Vorteilssituation für beide, Pflanze wie Schlupfwespe. Ich untersuche die Störanfälligkeit dieses Mutualismus. Ich möchte wissen, welche externen Faktoren sich wie auswirken. Von Interesse ist für uns dabei auch, welche Faktoren vom Menschen verursacht werden. Dazu gehören zum Beispiel Schwermetallbelastungen im Boden, die wir untersucht haben. Wir haben getestet, wie sich Kadmium- und Kupferbelastungen der Pflanze auf die Duftstoffemission und auf die Wespe auswirken.
Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?
Wir haben ein Phänomen gefunden, das in Fachkreisen als Priming bezeichnet wird und für den Weinbau interessant ist, weil dort auch Kupfer angewandt wird. Wenn die Pflanzenwurzel Kupfer aufnimmt, ist die Pflanze in einem geprimeten Zustand, d.h. sie reagiert hinsichtlich der Duftstoffe erst einmal nicht anders als die gesunde Pflanze. Wenn jedoch ein Herbivor an der Pflanze frisst, dann reagiert die Pflanze stärker mit Duffstoffemission. Es handelt sich um eine Art chemischen Mechanismus, bei dem das Kupfer dafür sorgt, dass Sauerstoffradikale gebildet werden. Und diese Sauerstoffradikale bewirken ein Ingangsetzen der zellulären Abwehr. Die ist aber erst einmal in einem Alertzustand: Phänotypisch sieht man noch nichts, erst wenn der Auslöser da ist, nämlich die Raupe, sieht man eine schnellere, eine stärkere Reaktion.
Sind diese Auswirkungen schädlich?
Insgesamt ist es für das System schädlich, denn die Raupen entwickeln sich auf solchen Pflanzen schlechter, und auch die Schlupfwespen in den Raupen entwickeln sich schlechter. Es ist relativ komplex. Wir finden eine verstärkte Emission von Duftstoffen, was aber nicht gleichbedeutend ist mit einer verstärkten Anlockung der Schlupfwespen. Dies ist insofern komplex, als man noch nicht richtig verstanden hat, welche Duftstoffe für die Schlupfwespen eigentlich die wichtigen sind. Es ist eine einfache Frage, die aber sehr schwer zu beantworten ist, weil sich das zum Teil nicht so gut voneinander trennen lässt. Wir wissen, dass einige Substanzen eine Rolle spielen, aber um herauszufinden, wie dies genau funktioniert, ist noch einiges an Forschung nötig.
Wird durch die Zugabe von Stoffen das Gleichgewicht zwischen Insekten und Pflanzen gestört?
Erfreulich ist für den biologischen Pflanzenschutz, dass dieser Mutualismus zwischen Pflanze und Schlupfwespe relativ stabil ist. Man kann die Pflanze ziemlich triezen, und trotzdem ist sie in der Lage, die Duftstoffe zu produzieren, selbst wenn es ihr schlecht geht. Wenn ich zum Beispiel Mais extremem Stickstoffmangel aussetze, ist die Pflanze immer noch in der Lage, die Duftstoffe zu produzieren, manchmal sogar stärker. Und auch die Schlupfwespen sind in der Lage, die Pflanzen zu orten. Alles in allem kann man sagen, dass diese indirekte induzierte Resistenz sehr stabil ist.
Es gibt einen weiteren interessanten Effekt, den wir bei einem Pflanzenstärkungsmittel gefunden haben, das vor einigen Jahren sehr gepusht wurde, dann aber erst einmal wieder vom Markt kam und jetzt in den USA vertrieben wird. Es handelt sich um ein Produkt das sich BION nennt, ein Analogon zu Salicylsäure, das gegen Pilze wirkt. Zu meiner Verblüffung konnten wir feststellen, dass die Behandlung der Pflanze mit BION bei Raupenbefall eine sehr viel stärkere Anlockung der Parasitoiden bewirkt als der Raupenfraß allein. Wenn wir uns die Duftstoffe anschauen, gibt es keinen sichtbaren Effekt. Dazu muss man wissen, dass unsere chromatografischen Methoden, so fein sie sind, immer noch nicht fein genug sind im Vergleich zur Antenne der Schlupfwespe. Es muss also Substanzen geben, die unterhalb der Nachweisschwelle sind, auf die die Wespe aber reagiert.
Heißt das, der Pflanzenschutz funktioniert am besten, wenn man ihn sich selbst überlässt?
Pflanzen sind sehr verteidigungsfähig, sonst wäre die Welt nicht grün. Jede Pflanze vereint meistens mehrere Strategien, um sich zu verteidigen. Mais, die meistangebaute Pflanze der Welt, hat mehrere Strategien. Die junge Pflanze ist noch sehr klein und ziemlich anfällig gegenüber Raupen. Sie verteidigt sich erst einmal direkt mit Hilfe von chemischen Substanzen, die toxisch wirken. Die hat die junge Pflanze in großen Mengen, und wenn sie jung ist, ist sie auch in der Lage, besonders viele Duftstoffe zu produzieren. Die Strategie ändert sich, wenn die Pflanze größer wird. Die chemische Verteidigung spielt eine geringere Rolle, und sie setzt mehr auf schnelles Wachstum und Toleranz. Pflanzen haben also unterschiedliche Strategien, um zu überleben.
Selbst unsere Kulturpflanzen haben immer noch Verteidigungsmechanismen, die allerdings zu einem gut Teil durch den Menschen ausgezüchtet wurden. Da hat der Mensch die Aufgabe der Verteidigung übernommen, sei es mechanisch, chemisch oder auch gentechnisch. Auf jeden Fall brauchen diese weniger toxischen Pflanzen eine besondere Betreuung, sonst machen sich die Insekten oder Pathogene über die Pflanze her. Aus diesem Grund sucht man in den jeweiligen Wildformen dieser Pflanzen nach Resistenzen, weshalb es ja auch so wichtig ist, die Biodiversität in den Kulturpflanzen zu erhalten, um immer auf einen Pool von Resistenzgenen zurückgreifen zu können.
Man muss daher darauf achten, dass wir uns nicht zu sehr einschränken in unseren Sorten. Da sehe ich die größte Gefahr, was den Einsatz von transgenen Pflanzen angeht. Ich sehe für viele Pflanzen weniger die Gefahr, dass sie das Ökosystem zu sehr stören, sondern eher, dass sie uns von ganz wenigen Pflanzen abhängig machen und die Biodiversität zu stark reduzieren.
Hubert Pomplun
02.08.2009 09:05
Das sind hervorragende Informationen, bitte mehr davon ! Einerseits enthalten sie praktische Hinweise für den Gärtner, andererseits zeigen sie teas von den Wundern unserer Welt.